Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

Volle kleinliche Nörgelei und Neinsagerei diesem Kaiser gegenüber nach der Gunst
des "Fortschritts" und des "Vorwärts" zu haschen. Der Fluch unauslöschlicher
Lächerlichkeit trifft jetzt jenes "freisinnige" Berliner Spießbürgertum mit und ohne
Millionen, das den Hohenzollern so unendlich viel verdankt und nie gedankt hat.
Von Fortschritt und Vorwärts in der Wirklichkeit sollen diese Spreehanseaten zu
reden aufhören, sie haben von jetzt an noch weniger Recht dazu, wie der verbitterte
ostelbische Krautjunker.




Litteratur
Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre. Von Rudolf Stolzmann,
Kaiserlichen Geheimen Negiernngsrnt, I., Grundlegender und kritischer Teil. Berlin, Putt-
knmmer und Mühlbrecht, 189V

Der Verfasser findet, daß sich die "dogmatische" Volkswirtschaftslehre bisher
auf das rein Ökonomische beschränkt, die Aufgabe aber nicht gelöst habe, "die
sozialen Beziehungen und Gesetze aufzudecken, die die Jndividunlwirtschafteu aus
der höhern Einheit des sozialen Gesamtkörpers entlehnen"; erst die Volkswirtschafts¬
politik, "d. h. die Lehre, die da untersucht, was werden soll," habe sich auf
diese Seite der Sache geworfen, und da hätten denn Sozialisten aller Art den
Individualismus bekämpft. Uns scheint, daß Adolf Wagner die Aufgabe, die
Stolzmauu stellt, so ziemlich gelöst und doch dabei ein "dogmatisches" Lehrbuch
geliefert hat. Darum wollen wir jedoch Stolzmanns Arbeit nicht sür überflüssig
erklären. Den ersten Band füllt fast ganz eine sehr gute Kritik der bisherigen
Werttheorien aus, deren Ergebnisse an dieser Stelle weder dargestellt noch be¬
urteilt werden können. Wir wollen nur zur Charakteristik des Standpunkts des
Verfassers eine Stelle hervorheben. Am Schlüsse der Kritik der Marxischen
"Arbeitskostentheorie" schreibt er: "Von meinem Standpunkte aus möchte ich den
Sozialisten den Rat geben, von der Arbeitskostentheorie künftighin ganz abzusehen,
sie in die Rumpelkammer zu werfen, wohin sie gehört, ihre eigne Lehre nicht mit
dem Wechselbalg zu vermengen und sie dadurch unnötigerweise zu diskreditireu.
Sie werden dann erwägen, ob es, da Kapital und Natur ebenso gut Produk¬
tionsfaktoren wie die Arbeit sind, nicht besser ist, alle drei Faktoren ruhig neben
einander weiter arbeiten, die Eigentümer der erstern beiden aber, ohne ihnen ihr
Eigentum zu entreißen, sich weiterhin darin abmühen zu lassen, daß sie recht viel
Güter hervorzaubern. Möge man sich darauf beschränken, die Verteilung der pro-
duzirten Güter, d. i. das richtige*) Verhältnis der historischen Kategorien Arbeits¬
lohn, Kapitalgewinn und Grundrente besser zu regeln. Bei diesen ihren geläuterten
Bestrebungen wird ihnen die Sympathie und die hilfreiche Hand aller edel und
billig denkenden Menschen nicht fehlen. Sie würden durch Änderung der Wert¬
theorie auch keine allzugroße Impietät gegen Marx begehen; denn was Marx ge-



Dieses Aojektimnn ist überflüssig! wenn das Verhältnis schon richtig ist, braucht es
nicht besser geregelt zu werden, ja kann es gar nicht besser geregelt werden.
Litteratur

Volle kleinliche Nörgelei und Neinsagerei diesem Kaiser gegenüber nach der Gunst
des „Fortschritts" und des „Vorwärts" zu haschen. Der Fluch unauslöschlicher
Lächerlichkeit trifft jetzt jenes „freisinnige" Berliner Spießbürgertum mit und ohne
Millionen, das den Hohenzollern so unendlich viel verdankt und nie gedankt hat.
Von Fortschritt und Vorwärts in der Wirklichkeit sollen diese Spreehanseaten zu
reden aufhören, sie haben von jetzt an noch weniger Recht dazu, wie der verbitterte
ostelbische Krautjunker.




