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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Goethe als Kriegsminister

Die Geschichte der drei Brüder von Gagern ist ungemein lehrreich, auch
noch für unsre politisch gereiftere Zeit. Um dem Vaterlande wahrhaft zu
dienen, genügten nicht allein reiche geistige Anlagen, umfängliches Wissen,
patriotische Hingebung und glänzende Rednergabe, nein weit vor diesen, oft
als die wahren politischen Tugenden bezeichneten Eigenschaften steht der durch
eifriges Nachdenken erworbne, ruhig erwägende Scharfblick, mit dem der Staats¬
mann unbeirrt durch Gefühle, Traditionen und Tagesströmungen -- sie
höchstens benutzend -- die eigne Macht wie die widerstrebenden Kräfte klar
abwägt und mit Entschlossenheit vorwärts schreitet. Um die Richtigkeit hiervon
bestätigt zu sehen, brauchen wir nur die Riesengestalt Bismarcks mit all den
"politischen Größen" der letzten fünfzig Jahre zu vergleichen. Friedrich von
Gagern hatte diesen Vismarckischen Geist, den scharfen, durch nichts zu be¬
irrenden Blick; schade, daß es ihm nicht vergönnt war, ihn im Dienste Deutsch¬
lands zur Geltung zu bringen. Wenn aber in dieser Zeit so oft von den
"Opfern des Jahres 1848" gesprochen wird, so ist es eine Ehrenpflicht, dabei
des national gesinnten Friedrichs von Gagern nicht zu vergessen.




Goethe als Kriegsminister
Adolf Stern von

ewiß, gewiß, er ist alles gewesen, euer Goethe! Es wäre zweck¬
mäßig, wenn die Akten des Weimarischen Schloßbanes aus den
neunziger Jahren und bis zum Jahre 1803 genau durchforscht
und Goethes Verhältnis zur Tischlerei und Schlosserei zum
Gegenstand einer eingehenden Abhandlung gemacht werden würde,
damit man nicht etwa unwissentlich einem braven Tischler- oder Schlosser-
meistcr Verdienste zuschiebt, die eigentlich dem Dichter des "Faust" und der
"Iphigenie" zukommen. Auch ists sehr leichtfertig von euern Philologen, die
jahrein jahraus die Schreiberhünde von John und Kräuter, von I. P. Goetze,
Geist und zehn andern vor Augen haben, daß sie nicht längst ein umfassendes
Wert über Goethes Verhältnis zur Schönschreibkunst in die Welt geschickt
haben, womit doch klärlich eine empfindliche Lücke der nie genug zu ver¬
mehrenden Goethelitteratnr gefüllt werden würde! Warum sollten Sie nicht
anch noch nachweisen können, daß der Dichter, wie in allem ein Erwecker und
Muster, ein vorzüglicher Kriegsminister gewesen sei, bei dem sich Albrecht
Roon und Herr von Vronsart allenfalls hätten Rats holen können, wenn er
nicht zufällig lange vor ihnen gelebt und geamtet Hütte? --


Goethe als Kriegsminister

Die Geschichte der drei Brüder von Gagern ist ungemein lehrreich, auch
noch für unsre politisch gereiftere Zeit. Um dem Vaterlande wahrhaft zu
dienen, genügten nicht allein reiche geistige Anlagen, umfängliches Wissen,
patriotische Hingebung und glänzende Rednergabe, nein weit vor diesen, oft
als die wahren politischen Tugenden bezeichneten Eigenschaften steht der durch
eifriges Nachdenken erworbne, ruhig erwägende Scharfblick, mit dem der Staats¬
mann unbeirrt durch Gefühle, Traditionen und Tagesströmungen — sie
höchstens benutzend — die eigne Macht wie die widerstrebenden Kräfte klar
abwägt und mit Entschlossenheit vorwärts schreitet. Um die Richtigkeit hiervon
bestätigt zu sehen, brauchen wir nur die Riesengestalt Bismarcks mit all den
„politischen Größen" der letzten fünfzig Jahre zu vergleichen. Friedrich von
Gagern hatte diesen Vismarckischen Geist, den scharfen, durch nichts zu be¬
irrenden Blick; schade, daß es ihm nicht vergönnt war, ihn im Dienste Deutsch¬
lands zur Geltung zu bringen. Wenn aber in dieser Zeit so oft von den
„Opfern des Jahres 1848" gesprochen wird, so ist es eine Ehrenpflicht, dabei
des national gesinnten Friedrichs von Gagern nicht zu vergessen.




