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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dazu zu schreiben. Deu schon im Ruhestand befindlichen Beamten wurde ein Exemplar
des Ausrufs unter Umschlag übersandt, worin sich noch ein Zettelchen folgenden
Inhalts befand, der "etwaige Beitrag" würde auch von dem Postamt "entgegen¬
genommen" werden, bei dem der Ruhegehalt erhoben wird. Und da schreibt die
Deutsche Verkehrszeitung mit der nur ihr und ihren Hintermännern eigentümlichen
Naivität, der Sammlung "fehle jeder amtliche Charakter"! Der Unwille unter den
Postbeamten ist allgemein; wer sich selbst davon überzeugen will, früge seinen
Briefträger.

Das bedauerlichste ist, daß der alte Unfug, den man längst begraben glaubte,
uuter dem neuen, noch nicht einmal feststehenden Kurs wieder auferweckt worden ist.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aus dem königstrenen Pommern.

Die Landwirtsschaftskammer in Stettin
hat ihren ersten Jahresbericht über den Zustand der Landeskultur in der Provinz
Pommern veröffentlicht. Es ist das eine Leistung des ostdeutschen Agrnriertums,
wie sie nicht bezeichnender gedacht werden kann. Soweit der Bericht technisch
landwirtschaftliche und thatsächliche Fragen behandelt, werden fast ausnahmslos in
sachlicher Weise Fortschritte zum Bessern berichtet; jedenfalls ist nirgends auch nur
der Versuch gemacht, zuverlässiges neues Material zum Beweise eines wirklichen
Notstands der Landwirtschaft beizubringen. Daß ein Gut im Kreise Kostin,
das 1851 sür 810 000 Mark gekauft wurde, jetzt für 800 000 Mark verkauft
worden ist, und daß eine Domäne, die bisher für 20 000 Mark verpachtet war,
jetzt nnr 1S500 Mark Pacht bringt, wird kein Urteilsfähiger als Beweis ansehen.
Die Güterpreise und die Pachtgelder mußten heruntergehen, wenn die Landwirtschaft
gesunden sollte. Sehr erfreulich entwickelt sich die Rentengntsbildung. Es sind
bisher im ganzen 686 solche Güter geschaffen worden, im letzten Jahre allein 179.
Ausdrücklich bezeugt der Bericht, daß die einzelnen Nentengutsbesitzern gewährten
Zahlungsstundungen nicht etwa ohne weiteres ans eine schlechte Lage der Leute
schließen lassen, ebenso wenig wie die drei vorgekommnen Zwangsversteigerungen von
Renteugütern in diesem Sinne gedeutet werden dürfen. In einem Falle war der
in Vermögensverfall geratene Besitzer ein Verschwender, und seine Mutter hat das
Gut sub lulsw wiedergekauft, in einem zweiten war es ein unverbesserlicher Säufer.
Selbst wenn mau zugiebt, daß die Negierung den jungen Rentengütern in mancher
Beziehung besonders zu Hilfe kommt, so ist, wenn die Landwirtschaft einer Provinz
als völligem Ruin verfallen bezeichnet wird, weil der Betrieb nicht mehr lohne,
das Gedeihen der Rentengüter immerhin ein Beweis für das Gegenteil.

Aber was man an sachlichen Beweismatericil schuldig geblieben ist, das hat
man reichlich durch Schimpfen zu ersetzen gesucht. Schon die Einleitung schließt
mit folgenden Sätzen: "Das Bild, welches der nachstehende Bericht giebt, ist
durchweg ein trübes, aber mehr noch als das fortgesetzte Schwinden des Wohl¬
standes giebt das Schwinden des Vertrauens zu der jetzigen Reichsregierung Anlaß


Maßgebliches und Unmaßgebliches

dazu zu schreiben. Deu schon im Ruhestand befindlichen Beamten wurde ein Exemplar
des Ausrufs unter Umschlag übersandt, worin sich noch ein Zettelchen folgenden
Inhalts befand, der „etwaige Beitrag" würde auch von dem Postamt „entgegen¬
genommen" werden, bei dem der Ruhegehalt erhoben wird. Und da schreibt die
Deutsche Verkehrszeitung mit der nur ihr und ihren Hintermännern eigentümlichen
Naivität, der Sammlung „fehle jeder amtliche Charakter"! Der Unwille unter den
Postbeamten ist allgemein; wer sich selbst davon überzeugen will, früge seinen
Briefträger.

Das bedauerlichste ist, daß der alte Unfug, den man längst begraben glaubte,
uuter dem neuen, noch nicht einmal feststehenden Kurs wieder auferweckt worden ist.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aus dem königstrenen Pommern.

Die Landwirtsschaftskammer in Stettin
hat ihren ersten Jahresbericht über den Zustand der Landeskultur in der Provinz
Pommern veröffentlicht. Es ist das eine Leistung des ostdeutschen Agrnriertums,
wie sie nicht bezeichnender gedacht werden kann. Soweit der Bericht technisch
landwirtschaftliche und thatsächliche Fragen behandelt, werden fast ausnahmslos in
sachlicher Weise Fortschritte zum Bessern berichtet; jedenfalls ist nirgends auch nur
der Versuch gemacht, zuverlässiges neues Material zum Beweise eines wirklichen
Notstands der Landwirtschaft beizubringen. Daß ein Gut im Kreise Kostin,
das 1851 sür 810 000 Mark gekauft wurde, jetzt für 800 000 Mark verkauft
worden ist, und daß eine Domäne, die bisher für 20 000 Mark verpachtet war,
jetzt nnr 1S500 Mark Pacht bringt, wird kein Urteilsfähiger als Beweis ansehen.
Die Güterpreise und die Pachtgelder mußten heruntergehen, wenn die Landwirtschaft
gesunden sollte. Sehr erfreulich entwickelt sich die Rentengntsbildung. Es sind
bisher im ganzen 686 solche Güter geschaffen worden, im letzten Jahre allein 179.
Ausdrücklich bezeugt der Bericht, daß die einzelnen Nentengutsbesitzern gewährten
Zahlungsstundungen nicht etwa ohne weiteres ans eine schlechte Lage der Leute
schließen lassen, ebenso wenig wie die drei vorgekommnen Zwangsversteigerungen von
Renteugütern in diesem Sinne gedeutet werden dürfen. In einem Falle war der
in Vermögensverfall geratene Besitzer ein Verschwender, und seine Mutter hat das
Gut sub lulsw wiedergekauft, in einem zweiten war es ein unverbesserlicher Säufer.
Selbst wenn mau zugiebt, daß die Negierung den jungen Rentengütern in mancher
Beziehung besonders zu Hilfe kommt, so ist, wenn die Landwirtschaft einer Provinz
als völligem Ruin verfallen bezeichnet wird, weil der Betrieb nicht mehr lohne,
das Gedeihen der Rentengüter immerhin ein Beweis für das Gegenteil.

Aber was man an sachlichen Beweismatericil schuldig geblieben ist, das hat
man reichlich durch Schimpfen zu ersetzen gesucht. Schon die Einleitung schließt
mit folgenden Sätzen: „Das Bild, welches der nachstehende Bericht giebt, ist
durchweg ein trübes, aber mehr noch als das fortgesetzte Schwinden des Wohl¬
standes giebt das Schwinden des Vertrauens zu der jetzigen Reichsregierung Anlaß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/96>, abgerufen am 01.05.2024.