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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

Wichtigkeit der Linien von Velestino hatte und diese mit Mut und Ausdauer,
wenn auch noch nicht tadelfrei verteidigte, als Kriegsminister an der Spitze des
griechischen Heerwesens; und während eine starke Strömung dahingeht, die
Armee und ihre Offiziere völlig aus dem zügellosen, unsaubern Parteigetriebe
herauszuziehen, indem den Offizieren die Wählbarkeit ins Parlament entzogen
wird, sehen wir den griechischen Kronprinzen mit überraschender Einfachheit
und Klarheit und mit achtunggebietender Offenheit und Entschlossenheit öffentlich
auf die Kernschäden im griechischen Heere hinweisen, die seine Niederlage
herbeiführen mußten.

Es ist wohl denkbar, daß in Griechenland die nüchterne Anschauung der
Thatsachen auf politischem Gebiete ebenso durchdringt, wie sie auf militärischem
Gebiete nach der Niederlage durchgedrungen ist, und daß es ferner den Griechen,
diesen gebornen Händlern, gelingen wird, von Rußland oder England -- die
beide alles aufwenden müssen, um sich die im Königreich Griechenland liegende
Basis für den Kampfplatz zur See zwischen Suezkanal und Dardanellen im
voraus zu sichern -- die nötigen Summen zu erhalten zur Bezahlung ihrer
Schulden in Europa. Damit würde auch ein für Griechenland günstiger
Wechsel der Stimmung in Enropa eintreten. Glückt es ihm dann, einen neuen
klugem, nur auf die Küsten der europäischen Türkei gerichteten Angriff mili¬
tärisch gut vorzubereiten, dann haben diese Leute noch keineswegs ausgespielt,
sondern können noch großes erreichen, gestählt durch den erlebten Krieg.

Ein Themistokles! Und nochmals fallen die Würfel der Welt in Athen.




Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika
2

ährend wir auf dem Festlande in stetem und noch nicht abge¬
schlossenen Kampfe die Waffen mit Franzosen und Slawen
kreuzten, hatte sich der Irrglauben eingenistet, mit dem angel¬
sächsischen Stammesvetter auf seinen unangreifbaren britischen
Inseln verbinde uns Bluts- und Interessengemeinschaft, undM
nirgends in der Welt stießen unsre Ziele feindlich zusammen. Seit Cromwell
hat aber Englands Macht stetig auf Kosten der einzelnen Festlandsstaaten
zugenommen, und Deutschland war der willige Lieferer seines Truppenersatzes
und der Abnehmer seiner Waren. Schon in den fridericianischen Tagen
sprach man vom treulosen Albion, und in den Befreiungskriegen wurde dessen


Grenzboten II 1898 15
Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika

Wichtigkeit der Linien von Velestino hatte und diese mit Mut und Ausdauer,
wenn auch noch nicht tadelfrei verteidigte, als Kriegsminister an der Spitze des
griechischen Heerwesens; und während eine starke Strömung dahingeht, die
Armee und ihre Offiziere völlig aus dem zügellosen, unsaubern Parteigetriebe
herauszuziehen, indem den Offizieren die Wählbarkeit ins Parlament entzogen
wird, sehen wir den griechischen Kronprinzen mit überraschender Einfachheit
und Klarheit und mit achtunggebietender Offenheit und Entschlossenheit öffentlich
auf die Kernschäden im griechischen Heere hinweisen, die seine Niederlage
herbeiführen mußten.

Es ist wohl denkbar, daß in Griechenland die nüchterne Anschauung der
Thatsachen auf politischem Gebiete ebenso durchdringt, wie sie auf militärischem
Gebiete nach der Niederlage durchgedrungen ist, und daß es ferner den Griechen,
diesen gebornen Händlern, gelingen wird, von Rußland oder England — die
beide alles aufwenden müssen, um sich die im Königreich Griechenland liegende
Basis für den Kampfplatz zur See zwischen Suezkanal und Dardanellen im
voraus zu sichern — die nötigen Summen zu erhalten zur Bezahlung ihrer
Schulden in Europa. Damit würde auch ein für Griechenland günstiger
Wechsel der Stimmung in Enropa eintreten. Glückt es ihm dann, einen neuen
klugem, nur auf die Küsten der europäischen Türkei gerichteten Angriff mili¬
tärisch gut vorzubereiten, dann haben diese Leute noch keineswegs ausgespielt,
sondern können noch großes erreichen, gestählt durch den erlebten Krieg.

