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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Flucht vom Lande

krieg ging zu dieser Zeit noch seinen lahmen Gang und kam erst Mitte Mai durch
den Frieden von Teschen zum Austrag. Die Preußen verlangten ungehinderte
Werbung in den herzoglich weimarischen Landen, General Möllendorf bestand
darauf, Werbekommandos ins Land selbst zu schicken, und die Einwände, die
Herzog Karl August bei seinem Oheim, dem großen Friedrich erhob, fanden
in diesem Augenblick kein günstiges Ohr. Von Ende Januar 1779 datirt der
bekannte Brief Goethes an den Herzog, der eigentlich mehr eine Denkschrift als
ein Brief ist, und worin der Dichter die schärfste Einsicht in die bedrängte Lage
des machtlosen Kleinstaats gegenüber den Forderungen und dem Macht¬
bewußtsein der großen Mächte an den Tag legt. Hält man diesen Brief mit
den Bemerkungen zusammen, die Goethe unter dem 1. Februar über die Kvnseil-
sitzung des gleichen Tages seinem Tagebuch vertraute ("Conseil. Dumme Luft
drinne. Fataler Humor vou Fr. 2z zuviel gesprochen. -- 2>. steht noch
immer an der Form stille. Falsche Anwendung auf seinen Zustand, waS mau
bei andern gut und groß findet. Verblendung am äußerlichen Übertüncheu"),
so ergiebt sich, daß der Dichter fürstlichen Selbsttäuschungen vorbeugen wollte.
Er setzte weder Vertrauen auf den Anschluß an die Staaten zweiten und dritten
Ranges, die mit Weimar-Eisenach in gleicher Gefahr und Verdammnis waren,
noch auf die Beschwerden, die man im äußersten Falle beim Reichstag zu Regens-
burg erheben konnte. Er hielt offenbar im ganzen die feste Abweisung der
preußischen Ansprüche und Abwehr etwa doch ins Land eindringender Werbe-
kommandos für das geratenste, war der Meinung, daß die Preußen selbst es
nicht zu einem öffentlichen unangenehmen Ausbruch kommeu lassen und, wenn
sie Standhnftigkeit sähen, sich begnügen würden, in der Stille zu necken und
hie und da einigen Abbruch zu thun. Aber er forderte nachdrücklich, daß man
sich, bevor man handle, alle Möglichkeiten klar vor Augen stelle, "weil die
augenblicklichen Entschlüsse in solchen Gelegenheiten selten die Folgen zu Rate
Ziehen." (Goethe an Herzog Karl August, Ende Januar 1779.)

(Schluß folgt)




Die Flucht vom Lande

n der Antwort auf die Sziuulnsche Jnterpellation in der Sitzung
des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 20. April hat der Land¬
wirtschaftsminister namens der Staatsregierung außer der in Aussicht
gestellte" Bekämpfung der "Auswüchse" der Freizügigkeit noch einige
weitere Maßregeln genannt, durch die die Regierung eine Milderung
des augeul'licklichen Notstands zu versuchen bereit sei. Von nennens¬
wertem Interesse ist darunter wohl nur die Aussicht auf die reichsgesetzliche Ein-MW


Die Flucht vom Lande

krieg ging zu dieser Zeit noch seinen lahmen Gang und kam erst Mitte Mai durch
den Frieden von Teschen zum Austrag. Die Preußen verlangten ungehinderte
Werbung in den herzoglich weimarischen Landen, General Möllendorf bestand
darauf, Werbekommandos ins Land selbst zu schicken, und die Einwände, die
Herzog Karl August bei seinem Oheim, dem großen Friedrich erhob, fanden
in diesem Augenblick kein günstiges Ohr. Von Ende Januar 1779 datirt der
bekannte Brief Goethes an den Herzog, der eigentlich mehr eine Denkschrift als
ein Brief ist, und worin der Dichter die schärfste Einsicht in die bedrängte Lage
des machtlosen Kleinstaats gegenüber den Forderungen und dem Macht¬
bewußtsein der großen Mächte an den Tag legt. Hält man diesen Brief mit
den Bemerkungen zusammen, die Goethe unter dem 1. Februar über die Kvnseil-
sitzung des gleichen Tages seinem Tagebuch vertraute („Conseil. Dumme Luft
drinne. Fataler Humor vou Fr. 2z zuviel gesprochen. — 2>. steht noch
immer an der Form stille. Falsche Anwendung auf seinen Zustand, waS mau
bei andern gut und groß findet. Verblendung am äußerlichen Übertüncheu"),
so ergiebt sich, daß der Dichter fürstlichen Selbsttäuschungen vorbeugen wollte.
Er setzte weder Vertrauen auf den Anschluß an die Staaten zweiten und dritten
Ranges, die mit Weimar-Eisenach in gleicher Gefahr und Verdammnis waren,
noch auf die Beschwerden, die man im äußersten Falle beim Reichstag zu Regens-
burg erheben konnte. Er hielt offenbar im ganzen die feste Abweisung der
preußischen Ansprüche und Abwehr etwa doch ins Land eindringender Werbe-
kommandos für das geratenste, war der Meinung, daß die Preußen selbst es
nicht zu einem öffentlichen unangenehmen Ausbruch kommeu lassen und, wenn
sie Standhnftigkeit sähen, sich begnügen würden, in der Stille zu necken und
hie und da einigen Abbruch zu thun. Aber er forderte nachdrücklich, daß man
sich, bevor man handle, alle Möglichkeiten klar vor Augen stelle, „weil die
augenblicklichen Entschlüsse in solchen Gelegenheiten selten die Folgen zu Rate
Ziehen." (Goethe an Herzog Karl August, Ende Januar 1779.)