Litteratur
Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre. Von Rudolf Stolzmann,
Kaiserlichen Geheimen Negiernngsrnt, I., Grundlegender und kritischer Teil. Berlin, Putt-
knmmer und Mühlbrecht, 189V

Der Verfasser findet, daß sich die „dogmatische" Volkswirtschaftslehre bisher
auf das rein Ökonomische beschränkt, die Aufgabe aber nicht gelöst habe, „die
sozialen Beziehungen und Gesetze aufzudecken, die die Jndividunlwirtschafteu aus
der höhern Einheit des sozialen Gesamtkörpers entlehnen"; erst die Volkswirtschafts¬
politik, „d. h. die Lehre, die da untersucht, was werden soll," habe sich auf
diese Seite der Sache geworfen, und da hätten denn Sozialisten aller Art den
Individualismus bekämpft. Uns scheint, daß Adolf Wagner die Aufgabe, die
Stolzmauu stellt, so ziemlich gelöst und doch dabei ein „dogmatisches" Lehrbuch
geliefert hat. Darum wollen wir jedoch Stolzmanns Arbeit nicht sür überflüssig
erklären. Den ersten Band füllt fast ganz eine sehr gute Kritik der bisherigen
Werttheorien aus, deren Ergebnisse an dieser Stelle weder dargestellt noch be¬
urteilt werden können. Wir wollen nur zur Charakteristik des Standpunkts des
Verfassers eine Stelle hervorheben. Am Schlüsse der Kritik der Marxischen
„Arbeitskostentheorie" schreibt er: „Von meinem Standpunkte aus möchte ich den
Sozialisten den Rat geben, von der Arbeitskostentheorie künftighin ganz abzusehen,
sie in die Rumpelkammer zu werfen, wohin sie gehört, ihre eigne Lehre nicht mit
dem Wechselbalg zu vermengen und sie dadurch unnötigerweise zu diskreditireu.
Sie werden dann erwägen, ob es, da Kapital und Natur ebenso gut Produk¬
tionsfaktoren wie die Arbeit sind, nicht besser ist, alle drei Faktoren ruhig neben
einander weiter arbeiten, die Eigentümer der erstern beiden aber, ohne ihnen ihr
Eigentum zu entreißen, sich weiterhin darin abmühen zu lassen, daß sie recht viel
Güter hervorzaubern. Möge man sich darauf beschränken, die Verteilung der pro-
duzirten Güter, d. i. das richtige*) Verhältnis der historischen Kategorien Arbeits¬
lohn, Kapitalgewinn und Grundrente besser zu regeln. Bei diesen ihren geläuterten
Bestrebungen wird ihnen die Sympathie und die hilfreiche Hand aller edel und
billig denkenden Menschen nicht fehlen. Sie würden durch Änderung der Wert¬
theorie auch keine allzugroße Impietät gegen Marx begehen; denn was Marx ge-



