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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Otto Gildemeisters Lssays

Theismus. Hier ist der persönliche Gott der absolute objektive Wert und
als solcher das höchste Gut, zunächst für sich, dann für die Geschöpfe, die ihn
unmittelbar anschauend oder mittelbar in seinen Gaben genießen. Und ganz
schüchtern bekennt sich auch Wundt zu dieser Auffassung, indem er seine Philo¬
sophie mit der Ästhetik krönt und bemerkt, die Lehre von den absoluten objek¬
tiven Werten werde durch die ästhetische Auffassung der Dinge bestätigt, denn
deren Gegenstand werde "einzig und allein um seiner selbst, nicht um fremd-,
artiger Zwecke willen begehrt." Ist es nicht Hedonismus, etwas zu begehren
und sich durch das Erlangen des Begehrten, d. h. in diesem Falle durch die
Anschauung, befriedigt zu fühlen? In der That, die Schönheit in der Welt
leistet uns Gewähr dafür, daß es objektive Werte giebt, und daß das Absolute
hinter der Weltbühne kein Ungeheuer, sondern ein gütiger Gott ist.


-L. I.


Otto Gildenleisters Essays
Neue Folge

MW
^M/ir haben vor längerer Zeit Gelegenheit gehabt, an einem ersten
Bande Gildemeisterscher Essays unsern Lesern zu zeigen, wie ein
guter deutscher Essay beschaffen sein müsse, und machen uns
heute das Vergnügen, die Beobachtungen an einem neuerschienenen
Bande: Zweiter Band (Berlin, W. Hertz) fortzusetzen. Jene
Essays beschäftigten sich mit thematisch gefaßten, allgemeinen Fragen, diese
haben geschichtlichen und biographischen Inhalt. Wir gehen aus von dem
Essay "Macciulay," weil er den hervorragendsten englischen Essayisten zum
Gegenstande hat. Das Wesen dieser Kunst konnte kaum besser gezeigt werden,
als indem uns Mamulays Aufsatz über Machiavelli vorgeführt wird. Der
feruabliegendc Gegenstand, eine den meisten nur dem Namen nach bekannte
Person mit einem sehr engen, nationalen Lebensinhalt hatte keinerlei Zusammen¬
hang mit den englischen Interessen der Zeit, in der der Aufsatz erschien (1827),
und als Gildemeister zum erstenmale seinen Essay veröffentlichte (1860), hatte
man in Deutschland zwar Macaulay längst schätzen gelernt, Machiavelli aber
an und für sich hätte hier ebenso wenig Teilnahme erwecken können als dort
dreißig Jahre früher. Und genau so ist es heute nach einem weitern Menschen¬
alter: was ist uns Machiavelli als Mensch für sich, wenn wir ihn nicht


Otto Gildemeisters Lssays

Theismus. Hier ist der persönliche Gott der absolute objektive Wert und
als solcher das höchste Gut, zunächst für sich, dann für die Geschöpfe, die ihn
unmittelbar anschauend oder mittelbar in seinen Gaben genießen. Und ganz
schüchtern bekennt sich auch Wundt zu dieser Auffassung, indem er seine Philo¬
sophie mit der Ästhetik krönt und bemerkt, die Lehre von den absoluten objek¬
tiven Werten werde durch die ästhetische Auffassung der Dinge bestätigt, denn
deren Gegenstand werde „einzig und allein um seiner selbst, nicht um fremd-,
artiger Zwecke willen begehrt." Ist es nicht Hedonismus, etwas zu begehren
und sich durch das Erlangen des Begehrten, d. h. in diesem Falle durch die
Anschauung, befriedigt zu fühlen? In der That, die Schönheit in der Welt
leistet uns Gewähr dafür, daß es objektive Werte giebt, und daß das Absolute
hinter der Weltbühne kein Ungeheuer, sondern ein gütiger Gott ist.


-L. I.


