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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Eine Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.

eberall in unserm Vaterland erheben sich Denkmäler von Stein
und Erz, die der Nachwelt das Bild des ersten deutschen Kaisers
überliefern sollen. Nur langsam dagegen und vielfach noch un¬
sicher tastend folgt die Feder des Historikers dem Stift und dem
Meißel des bildenden Künstlers, um ihm ein ruonumörlwm hors
xsröuniu8 zu errichten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Am schwersten
wiegt der Maugel an zeitlicher Perspektive, die für den wissenschaftlichen Ge¬
schichtsforscher ebenso notwendig ist, wie die räumliche für den Maler und den
Bildhauer. Aber gerade dieser Mangel wird hier doch wenigstens einigermaßen
ausgeglichen. Die ersten acht Jahrzehnte, die das Leben Kaiser Wilhelms
umfaßt, erscheinen nümlich schon jetzt als eine abgeschlossene geschichtliche
Periode. Die großen Fragen, die sie an die Zeitgenossen, namentlich in
Deutschland stellte: die Befestigung der neuen Mnchtverhnltnifse mich den Er¬
schütterungen und Umwälzungen der Napoleonischen Zeit, die Verdrängung
des Absolutismus durch deu Konstitutionalismus, die Befreiung des dritten
Standes aus seiner sozialen und politische" Gebundenheit infolge der Revolu¬
tionen von 1789 ff. und von 1848, endlich die Vollendung der deutscheu Ein¬
heit unter Preußens Führung -- das alles hat eine endgiltige Lösung ge¬
sunden. Noch finden einige Wellen von den Kämpfen, die um alle diese
Fragen ausgefochten werden mußten, in die politische und soziale Tages-
strömuug herüber, aber nur Pnrteiverbleudung kann den dauernden Bestand
der großen Errungenschaften anzweifeln. Der Erfolg hat überall entschieden,
auf welcher Seite das geschichtliche Recht und der geschichtliche Fortschritt
war. Das ermöglicht es aber, schon heute mit ziemlich großer Objektivität
auf die so nahe Vergangenheit zurückzublicken, die Grundzüge ihrer Entwicklung
festzulegen und den Beweggründen wie der Handlungsweise nicht nur der
Sieger, sondern anch der in jenen Kämpfen unterlegnen Parteien gerecht zu
werden. Da außerdem gerade die letzten Jahre viel gutes und mannichfaltiges
Quellenmaterial zu Tage gefordert haben, so mußte der Versuch, das Leben
Kaiser Wilhelms I. von einem streng wissenschaftlichen Standpunkt zu be¬
trachten, nicht nur verlockend, sondern auch lohnend erscheinen.

Über alle Erwartung glänzend hat Professor Erich Marcks in Leipzig


Grenzboten IV 1397 22


Eine Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I.

eberall in unserm Vaterland erheben sich Denkmäler von Stein
und Erz, die der Nachwelt das Bild des ersten deutschen Kaisers
überliefern sollen. Nur langsam dagegen und vielfach noch un¬
sicher tastend folgt die Feder des Historikers dem Stift und dem
Meißel des bildenden Künstlers, um ihm ein ruonumörlwm hors
xsröuniu8 zu errichten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Am schwersten
wiegt der Maugel an zeitlicher Perspektive, die für den wissenschaftlichen Ge¬
schichtsforscher ebenso notwendig ist, wie die räumliche für den Maler und den
Bildhauer. Aber gerade dieser Mangel wird hier doch wenigstens einigermaßen
ausgeglichen. Die ersten acht Jahrzehnte, die das Leben Kaiser Wilhelms
umfaßt, erscheinen nümlich schon jetzt als eine abgeschlossene geschichtliche
Periode. Die großen Fragen, die sie an die Zeitgenossen, namentlich in
Deutschland stellte: die Befestigung der neuen Mnchtverhnltnifse mich den Er¬
schütterungen und Umwälzungen der Napoleonischen Zeit, die Verdrängung
des Absolutismus durch deu Konstitutionalismus, die Befreiung des dritten
Standes aus seiner sozialen und politische» Gebundenheit infolge der Revolu¬
tionen von 1789 ff. und von 1848, endlich die Vollendung der deutscheu Ein¬
heit unter Preußens Führung — das alles hat eine endgiltige Lösung ge¬
sunden. Noch finden einige Wellen von den Kämpfen, die um alle diese
Fragen ausgefochten werden mußten, in die politische und soziale Tages-
strömuug herüber, aber nur Pnrteiverbleudung kann den dauernden Bestand
der großen Errungenschaften anzweifeln. Der Erfolg hat überall entschieden,
auf welcher Seite das geschichtliche Recht und der geschichtliche Fortschritt
war. Das ermöglicht es aber, schon heute mit ziemlich großer Objektivität
auf die so nahe Vergangenheit zurückzublicken, die Grundzüge ihrer Entwicklung
festzulegen und den Beweggründen wie der Handlungsweise nicht nur der
Sieger, sondern anch der in jenen Kämpfen unterlegnen Parteien gerecht zu
werden. Da außerdem gerade die letzten Jahre viel gutes und mannichfaltiges
Quellenmaterial zu Tage gefordert haben, so mußte der Versuch, das Leben
Kaiser Wilhelms I. von einem streng wissenschaftlichen Standpunkt zu be¬
trachten, nicht nur verlockend, sondern auch lohnend erscheinen.