Ein Themistokles! Und nochmals fallen die Würfel der Welt in Athen.




Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika
2

ährend wir auf dem Festlande in stetem und noch nicht abge¬
schlossenen Kampfe die Waffen mit Franzosen und Slawen
kreuzten, hatte sich der Irrglauben eingenistet, mit dem angel¬
sächsischen Stammesvetter auf seinen unangreifbaren britischen
Inseln verbinde uns Bluts- und Interessengemeinschaft, undM
nirgends in der Welt stießen unsre Ziele feindlich zusammen. Seit Cromwell
hat aber Englands Macht stetig auf Kosten der einzelnen Festlandsstaaten
zugenommen, und Deutschland war der willige Lieferer seines Truppenersatzes
und der Abnehmer seiner Waren. Schon in den fridericianischen Tagen
sprach man vom treulosen Albion, und in den Befreiungskriegen wurde dessen


Grenzboten II 1898 15
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[0121] Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika Wichtigkeit der Linien von Velestino hatte und diese mit Mut und Ausdauer, wenn auch noch nicht tadelfrei verteidigte, als Kriegsminister an der Spitze des griechischen Heerwesens; und während eine starke Strömung dahingeht, die Armee und ihre Offiziere völlig aus dem zügellosen, unsaubern Parteigetriebe herauszuziehen, indem den Offizieren die Wählbarkeit ins Parlament entzogen wird, sehen wir den griechischen Kronprinzen mit überraschender Einfachheit und Klarheit und mit achtunggebietender Offenheit und Entschlossenheit öffentlich auf die Kernschäden im griechischen Heere hinweisen, die seine Niederlage herbeiführen mußten. Es ist wohl denkbar, daß in Griechenland die nüchterne Anschauung der Thatsachen auf politischem Gebiete ebenso durchdringt, wie sie auf militärischem Gebiete nach der Niederlage durchgedrungen ist, und daß es ferner den Griechen, diesen gebornen Händlern, gelingen wird, von Rußland oder England — die beide alles aufwenden müssen, um sich die im Königreich Griechenland liegende Basis für den Kampfplatz zur See zwischen Suezkanal und Dardanellen im voraus zu sichern — die nötigen Summen zu erhalten zur Bezahlung ihrer Schulden in Europa. Damit würde auch ein für Griechenland günstiger Wechsel der Stimmung in Enropa eintreten. Glückt es ihm dann, einen neuen klugem, nur auf die Küsten der europäischen Türkei gerichteten Angriff mili¬ tärisch gut vorzubereiten, dann haben diese Leute noch keineswegs ausgespielt, sondern können noch großes erreichen, gestählt durch den erlebten Krieg. Ein Themistokles! Und nochmals fallen die Würfel der Welt in Athen. Die niederdeutsche Frage in Belgien und Südafrika 2 ährend wir auf dem Festlande in stetem und noch nicht abge¬ schlossenen Kampfe die Waffen mit Franzosen und Slawen kreuzten, hatte sich der Irrglauben eingenistet, mit dem angel¬ sächsischen Stammesvetter auf seinen unangreifbaren britischen Inseln verbinde uns Bluts- und Interessengemeinschaft, undM nirgends in der Welt stießen unsre Ziele feindlich zusammen. Seit Cromwell hat aber Englands Macht stetig auf Kosten der einzelnen Festlandsstaaten zugenommen, und Deutschland war der willige Lieferer seines Truppenersatzes und der Abnehmer seiner Waren. Schon in den fridericianischen Tagen sprach man vom treulosen Albion, und in den Befreiungskriegen wurde dessen Grenzboten II 1898 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/121>, abgerufen am 04.05.2024.