Otto Gildenleisters Essays
Neue Folge

MW
^M/ir haben vor längerer Zeit Gelegenheit gehabt, an einem ersten
Bande Gildemeisterscher Essays unsern Lesern zu zeigen, wie ein
guter deutscher Essay beschaffen sein müsse, und machen uns
heute das Vergnügen, die Beobachtungen an einem neuerschienenen
Bande: Zweiter Band (Berlin, W. Hertz) fortzusetzen. Jene
Essays beschäftigten sich mit thematisch gefaßten, allgemeinen Fragen, diese
haben geschichtlichen und biographischen Inhalt. Wir gehen aus von dem
Essay „Macciulay," weil er den hervorragendsten englischen Essayisten zum
Gegenstande hat. Das Wesen dieser Kunst konnte kaum besser gezeigt werden,
als indem uns Mamulays Aufsatz über Machiavelli vorgeführt wird. Der
feruabliegendc Gegenstand, eine den meisten nur dem Namen nach bekannte
Person mit einem sehr engen, nationalen Lebensinhalt hatte keinerlei Zusammen¬
hang mit den englischen Interessen der Zeit, in der der Aufsatz erschien (1827),
und als Gildemeister zum erstenmale seinen Essay veröffentlichte (1860), hatte
man in Deutschland zwar Macaulay längst schätzen gelernt, Machiavelli aber
an und für sich hätte hier ebenso wenig Teilnahme erwecken können als dort
dreißig Jahre früher. Und genau so ist es heute nach einem weitern Menschen¬
alter: was ist uns Machiavelli als Mensch für sich, wenn wir ihn nicht


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[0092] Otto Gildemeisters Lssays Theismus. Hier ist der persönliche Gott der absolute objektive Wert und als solcher das höchste Gut, zunächst für sich, dann für die Geschöpfe, die ihn unmittelbar anschauend oder mittelbar in seinen Gaben genießen. Und ganz schüchtern bekennt sich auch Wundt zu dieser Auffassung, indem er seine Philo¬ sophie mit der Ästhetik krönt und bemerkt, die Lehre von den absoluten objek¬ tiven Werten werde durch die ästhetische Auffassung der Dinge bestätigt, denn deren Gegenstand werde „einzig und allein um seiner selbst, nicht um fremd-, artiger Zwecke willen begehrt." Ist es nicht Hedonismus, etwas zu begehren und sich durch das Erlangen des Begehrten, d. h. in diesem Falle durch die Anschauung, befriedigt zu fühlen? In der That, die Schönheit in der Welt leistet uns Gewähr dafür, daß es objektive Werte giebt, und daß das Absolute hinter der Weltbühne kein Ungeheuer, sondern ein gütiger Gott ist. -L. I. Otto Gildenleisters Essays Neue Folge MW ^M/ir haben vor längerer Zeit Gelegenheit gehabt, an einem ersten Bande Gildemeisterscher Essays unsern Lesern zu zeigen, wie ein guter deutscher Essay beschaffen sein müsse, und machen uns heute das Vergnügen, die Beobachtungen an einem neuerschienenen Bande: Zweiter Band (Berlin, W. Hertz) fortzusetzen. Jene Essays beschäftigten sich mit thematisch gefaßten, allgemeinen Fragen, diese haben geschichtlichen und biographischen Inhalt. Wir gehen aus von dem Essay „Macciulay," weil er den hervorragendsten englischen Essayisten zum Gegenstande hat. Das Wesen dieser Kunst konnte kaum besser gezeigt werden, als indem uns Mamulays Aufsatz über Machiavelli vorgeführt wird. Der feruabliegendc Gegenstand, eine den meisten nur dem Namen nach bekannte Person mit einem sehr engen, nationalen Lebensinhalt hatte keinerlei Zusammen¬ hang mit den englischen Interessen der Zeit, in der der Aufsatz erschien (1827), und als Gildemeister zum erstenmale seinen Essay veröffentlichte (1860), hatte man in Deutschland zwar Macaulay längst schätzen gelernt, Machiavelli aber an und für sich hätte hier ebenso wenig Teilnahme erwecken können als dort dreißig Jahre früher. Und genau so ist es heute nach einem weitern Menschen¬ alter: was ist uns Machiavelli als Mensch für sich, wenn wir ihn nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/92>, abgerufen am 06.05.2024.