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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ver dramatische Konflikt

also auf altslawischem und doch urgermanischen Boden, der feste politische Kern
für Dentschland entstanden.

Meitzen hat in seinem monumentalen Werke den festen Boden für die
Kulturgeschichte ganz Nordeuropas geschaffen, mit der jede weitere Forschung
sich auseinanderzusetzen haben wird. Denn die Landwirtschaft ist und bleibt
die Grundlage sür alle Kulturentwicklung, also auch für den Staat. Eine Fülle
von Karten und Plänen, von Abbildungen der verschiednen Häusertypen und
Ackergerütschafteu ist den beiden darstellenden Bänden in dem dritten Bande
und im Atlas beigegeben.




Der dramatische Konflikt

^le Zeiten sind vorüber, wo die Poetik des Aristoteles in der
Theorie des Dramas als unerschütterlicher Glaubenssatz galt.
Lessing hatte ihr in Deutschland zur unumschränkten Herrschaft
verholfen. Mit dem scharfen Schwerte der philologischen Kritik
fegte er all das Gestrüpp von Unsinn und absichtlicher Ent¬
stellung hinweg, das scholastische Spitzfindigkeit und platter Un¬
verstand im Laufe der Zeiten ringsherum hatten wuchern lassen, und wies auf
die unheilvollen Wirkungen hin, die eine mißverständliche Auslegung in der
Litteratur der Franzosen und der nachahmenden Deutschen angerichtet hatte. Und
für deu sonst so wenig autoritätsglänbigen Mann wurde das Buch des Griechen
ein ästhetisches Evangelium, unfehlbar "wie die Elemente des Euklides," von
dem sich die Tragödie nicht einen Schritt breit entfernen dürfe, wenn sie sich
nicht gleichzeitig von ihrer Vollkommenheit entfernen wolle. Ihm ist also mit
Aristoteles die Tragödie "die Nachahmung einer Handlung, die nicht ver¬
mittelst der Erzählung, sondern vermittelst des Mitleids und der Furcht die
Reinigung dieser und dergleichen Leidenschaften bewirkt."

Aber schon frühzeitig erhob sich eine Sekte vou litterarischen Ketzern, die
von diesem Unfehlbarkeitsdogma nichts wissen wollten. Und wie jede neue
Richtung, die aus der Reaktion gegen eine frühere hervorgegangen ist, in ihren
Anfängen über daS Ziel hinausschießt, so glaubten auch die Stürmer und
Dränger alles Althergebrachte, und mit ihm auch die Theorie des Aristoteles,
über den Haufen werfen müssen. Lenz, der in seinen "Anmerkungen übers
Theater" (1774) die Anschauungen des Sturmes und Dranges theoretisch dar¬
gestellt hat, erkannte mit schärferen historischem Blick als Lessing, daß das
Drama der Griechen und das Shakespeares unmöglich unter einem Gesichts¬
punkte zu vereinigen seien. Zudem konnte ja auch eine Richtung, der die
Selbstherrlichkeit des einzelnen Menschen oberstes Gesetz war, nicht einer Theorie
zustimmen, die die Handlung als das Wesentliche des Dramas hinstellte, den


Ver dramatische Konflikt

also auf altslawischem und doch urgermanischen Boden, der feste politische Kern
für Dentschland entstanden.

Meitzen hat in seinem monumentalen Werke den festen Boden für die
Kulturgeschichte ganz Nordeuropas geschaffen, mit der jede weitere Forschung
sich auseinanderzusetzen haben wird. Denn die Landwirtschaft ist und bleibt
die Grundlage sür alle Kulturentwicklung, also auch für den Staat. Eine Fülle
von Karten und Plänen, von Abbildungen der verschiednen Häusertypen und
Ackergerütschafteu ist den beiden darstellenden Bänden in dem dritten Bande
und im Atlas beigegeben.




Der dramatische Konflikt

^le Zeiten sind vorüber, wo die Poetik des Aristoteles in der
Theorie des Dramas als unerschütterlicher Glaubenssatz galt.
Lessing hatte ihr in Deutschland zur unumschränkten Herrschaft
verholfen. Mit dem scharfen Schwerte der philologischen Kritik
fegte er all das Gestrüpp von Unsinn und absichtlicher Ent¬
stellung hinweg, das scholastische Spitzfindigkeit und platter Un¬
verstand im Laufe der Zeiten ringsherum hatten wuchern lassen, und wies auf
die unheilvollen Wirkungen hin, die eine mißverständliche Auslegung in der
Litteratur der Franzosen und der nachahmenden Deutschen angerichtet hatte. Und
für deu sonst so wenig autoritätsglänbigen Mann wurde das Buch des Griechen
ein ästhetisches Evangelium, unfehlbar „wie die Elemente des Euklides," von
dem sich die Tragödie nicht einen Schritt breit entfernen dürfe, wenn sie sich
nicht gleichzeitig von ihrer Vollkommenheit entfernen wolle. Ihm ist also mit
Aristoteles die Tragödie „die Nachahmung einer Handlung, die nicht ver¬
mittelst der Erzählung, sondern vermittelst des Mitleids und der Furcht die
Reinigung dieser und dergleichen Leidenschaften bewirkt."

Aber schon frühzeitig erhob sich eine Sekte vou litterarischen Ketzern, die
von diesem Unfehlbarkeitsdogma nichts wissen wollten. Und wie jede neue
Richtung, die aus der Reaktion gegen eine frühere hervorgegangen ist, in ihren
Anfängen über daS Ziel hinausschießt, so glaubten auch die Stürmer und
Dränger alles Althergebrachte, und mit ihm auch die Theorie des Aristoteles,
über den Haufen werfen müssen. Lenz, der in seinen „Anmerkungen übers
Theater" (1774) die Anschauungen des Sturmes und Dranges theoretisch dar¬
gestellt hat, erkannte mit schärferen historischem Blick als Lessing, daß das
Drama der Griechen und das Shakespeares unmöglich unter einem Gesichts¬
punkte zu vereinigen seien. Zudem konnte ja auch eine Richtung, der die
Selbstherrlichkeit des einzelnen Menschen oberstes Gesetz war, nicht einer Theorie
zustimmen, die die Handlung als das Wesentliche des Dramas hinstellte, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/621>, abgerufen am 01.05.2024.