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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Einiges von der deutschen Rechtseinheit

in Westpreußen gar auf 17000 Hektar. Nur die Pfalz und Hessen-Nassau
kommen der Entwicklung nahe, die die Organisation im Großherzogtum Hessen
erreicht hat.

Sehr bemerkenswert ist der Umstand, daß die Provinzen, in denen der
Großgrundbesitz überwiegt, dem kleinen Bauer den schlechtesten Personalkredit
gewähren. In Posen besteht für die Darlehnsvereine überhaupt noch keine
provinzielle Geldausgleichstelle. In acht Kreisen giebt es dort noch nicht einmal
Kreissparkassen, sodaß der Landmann nicht einmal den teuern und unbequemen
Kredit der Sparkasse" erhalten kann. Nicht besser steht die Sache in Hinter¬
Pommern, wo die Bevölkerung großenteils den wucherischer Händlerkrcdit in
Anspruch nehmen muß. Dagegen sind die Kreditverhältnisse in den Land¬
schaften, wo der Kleinbesitz oder der mittlere Besitz vorherrscht, wie in West¬
falen, weit günstiger.

Man sieht aus dieser kurzeu Übersicht, daß die Bewegung, die eine
Ordnung der bäuerlichen Kreditverhältnisse anstrebt, zwar im besten Gange ist,
daß aber namentlich im Osten des Reiches noch viel zu thun ist, bis man
von einer befriedigenden Lösung der Frage wird reden dürfen.




Einiges von der deutschen Rechtseinheit
Gelo Hagen Von(Schluß)
5

le zuletzt genannte Vorschrift verdient eine nähere Betrachtung,
weil sie geeignet ist, das gewichtigste Bedenken zu entkräften, das
gegen die Kodifikation vorgebracht werden konnte. Man hat ge¬
fragt, ob es richtig sei, gerade jetzt, in einer Zeit des Übergangs,
der ungeklärten Gegensätze, das Privatrecht auf Jahrzehnte hinaus
festzulegen. Das Gewicht dieses Grundes läßt sich nicht verkennen; durch¬
schlagend wäre er aber mir, wenn die Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs
so starr wären, daß sie jede Weiterbildung ausschlossen.

Das ist aber keineswegs der Fall; schon in Ur. 28 der Grenzboten ist
treffend auf den weiten Umfang des "ungeschriebnen Rechts" im bürgerlichen
Gesetzbuch hingewiesen worden; die Vorschrift des 8 812 eröffnet in dieser


Einiges von der deutschen Rechtseinheit

in Westpreußen gar auf 17000 Hektar. Nur die Pfalz und Hessen-Nassau
kommen der Entwicklung nahe, die die Organisation im Großherzogtum Hessen
erreicht hat.

Sehr bemerkenswert ist der Umstand, daß die Provinzen, in denen der
Großgrundbesitz überwiegt, dem kleinen Bauer den schlechtesten Personalkredit
gewähren. In Posen besteht für die Darlehnsvereine überhaupt noch keine
provinzielle Geldausgleichstelle. In acht Kreisen giebt es dort noch nicht einmal
Kreissparkassen, sodaß der Landmann nicht einmal den teuern und unbequemen
Kredit der Sparkasse» erhalten kann. Nicht besser steht die Sache in Hinter¬
Pommern, wo die Bevölkerung großenteils den wucherischer Händlerkrcdit in
Anspruch nehmen muß. Dagegen sind die Kreditverhältnisse in den Land¬
schaften, wo der Kleinbesitz oder der mittlere Besitz vorherrscht, wie in West¬
falen, weit günstiger.

Man sieht aus dieser kurzeu Übersicht, daß die Bewegung, die eine
Ordnung der bäuerlichen Kreditverhältnisse anstrebt, zwar im besten Gange ist,
daß aber namentlich im Osten des Reiches noch viel zu thun ist, bis man
von einer befriedigenden Lösung der Frage wird reden dürfen.




Einiges von der deutschen Rechtseinheit
Gelo Hagen Von(Schluß)
5

le zuletzt genannte Vorschrift verdient eine nähere Betrachtung,
weil sie geeignet ist, das gewichtigste Bedenken zu entkräften, das
gegen die Kodifikation vorgebracht werden konnte. Man hat ge¬
fragt, ob es richtig sei, gerade jetzt, in einer Zeit des Übergangs,
der ungeklärten Gegensätze, das Privatrecht auf Jahrzehnte hinaus
festzulegen. Das Gewicht dieses Grundes läßt sich nicht verkennen; durch¬
schlagend wäre er aber mir, wenn die Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs
so starr wären, daß sie jede Weiterbildung ausschlossen.

Das ist aber keineswegs der Fall; schon in Ur. 28 der Grenzboten ist
treffend auf den weiten Umfang des „ungeschriebnen Rechts" im bürgerlichen
Gesetzbuch hingewiesen worden; die Vorschrift des 8 812 eröffnet in dieser


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[0551] Einiges von der deutschen Rechtseinheit in Westpreußen gar auf 17000 Hektar. Nur die Pfalz und Hessen-Nassau kommen der Entwicklung nahe, die die Organisation im Großherzogtum Hessen erreicht hat. Sehr bemerkenswert ist der Umstand, daß die Provinzen, in denen der Großgrundbesitz überwiegt, dem kleinen Bauer den schlechtesten Personalkredit gewähren. In Posen besteht für die Darlehnsvereine überhaupt noch keine provinzielle Geldausgleichstelle. In acht Kreisen giebt es dort noch nicht einmal Kreissparkassen, sodaß der Landmann nicht einmal den teuern und unbequemen Kredit der Sparkasse» erhalten kann. Nicht besser steht die Sache in Hinter¬ Pommern, wo die Bevölkerung großenteils den wucherischer Händlerkrcdit in Anspruch nehmen muß. Dagegen sind die Kreditverhältnisse in den Land¬ schaften, wo der Kleinbesitz oder der mittlere Besitz vorherrscht, wie in West¬ falen, weit günstiger. Man sieht aus dieser kurzeu Übersicht, daß die Bewegung, die eine Ordnung der bäuerlichen Kreditverhältnisse anstrebt, zwar im besten Gange ist, daß aber namentlich im Osten des Reiches noch viel zu thun ist, bis man von einer befriedigenden Lösung der Frage wird reden dürfen. Einiges von der deutschen Rechtseinheit Gelo Hagen Von(Schluß) 5 le zuletzt genannte Vorschrift verdient eine nähere Betrachtung, weil sie geeignet ist, das gewichtigste Bedenken zu entkräften, das gegen die Kodifikation vorgebracht werden konnte. Man hat ge¬ fragt, ob es richtig sei, gerade jetzt, in einer Zeit des Übergangs, der ungeklärten Gegensätze, das Privatrecht auf Jahrzehnte hinaus festzulegen. Das Gewicht dieses Grundes läßt sich nicht verkennen; durch¬ schlagend wäre er aber mir, wenn die Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs so starr wären, daß sie jede Weiterbildung ausschlossen. Das ist aber keineswegs der Fall; schon in Ur. 28 der Grenzboten ist treffend auf den weiten Umfang des „ungeschriebnen Rechts" im bürgerlichen Gesetzbuch hingewiesen worden; die Vorschrift des 8 812 eröffnet in dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/551>, abgerufen am 01.05.2024.