Dieses Aojektimnn ist überflüssig! wenn das Verhältnis schon richtig ist, braucht es
nicht besser geregelt zu werden, ja kann es gar nicht besser geregelt werden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0613" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226843"/>
            <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1556" prev="#ID_1555"> Volle kleinliche Nörgelei und Neinsagerei diesem Kaiser gegenüber nach der Gunst<lb/>
des &#x201E;Fortschritts" und des &#x201E;Vorwärts" zu haschen. Der Fluch unauslöschlicher<lb/>
Lächerlichkeit trifft jetzt jenes &#x201E;freisinnige" Berliner Spießbürgertum mit und ohne<lb/>
Millionen, das den Hohenzollern so unendlich viel verdankt und nie gedankt hat.<lb/>
Von Fortschritt und Vorwärts in der Wirklichkeit sollen diese Spreehanseaten zu<lb/>
reden aufhören, sie haben von jetzt an noch weniger Recht dazu, wie der verbitterte<lb/>
ostelbische Krautjunker.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Litteratur</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre. Von Rudolf Stolzmann,<lb/>
Kaiserlichen Geheimen Negiernngsrnt,  I., Grundlegender und kritischer Teil.  Berlin, Putt-<lb/>
knmmer und Mühlbrecht, 189V</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1557" next="#ID_1558"> Der Verfasser findet, daß sich die &#x201E;dogmatische" Volkswirtschaftslehre bisher<lb/>
auf das rein Ökonomische beschränkt, die Aufgabe aber nicht gelöst habe, &#x201E;die<lb/>
sozialen Beziehungen und Gesetze aufzudecken, die die Jndividunlwirtschafteu aus<lb/>
der höhern Einheit des sozialen Gesamtkörpers entlehnen"; erst die Volkswirtschafts¬<lb/>
politik, &#x201E;d. h. die Lehre, die da untersucht, was werden soll," habe sich auf<lb/>
diese Seite der Sache geworfen, und da hätten denn Sozialisten aller Art den<lb/>
Individualismus bekämpft. Uns scheint, daß Adolf Wagner die Aufgabe, die<lb/>
Stolzmauu stellt, so ziemlich gelöst und doch dabei ein &#x201E;dogmatisches" Lehrbuch<lb/>
geliefert hat. Darum wollen wir jedoch Stolzmanns Arbeit nicht sür überflüssig<lb/>
erklären. Den ersten Band füllt fast ganz eine sehr gute Kritik der bisherigen<lb/>
Werttheorien aus, deren Ergebnisse an dieser Stelle weder dargestellt noch be¬<lb/>
urteilt werden können. Wir wollen nur zur Charakteristik des Standpunkts des<lb/>
Verfassers eine Stelle hervorheben. Am Schlüsse der Kritik der Marxischen<lb/>
&#x201E;Arbeitskostentheorie" schreibt er: &#x201E;Von meinem Standpunkte aus möchte ich den<lb/>
Sozialisten den Rat geben, von der Arbeitskostentheorie künftighin ganz abzusehen,<lb/>
sie in die Rumpelkammer zu werfen, wohin sie gehört, ihre eigne Lehre nicht mit<lb/>
dem Wechselbalg zu vermengen und sie dadurch unnötigerweise zu diskreditireu.<lb/>
Sie werden dann erwägen, ob es, da Kapital und Natur ebenso gut Produk¬<lb/>
tionsfaktoren wie die Arbeit sind, nicht besser ist, alle drei Faktoren ruhig neben<lb/>
einander weiter arbeiten, die Eigentümer der erstern beiden aber, ohne ihnen ihr<lb/>
Eigentum zu entreißen, sich weiterhin darin abmühen zu lassen, daß sie recht viel<lb/>
Güter hervorzaubern. Möge man sich darauf beschränken, die Verteilung der pro-<lb/>
duzirten Güter, d. i. das richtige*) Verhältnis der historischen Kategorien Arbeits¬<lb/>
lohn, Kapitalgewinn und Grundrente besser zu regeln. Bei diesen ihren geläuterten<lb/>
Bestrebungen wird ihnen die Sympathie und die hilfreiche Hand aller edel und<lb/>
billig denkenden Menschen nicht fehlen. Sie würden durch Änderung der Wert¬<lb/>