Über alle Erwartung glänzend hat Professor Erich Marcks in Leipzig


Grenzboten IV 1397 22
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[0177] [Abbildung] Eine Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms I. eberall in unserm Vaterland erheben sich Denkmäler von Stein und Erz, die der Nachwelt das Bild des ersten deutschen Kaisers überliefern sollen. Nur langsam dagegen und vielfach noch un¬ sicher tastend folgt die Feder des Historikers dem Stift und dem Meißel des bildenden Künstlers, um ihm ein ruonumörlwm hors xsröuniu8 zu errichten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Am schwersten wiegt der Maugel an zeitlicher Perspektive, die für den wissenschaftlichen Ge¬ schichtsforscher ebenso notwendig ist, wie die räumliche für den Maler und den Bildhauer. Aber gerade dieser Mangel wird hier doch wenigstens einigermaßen ausgeglichen. Die ersten acht Jahrzehnte, die das Leben Kaiser Wilhelms umfaßt, erscheinen nümlich schon jetzt als eine abgeschlossene geschichtliche Periode. Die großen Fragen, die sie an die Zeitgenossen, namentlich in Deutschland stellte: die Befestigung der neuen Mnchtverhnltnifse mich den Er¬ schütterungen und Umwälzungen der Napoleonischen Zeit, die Verdrängung des Absolutismus durch deu Konstitutionalismus, die Befreiung des dritten Standes aus seiner sozialen und politische» Gebundenheit infolge der Revolu¬ tionen von 1789 ff. und von 1848, endlich die Vollendung der deutscheu Ein¬ heit unter Preußens Führung — das alles hat eine endgiltige Lösung ge¬ sunden. Noch finden einige Wellen von den Kämpfen, die um alle diese Fragen ausgefochten werden mußten, in die politische und soziale Tages- strömuug herüber, aber nur Pnrteiverbleudung kann den dauernden Bestand der großen Errungenschaften anzweifeln. Der Erfolg hat überall entschieden, auf welcher Seite das geschichtliche Recht und der geschichtliche Fortschritt war. Das ermöglicht es aber, schon heute mit ziemlich großer Objektivität auf die so nahe Vergangenheit zurückzublicken, die Grundzüge ihrer Entwicklung festzulegen und den Beweggründen wie der Handlungsweise nicht nur der Sieger, sondern anch der in jenen Kämpfen unterlegnen Parteien gerecht zu werden. Da außerdem gerade die letzten Jahre viel gutes und mannichfaltiges Quellenmaterial zu Tage gefordert haben, so mußte der Versuch, das Leben Kaiser Wilhelms I. von einem streng wissenschaftlichen Standpunkt zu be¬ trachten, nicht nur verlockend, sondern auch lohnend erscheinen. Über alle Erwartung glänzend hat Professor Erich Marcks in Leipzig Grenzboten IV 1397 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/177>, abgerufen am 05.05.2024.