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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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(Österreich und die deutsche Wirtschaftspolitik

!VMDin schwere Krisis, in der sich Österreich schon seit Monaten be¬
findet, hat sich in den letzten Wochen zu einer kaum erwarteten
Höhe gesteigert und im österreichischen Abgeordnetenhause leider
auch zu wüsten Schimpf- und Lärmszencn geführt, die eine
blutige Satire auf den Parlamentarismus sind. Der alte Donau¬
staat hat schon manche Bedrängnisse durchgemacht, seitdem Ferdinand II. die
ganze Ländermasse dauernd in einer Hand vereinigte. Die Habsburger haben
im siebzehnten Jahrhundert die Meuterei des tschechischen und des magyarischen
Adels mit dem Schwert und dem Henkerbeil niedergeschlagen, im achtzehnten
gegen eine Welt von Feinden den Bestand ihrer Ländermasse sast ungeschmälert
behauptet, noch im neunzehnten Ungarn und die italienischen Provinzen mit
Waffengewalt wiedererobern müssen. Aber dabei waren sie doch ihrer deutschen
Bevölkerung wenigstens größtenteils sicher. Die Deutschen hatten diese Völker-
vereinignug geschaffen, sie stellten die besten geistigen, wirtschaftlichen und
militärischen Kräfte, um sie aufrecht zu erhalten; sie haben anch die moderne
Verfassung Österreichs geschaffen, sie bildeten jene "Verfassungspartei," für die
das Interesse der Deutschösterreicher mit dem Dasein der Verfassung und des
"eisleithanischen" Gesamtstaats zusammenfiel, während alle andern Stämme
der Monarchie, Tschechen, Polen und Slowenen, immer nur ein ihre nationalen
Souderwünsche dachten, die sie selbst auf Kosten der Gesamtheit befriedigen
wollten, und die Tschechen, als das nicht geschah, jahrelang dem Reichsrate
fern blieben. Und heute? Es giebt keine deutsche Versassungspartei mehr,
sondern nur noch eine Gruppe von deutschnationalen Parteien, die ihre deutsch-
nationalen Interessen in den Vordergrund stellen, wie es bisher nur die andern
Nationalitäten thaten und thun durften, ohne besonders schlimme Folgen für
den Staat, so lange ihn die Deutschen stützten; selbst die bisher klerikalen


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(Österreich und die deutsche Wirtschaftspolitik

!VMDin schwere Krisis, in der sich Österreich schon seit Monaten be¬
findet, hat sich in den letzten Wochen zu einer kaum erwarteten
Höhe gesteigert und im österreichischen Abgeordnetenhause leider
auch zu wüsten Schimpf- und Lärmszencn geführt, die eine
blutige Satire auf den Parlamentarismus sind. Der alte Donau¬
staat hat schon manche Bedrängnisse durchgemacht, seitdem Ferdinand II. die
ganze Ländermasse dauernd in einer Hand vereinigte. Die Habsburger haben
im siebzehnten Jahrhundert die Meuterei des tschechischen und des magyarischen
Adels mit dem Schwert und dem Henkerbeil niedergeschlagen, im achtzehnten
gegen eine Welt von Feinden den Bestand ihrer Ländermasse sast ungeschmälert
behauptet, noch im neunzehnten Ungarn und die italienischen Provinzen mit
Waffengewalt wiedererobern müssen. Aber dabei waren sie doch ihrer deutschen
Bevölkerung wenigstens größtenteils sicher. Die Deutschen hatten diese Völker-
vereinignug geschaffen, sie stellten die besten geistigen, wirtschaftlichen und
militärischen Kräfte, um sie aufrecht zu erhalten; sie haben anch die moderne
Verfassung Österreichs geschaffen, sie bildeten jene „Verfassungspartei," für die
das Interesse der Deutschösterreicher mit dem Dasein der Verfassung und des
„eisleithanischen" Gesamtstaats zusammenfiel, während alle andern Stämme
der Monarchie, Tschechen, Polen und Slowenen, immer nur ein ihre nationalen
Souderwünsche dachten, die sie selbst auf Kosten der Gesamtheit befriedigen
wollten, und die Tschechen, als das nicht geschah, jahrelang dem Reichsrate
fern blieben. Und heute? Es giebt keine deutsche Versassungspartei mehr,
sondern nur noch eine Gruppe von deutschnationalen Parteien, die ihre deutsch-
nationalen Interessen in den Vordergrund stellen, wie es bisher nur die andern
Nationalitäten thaten und thun durften, ohne besonders schlimme Folgen für
den Staat, so lange ihn die Deutschen stützten; selbst die bisher klerikalen


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[0307] [Abbildung] (Österreich und die deutsche Wirtschaftspolitik !VMDin schwere Krisis, in der sich Österreich schon seit Monaten be¬ findet, hat sich in den letzten Wochen zu einer kaum erwarteten Höhe gesteigert und im österreichischen Abgeordnetenhause leider auch zu wüsten Schimpf- und Lärmszencn geführt, die eine blutige Satire auf den Parlamentarismus sind. Der alte Donau¬ staat hat schon manche Bedrängnisse durchgemacht, seitdem Ferdinand II. die ganze Ländermasse dauernd in einer Hand vereinigte. Die Habsburger haben im siebzehnten Jahrhundert die Meuterei des tschechischen und des magyarischen Adels mit dem Schwert und dem Henkerbeil niedergeschlagen, im achtzehnten gegen eine Welt von Feinden den Bestand ihrer Ländermasse sast ungeschmälert behauptet, noch im neunzehnten Ungarn und die italienischen Provinzen mit Waffengewalt wiedererobern müssen. Aber dabei waren sie doch ihrer deutschen Bevölkerung wenigstens größtenteils sicher. Die Deutschen hatten diese Völker- vereinignug geschaffen, sie stellten die besten geistigen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte, um sie aufrecht zu erhalten; sie haben anch die moderne Verfassung Österreichs geschaffen, sie bildeten jene „Verfassungspartei," für die das Interesse der Deutschösterreicher mit dem Dasein der Verfassung und des „eisleithanischen" Gesamtstaats zusammenfiel, während alle andern Stämme der Monarchie, Tschechen, Polen und Slowenen, immer nur ein ihre nationalen Souderwünsche dachten, die sie selbst auf Kosten der Gesamtheit befriedigen wollten, und die Tschechen, als das nicht geschah, jahrelang dem Reichsrate fern blieben. Und heute? Es giebt keine deutsche Versassungspartei mehr, sondern nur noch eine Gruppe von deutschnationalen Parteien, die ihre deutsch- nationalen Interessen in den Vordergrund stellen, wie es bisher nur die andern Nationalitäten thaten und thun durften, ohne besonders schlimme Folgen für den Staat, so lange ihn die Deutschen stützten; selbst die bisher klerikalen Grenzboten IV Z897 ?>8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/307>, abgerufen am 06.05.2024.