theorie auch keine allzugroße Impietät gegen Marx begehen; denn was Marx ge-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_84" place="foot"> Dieses Aojektimnn ist überflüssig! wenn das Verhältnis schon richtig ist, braucht es<lb/>
nicht besser geregelt zu werden, ja kann es gar nicht besser geregelt werden.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0613] Litteratur Volle kleinliche Nörgelei und Neinsagerei diesem Kaiser gegenüber nach der Gunst des „Fortschritts" und des „Vorwärts" zu haschen. Der Fluch unauslöschlicher Lächerlichkeit trifft jetzt jenes „freisinnige" Berliner Spießbürgertum mit und ohne Millionen, das den Hohenzollern so unendlich viel verdankt und nie gedankt hat. Von Fortschritt und Vorwärts in der Wirklichkeit sollen diese Spreehanseaten zu reden aufhören, sie haben von jetzt an noch weniger Recht dazu, wie der verbitterte ostelbische Krautjunker. Litteratur Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre. Von Rudolf Stolzmann, Kaiserlichen Geheimen Negiernngsrnt, I., Grundlegender und kritischer Teil. Berlin, Putt- knmmer und Mühlbrecht, 189V Der Verfasser findet, daß sich die „dogmatische" Volkswirtschaftslehre bisher auf das rein Ökonomische beschränkt, die Aufgabe aber nicht gelöst habe, „die sozialen Beziehungen und Gesetze aufzudecken, die die Jndividunlwirtschafteu aus der höhern Einheit des sozialen Gesamtkörpers entlehnen"; erst die Volkswirtschafts¬ politik, „d. h. die Lehre, die da untersucht, was werden soll," habe sich auf diese Seite der Sache geworfen, und da hätten denn Sozialisten aller Art den Individualismus bekämpft. Uns scheint, daß Adolf Wagner die Aufgabe, die Stolzmauu stellt, so ziemlich gelöst und doch dabei ein „dogmatisches" Lehrbuch geliefert hat. Darum wollen wir jedoch Stolzmanns Arbeit nicht sür überflüssig erklären. Den ersten Band füllt fast ganz eine sehr gute Kritik der bisherigen Werttheorien aus, deren Ergebnisse an dieser Stelle weder dargestellt noch be¬ urteilt werden können. Wir wollen nur zur Charakteristik des Standpunkts des Verfassers eine Stelle hervorheben. Am Schlüsse der Kritik der Marxischen „Arbeitskostentheorie" schreibt er: „Von meinem Standpunkte aus möchte ich den Sozialisten den Rat geben, von der Arbeitskostentheorie künftighin ganz abzusehen, sie in die Rumpelkammer zu werfen, wohin sie gehört, ihre eigne Lehre nicht mit dem Wechselbalg zu vermengen und sie dadurch unnötigerweise zu diskreditireu. Sie werden dann erwägen, ob es, da Kapital und Natur ebenso gut Produk¬ tionsfaktoren wie die Arbeit sind, nicht besser ist, alle drei Faktoren ruhig neben einander weiter arbeiten, die Eigentümer der erstern beiden aber, ohne ihnen ihr Eigentum zu entreißen, sich weiterhin darin abmühen zu lassen, daß sie recht viel Güter hervorzaubern. Möge man sich darauf beschränken, die Verteilung der pro- duzirten Güter, d. i. das richtige*) Verhältnis der historischen Kategorien Arbeits¬ lohn, Kapitalgewinn und Grundrente besser zu regeln. Bei diesen ihren geläuterten Bestrebungen wird ihnen die Sympathie und die hilfreiche Hand aller edel und billig denkenden Menschen nicht fehlen. Sie würden durch Änderung der Wert¬ theorie auch keine allzugroße Impietät gegen Marx begehen; denn was Marx ge- Dieses Aojektimnn ist überflüssig! wenn das Verhältnis schon richtig ist, braucht es nicht besser geregelt zu werden, ja kann es gar nicht besser geregelt werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/613
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/613>, abgerufen am 06.05.2024.