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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus Maximilian Klingers Leben

is sich vor zwanzig bis dreißig Jahren die Gedanken unsrer
litterarischen Kreise dem zuwandten, was sich hundert Jahre
früher in Deutschland zugetragen hatte, da wurden zugleich mit
der Wiedererweckung des jungen Goethe auch seine Gefährten
aus der Sturm- und Drangzeit wieder entdeckt, deren bedeutendster
Klinger war. Ihm widmete bald darnach sein Großneffe und Pate, Max
Rieger in Darmstadt, ein Buch, das den berühmten Vorfahren in jenem frühern
Abschnitt seines Lebens behandelte. Sechzehn Jahre später hat er jetzt den
zweiten Teil der Biographie herausgegeben: Klinger in seiner Reife und
dazu ein Briefbuch (Darmstadt. Vergsträßer. 1896). Beides ist mit der feinen
Sorgfalt gearbeitet, an der Sachbcherrschung und litterarischer Geschmack
gleichen Anteil haben. Es sei ihm dunkel, meint Rieger in der Vorrede, ob
er mit diesem Buche noch einigem Interesse begegnen werde an dem selbständig
einsam entwickelten Klinger der spätern Jahrzehnte. Wir glauben, daß es
allerdings der Fall sein wird, weniger freilich hinsichtlich des Schriftstellers
Klinger, obwohl seine Romane und seine "Betrachtungen" wegen der reichen
Erfahrung des Weltmannes sicher noch heute lesenswert sind, weit mehr, in¬
sofern der Inhalt des Buches zusammenhängt mit dein ganzen geistigen Leben
der ersten dreißig Jahre unsers Jahrhunderts. am meisten aber um des im
engern Sinne Biographischen willen. Denn eine gute Biographie, wie diese,
gehört nicht nur zu dem Unterhaltendsten, was es giebt, sie unterrichtet auch,
wie ost genug von Plutarch bis auf Rousseau bemerkt worden ist. einen nach¬
denkenden Leser deutlicher und eindringlicher über den geschichtlichen Inhalt
einer ganzen Zeit als die meisten eigentlichen Geschichtsbücher. Außerdem
hat das Buch noch einen besondern Wert durch die warme Pflege der Er¬
innerungen, die Klinger mit seiner alten Heimat verbanden, und die in dem
engern Kreise der Landsleute Riegers ohne Frage einen herzlichen Widerhall
finden werden. Um dem Leser einen deutlichen Eindruck zu verschaffen, werden
sich diese Bemerkungen den letzten zwei Gesichtspunkten näher halten als dem
Dramatiker, Romanschreiber und Moralphilosophen Klinger, hinsichtlich dessen
mit einem kurzen Auszuge der eingehenden Analysen Niegers wenig gewonnen wäre.