Goethe als Kriegsminister
Adolf Stern von

ewiß, gewiß, er ist alles gewesen, euer Goethe! Es wäre zweck¬
mäßig, wenn die Akten des Weimarischen Schloßbanes aus den
neunziger Jahren und bis zum Jahre 1803 genau durchforscht
und Goethes Verhältnis zur Tischlerei und Schlosserei zum
Gegenstand einer eingehenden Abhandlung gemacht werden würde,
damit man nicht etwa unwissentlich einem braven Tischler- oder Schlosser-
meistcr Verdienste zuschiebt, die eigentlich dem Dichter des „Faust" und der
„Iphigenie" zukommen. Auch ists sehr leichtfertig von euern Philologen, die
jahrein jahraus die Schreiberhünde von John und Kräuter, von I. P. Goetze,
Geist und zehn andern vor Augen haben, daß sie nicht längst ein umfassendes
Wert über Goethes Verhältnis zur Schönschreibkunst in die Welt geschickt
haben, womit doch klärlich eine empfindliche Lücke der nie genug zu ver¬
mehrenden Goethelitteratnr gefüllt werden würde! Warum sollten Sie nicht
anch noch nachweisen können, daß der Dichter, wie in allem ein Erwecker und
Muster, ein vorzüglicher Kriegsminister gewesen sei, bei dem sich Albrecht
Roon und Herr von Vronsart allenfalls hätten Rats holen können, wenn er
nicht zufällig lange vor ihnen gelebt und geamtet Hütte? —


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[0341] Goethe als Kriegsminister Die Geschichte der drei Brüder von Gagern ist ungemein lehrreich, auch noch für unsre politisch gereiftere Zeit. Um dem Vaterlande wahrhaft zu dienen, genügten nicht allein reiche geistige Anlagen, umfängliches Wissen, patriotische Hingebung und glänzende Rednergabe, nein weit vor diesen, oft als die wahren politischen Tugenden bezeichneten Eigenschaften steht der durch eifriges Nachdenken erworbne, ruhig erwägende Scharfblick, mit dem der Staats¬ mann unbeirrt durch Gefühle, Traditionen und Tagesströmungen — sie höchstens benutzend — die eigne Macht wie die widerstrebenden Kräfte klar abwägt und mit Entschlossenheit vorwärts schreitet. Um die Richtigkeit hiervon bestätigt zu sehen, brauchen wir nur die Riesengestalt Bismarcks mit all den „politischen Größen" der letzten fünfzig Jahre zu vergleichen. Friedrich von Gagern hatte diesen Vismarckischen Geist, den scharfen, durch nichts zu be¬ irrenden Blick; schade, daß es ihm nicht vergönnt war, ihn im Dienste Deutsch¬ lands zur Geltung zu bringen. Wenn aber in dieser Zeit so oft von den „Opfern des Jahres 1848" gesprochen wird, so ist es eine Ehrenpflicht, dabei des national gesinnten Friedrichs von Gagern nicht zu vergessen. Goethe als Kriegsminister Adolf Stern von ewiß, gewiß, er ist alles gewesen, euer Goethe! Es wäre zweck¬ mäßig, wenn die Akten des Weimarischen Schloßbanes aus den neunziger Jahren und bis zum Jahre 1803 genau durchforscht und Goethes Verhältnis zur Tischlerei und Schlosserei zum Gegenstand einer eingehenden Abhandlung gemacht werden würde, damit man nicht etwa unwissentlich einem braven Tischler- oder Schlosser- meistcr Verdienste zuschiebt, die eigentlich dem Dichter des „Faust" und der „Iphigenie" zukommen. Auch ists sehr leichtfertig von euern Philologen, die jahrein jahraus die Schreiberhünde von John und Kräuter, von I. P. Goetze, Geist und zehn andern vor Augen haben, daß sie nicht längst ein umfassendes Wert über Goethes Verhältnis zur Schönschreibkunst in die Welt geschickt haben, womit doch klärlich eine empfindliche Lücke der nie genug zu ver¬ mehrenden Goethelitteratnr gefüllt werden würde! Warum sollten Sie nicht anch noch nachweisen können, daß der Dichter, wie in allem ein Erwecker und Muster, ein vorzüglicher Kriegsminister gewesen sei, bei dem sich Albrecht Roon und Herr von Vronsart allenfalls hätten Rats holen können, wenn er nicht zufällig lange vor ihnen gelebt und geamtet Hütte? —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/341>, abgerufen am 04.05.2024.