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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

mittel bei riesig wachsendem Bedarf rein und billig zu erhalten? Was trinkt
man in Nord- und Westdeutschland für Bier, und wie teuer muß es das Volk
zahlen! Ich habe das Hofbräuhans nie betreten ohne den Wunsch, daß es in
andern Ländern und auf andern Gebieten nachgeahmt werden möchte; denn es
hat ohne Frage heilsam gewirkt. Auch die äußere Wirkung ist nicht zu über¬
sehen, daß das bciirische Bier eins der wenigen deutschen Erzeugnisse ist, die
ihren Weg um die Welt nur auf Grund der verbürgten Reinheit gefunden
haben. Auch davon wäre zu reden, daß man begonnen hat, den Genuß des
von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stärker, d. h. alkoholreicher gewordnen Bieres ein¬
zudämmen. Das hat Schwierigkeiten, aber im Interesse des Volkswohlstandes
und der körperlichen und sittlichen Gesundheit des Volkes mußte dem Übermaß
des Biertrinkens entgegengetreten werden. Wohin soll es kommen, wenn es
Dörfer in Oberbaiern giebt, wo die mäßigen Männer nur einige wenige sind,
es aber nicht an Lümmeln fehlt, die täglich, solange das Geld reicht, zehn
Maß Bier trinken?


4

Die Türme der Münchner Frauenkirche, deren abgestumpfte Kuppen etwas
an Maßkrüge mit Zinndeckeln erinnern, sind banal im Vergleich mit dem
luftigen Bau des Regensburger Domes, und an Höhe werden sie von dem
Thurm der Landshuter Martinskirche (148 Meter), dem höchsten bairischen
Kirchturm, übertroffen. Das hindert aber nicht, daß sie viel berühmter sind.
So geht es auch mit andern Dingen, für die München den Ruhm hat,
während sie besser in Augsburg, Nürnberg oder Regensburg sind. München
ist die Kunststadt, aber die schönsten Reste älterer Kunstpflege haben jene
andern Städte. Von München ist die deutsche Renaissance ausgegangen, deren
alte Muster man in jenen andern studiren muß. München erzeugt zwar das
meiste, aber nicht immer auch das beste Bier in Baiern. Aber München ist
der Sitz der Regierung, die seit einem Jahrhundert planmäßig zentralisirt und
dadurch in wenig günstiger Lage eine der schönsten, sehenswertesten und ein¬
flußreichsten Hauptstädte Mitteleuropas geschaffen hat- Man sagt Ludwig I.
habe das neue München geschaffen; in Wirklichkeit hat er auf dem Kunst¬
gebiet nnr fortgesetzt, was die Bureaukratie unter seinem Vater begonnen hatte.
Und so hat späterhin die Negierung besonders durch eine wohlüberlegte Ver¬
kehrspolitik mächtig zum Aufschwung Münchens beigetragen, während das
benachbarte Augsburg gleichzeitig so benachteiligt wurde, daß es nicht bloß
viele von seinen wohlhabenden, Bewohnern, sondern auch einige seiner In¬
dustrien an München verlor. Die als "Augsburgerin" einst berühmte All¬
gemeine Zeitung ist wesentlich wegen Postschwierigkeiten nach München über¬
gesiedelt, wo sie sich gerade zeitig genug einrichtete, um für den umsichtigen
Lutz das offiziöse Sprachrohr bei der Vorbereitung der Absetzung Ludwigs II.


Altbairische Wanderungen

mittel bei riesig wachsendem Bedarf rein und billig zu erhalten? Was trinkt
man in Nord- und Westdeutschland für Bier, und wie teuer muß es das Volk
zahlen! Ich habe das Hofbräuhans nie betreten ohne den Wunsch, daß es in
andern Ländern und auf andern Gebieten nachgeahmt werden möchte; denn es
hat ohne Frage heilsam gewirkt. Auch die äußere Wirkung ist nicht zu über¬
sehen, daß das bciirische Bier eins der wenigen deutschen Erzeugnisse ist, die
ihren Weg um die Welt nur auf Grund der verbürgten Reinheit gefunden
haben. Auch davon wäre zu reden, daß man begonnen hat, den Genuß des
von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stärker, d. h. alkoholreicher gewordnen Bieres ein¬
zudämmen. Das hat Schwierigkeiten, aber im Interesse des Volkswohlstandes
und der körperlichen und sittlichen Gesundheit des Volkes mußte dem Übermaß
des Biertrinkens entgegengetreten werden. Wohin soll es kommen, wenn es
Dörfer in Oberbaiern giebt, wo die mäßigen Männer nur einige wenige sind,
es aber nicht an Lümmeln fehlt, die täglich, solange das Geld reicht, zehn
Maß Bier trinken?