Aus Maximilian Klingers Leben

is sich vor zwanzig bis dreißig Jahren die Gedanken unsrer
litterarischen Kreise dem zuwandten, was sich hundert Jahre
früher in Deutschland zugetragen hatte, da wurden zugleich mit
der Wiedererweckung des jungen Goethe auch seine Gefährten
aus der Sturm- und Drangzeit wieder entdeckt, deren bedeutendster
Klinger war. Ihm widmete bald darnach sein Großneffe und Pate, Max
Rieger in Darmstadt, ein Buch, das den berühmten Vorfahren in jenem frühern
Abschnitt seines Lebens behandelte. Sechzehn Jahre später hat er jetzt den
zweiten Teil der Biographie herausgegeben: Klinger in seiner Reife und
dazu ein Briefbuch (Darmstadt. Vergsträßer. 1896). Beides ist mit der feinen
Sorgfalt gearbeitet, an der Sachbcherrschung und litterarischer Geschmack
gleichen Anteil haben. Es sei ihm dunkel, meint Rieger in der Vorrede, ob
er mit diesem Buche noch einigem Interesse begegnen werde an dem selbständig
einsam entwickelten Klinger der spätern Jahrzehnte. Wir glauben, daß es
allerdings der Fall sein wird, weniger freilich hinsichtlich des Schriftstellers
Klinger, obwohl seine Romane und seine „Betrachtungen" wegen der reichen
Erfahrung des Weltmannes sicher noch heute lesenswert sind, weit mehr, in¬
sofern der Inhalt des Buches zusammenhängt mit dein ganzen geistigen Leben
der ersten dreißig Jahre unsers Jahrhunderts. am meisten aber um des im
engern Sinne Biographischen willen. Denn eine gute Biographie, wie diese,
gehört nicht nur zu dem Unterhaltendsten, was es giebt, sie unterrichtet auch,
wie ost genug von Plutarch bis auf Rousseau bemerkt worden ist. einen nach¬
denkenden Leser deutlicher und eindringlicher über den geschichtlichen Inhalt
einer ganzen Zeit als die meisten eigentlichen Geschichtsbücher. Außerdem
hat das Buch noch einen besondern Wert durch die warme Pflege der Er¬
innerungen, die Klinger mit seiner alten Heimat verbanden, und die in dem
engern Kreise der Landsleute Riegers ohne Frage einen herzlichen Widerhall
finden werden. Um dem Leser einen deutlichen Eindruck zu verschaffen, werden
sich diese Bemerkungen den letzten zwei Gesichtspunkten näher halten als dem
Dramatiker, Romanschreiber und Moralphilosophen Klinger, hinsichtlich dessen
mit einem kurzen Auszuge der eingehenden Analysen Niegers wenig gewonnen wäre.


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[0037] [Abbildung] Aus Maximilian Klingers Leben is sich vor zwanzig bis dreißig Jahren die Gedanken unsrer litterarischen Kreise dem zuwandten, was sich hundert Jahre früher in Deutschland zugetragen hatte, da wurden zugleich mit der Wiedererweckung des jungen Goethe auch seine Gefährten aus der Sturm- und Drangzeit wieder entdeckt, deren bedeutendster Klinger war. Ihm widmete bald darnach sein Großneffe und Pate, Max Rieger in Darmstadt, ein Buch, das den berühmten Vorfahren in jenem frühern Abschnitt seines Lebens behandelte. Sechzehn Jahre später hat er jetzt den zweiten Teil der Biographie herausgegeben: Klinger in seiner Reife und dazu ein Briefbuch (Darmstadt. Vergsträßer. 1896). Beides ist mit der feinen Sorgfalt gearbeitet, an der Sachbcherrschung und litterarischer Geschmack gleichen Anteil haben. Es sei ihm dunkel, meint Rieger in der Vorrede, ob er mit diesem Buche noch einigem Interesse begegnen werde an dem selbständig einsam entwickelten Klinger der spätern Jahrzehnte. Wir glauben, daß es allerdings der Fall sein wird, weniger freilich hinsichtlich des Schriftstellers Klinger, obwohl seine Romane und seine „Betrachtungen" wegen der reichen Erfahrung des Weltmannes sicher noch heute lesenswert sind, weit mehr, in¬ sofern der Inhalt des Buches zusammenhängt mit dein ganzen geistigen Leben der ersten dreißig Jahre unsers Jahrhunderts. am meisten aber um des im engern Sinne Biographischen willen. Denn eine gute Biographie, wie diese, gehört nicht nur zu dem Unterhaltendsten, was es giebt, sie unterrichtet auch, wie ost genug von Plutarch bis auf Rousseau bemerkt worden ist. einen nach¬ denkenden Leser deutlicher und eindringlicher über den geschichtlichen Inhalt einer ganzen Zeit als die meisten eigentlichen Geschichtsbücher. Außerdem hat das Buch noch einen besondern Wert durch die warme Pflege der Er¬ innerungen, die Klinger mit seiner alten Heimat verbanden, und die in dem engern Kreise der Landsleute Riegers ohne Frage einen herzlichen Widerhall finden werden. Um dem Leser einen deutlichen Eindruck zu verschaffen, werden sich diese Bemerkungen den letzten zwei Gesichtspunkten näher halten als dem Dramatiker, Romanschreiber und Moralphilosophen Klinger, hinsichtlich dessen mit einem kurzen Auszuge der eingehenden Analysen Niegers wenig gewonnen wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/37>, abgerufen am 05.05.2024.