4

Die Türme der Münchner Frauenkirche, deren abgestumpfte Kuppen etwas
an Maßkrüge mit Zinndeckeln erinnern, sind banal im Vergleich mit dem
luftigen Bau des Regensburger Domes, und an Höhe werden sie von dem
Thurm der Landshuter Martinskirche (148 Meter), dem höchsten bairischen
Kirchturm, übertroffen. Das hindert aber nicht, daß sie viel berühmter sind.
So geht es auch mit andern Dingen, für die München den Ruhm hat,
während sie besser in Augsburg, Nürnberg oder Regensburg sind. München
ist die Kunststadt, aber die schönsten Reste älterer Kunstpflege haben jene
andern Städte. Von München ist die deutsche Renaissance ausgegangen, deren
alte Muster man in jenen andern studiren muß. München erzeugt zwar das
meiste, aber nicht immer auch das beste Bier in Baiern. Aber München ist
der Sitz der Regierung, die seit einem Jahrhundert planmäßig zentralisirt und
dadurch in wenig günstiger Lage eine der schönsten, sehenswertesten und ein¬
flußreichsten Hauptstädte Mitteleuropas geschaffen hat- Man sagt Ludwig I.
habe das neue München geschaffen; in Wirklichkeit hat er auf dem Kunst¬
gebiet nnr fortgesetzt, was die Bureaukratie unter seinem Vater begonnen hatte.
Und so hat späterhin die Negierung besonders durch eine wohlüberlegte Ver¬
kehrspolitik mächtig zum Aufschwung Münchens beigetragen, während das
benachbarte Augsburg gleichzeitig so benachteiligt wurde, daß es nicht bloß
viele von seinen wohlhabenden, Bewohnern, sondern auch einige seiner In¬
dustrien an München verlor. Die als „Augsburgerin" einst berühmte All¬
gemeine Zeitung ist wesentlich wegen Postschwierigkeiten nach München über¬
gesiedelt, wo sie sich gerade zeitig genug einrichtete, um für den umsichtigen
Lutz das offiziöse Sprachrohr bei der Vorbereitung der Absetzung Ludwigs II.


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[0194] Altbairische Wanderungen mittel bei riesig wachsendem Bedarf rein und billig zu erhalten? Was trinkt man in Nord- und Westdeutschland für Bier, und wie teuer muß es das Volk zahlen! Ich habe das Hofbräuhans nie betreten ohne den Wunsch, daß es in andern Ländern und auf andern Gebieten nachgeahmt werden möchte; denn es hat ohne Frage heilsam gewirkt. Auch die äußere Wirkung ist nicht zu über¬ sehen, daß das bciirische Bier eins der wenigen deutschen Erzeugnisse ist, die ihren Weg um die Welt nur auf Grund der verbürgten Reinheit gefunden haben. Auch davon wäre zu reden, daß man begonnen hat, den Genuß des von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stärker, d. h. alkoholreicher gewordnen Bieres ein¬ zudämmen. Das hat Schwierigkeiten, aber im Interesse des Volkswohlstandes und der körperlichen und sittlichen Gesundheit des Volkes mußte dem Übermaß des Biertrinkens entgegengetreten werden. Wohin soll es kommen, wenn es Dörfer in Oberbaiern giebt, wo die mäßigen Männer nur einige wenige sind, es aber nicht an Lümmeln fehlt, die täglich, solange das Geld reicht, zehn Maß Bier trinken? 4 Die Türme der Münchner Frauenkirche, deren abgestumpfte Kuppen etwas an Maßkrüge mit Zinndeckeln erinnern, sind banal im Vergleich mit dem luftigen Bau des Regensburger Domes, und an Höhe werden sie von dem Thurm der Landshuter Martinskirche (148 Meter), dem höchsten bairischen Kirchturm, übertroffen. Das hindert aber nicht, daß sie viel berühmter sind. So geht es auch mit andern Dingen, für die München den Ruhm hat, während sie besser in Augsburg, Nürnberg oder Regensburg sind. München ist die Kunststadt, aber die schönsten Reste älterer Kunstpflege haben jene andern Städte. Von München ist die deutsche Renaissance ausgegangen, deren alte Muster man in jenen andern studiren muß. München erzeugt zwar das meiste, aber nicht immer auch das beste Bier in Baiern. Aber München ist der Sitz der Regierung, die seit einem Jahrhundert planmäßig zentralisirt und dadurch in wenig günstiger Lage eine der schönsten, sehenswertesten und ein¬ flußreichsten Hauptstädte Mitteleuropas geschaffen hat- Man sagt Ludwig I. habe das neue München geschaffen; in Wirklichkeit hat er auf dem Kunst¬ gebiet nnr fortgesetzt, was die Bureaukratie unter seinem Vater begonnen hatte. Und so hat späterhin die Negierung besonders durch eine wohlüberlegte Ver¬ kehrspolitik mächtig zum Aufschwung Münchens beigetragen, während das benachbarte Augsburg gleichzeitig so benachteiligt wurde, daß es nicht bloß viele von seinen wohlhabenden, Bewohnern, sondern auch einige seiner In¬ dustrien an München verlor. Die als „Augsburgerin" einst berühmte All¬ gemeine Zeitung ist wesentlich wegen Postschwierigkeiten nach München über¬ gesiedelt, wo sie sich gerade zeitig genug einrichtete, um für den umsichtigen Lutz das offiziöse Sprachrohr bei der Vorbereitung der Absetzung Ludwigs II.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/194>, abgerufen am 06.05.2024.