(Schluß folgt)




Die Flucht vom Lande

n der Antwort auf die Sziuulnsche Jnterpellation in der Sitzung
des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 20. April hat der Land¬
wirtschaftsminister namens der Staatsregierung außer der in Aussicht
gestellte» Bekämpfung der „Auswüchse" der Freizügigkeit noch einige
weitere Maßregeln genannt, durch die die Regierung eine Milderung
des augeul'licklichen Notstands zu versuchen bereit sei. Von nennens¬
wertem Interesse ist darunter wohl nur die Aussicht auf die reichsgesetzliche Ein-MW


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[0349] Die Flucht vom Lande krieg ging zu dieser Zeit noch seinen lahmen Gang und kam erst Mitte Mai durch den Frieden von Teschen zum Austrag. Die Preußen verlangten ungehinderte Werbung in den herzoglich weimarischen Landen, General Möllendorf bestand darauf, Werbekommandos ins Land selbst zu schicken, und die Einwände, die Herzog Karl August bei seinem Oheim, dem großen Friedrich erhob, fanden in diesem Augenblick kein günstiges Ohr. Von Ende Januar 1779 datirt der bekannte Brief Goethes an den Herzog, der eigentlich mehr eine Denkschrift als ein Brief ist, und worin der Dichter die schärfste Einsicht in die bedrängte Lage des machtlosen Kleinstaats gegenüber den Forderungen und dem Macht¬ bewußtsein der großen Mächte an den Tag legt. Hält man diesen Brief mit den Bemerkungen zusammen, die Goethe unter dem 1. Februar über die Kvnseil- sitzung des gleichen Tages seinem Tagebuch vertraute („Conseil. Dumme Luft drinne. Fataler Humor vou Fr. 2z zuviel gesprochen. — 2>. steht noch immer an der Form stille. Falsche Anwendung auf seinen Zustand, waS mau bei andern gut und groß findet. Verblendung am äußerlichen Übertüncheu"), so ergiebt sich, daß der Dichter fürstlichen Selbsttäuschungen vorbeugen wollte. Er setzte weder Vertrauen auf den Anschluß an die Staaten zweiten und dritten Ranges, die mit Weimar-Eisenach in gleicher Gefahr und Verdammnis waren, noch auf die Beschwerden, die man im äußersten Falle beim Reichstag zu Regens- burg erheben konnte. Er hielt offenbar im ganzen die feste Abweisung der preußischen Ansprüche und Abwehr etwa doch ins Land eindringender Werbe- kommandos für das geratenste, war der Meinung, daß die Preußen selbst es nicht zu einem öffentlichen unangenehmen Ausbruch kommeu lassen und, wenn sie Standhnftigkeit sähen, sich begnügen würden, in der Stille zu necken und hie und da einigen Abbruch zu thun. Aber er forderte nachdrücklich, daß man sich, bevor man handle, alle Möglichkeiten klar vor Augen stelle, „weil die augenblicklichen Entschlüsse in solchen Gelegenheiten selten die Folgen zu Rate Ziehen." (Goethe an Herzog Karl August, Ende Januar 1779.) (Schluß folgt) Die Flucht vom Lande n der Antwort auf die Sziuulnsche Jnterpellation in der Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 20. April hat der Land¬ wirtschaftsminister namens der Staatsregierung außer der in Aussicht gestellte» Bekämpfung der „Auswüchse" der Freizügigkeit noch einige weitere Maßregeln genannt, durch die die Regierung eine Milderung des augeul'licklichen Notstands zu versuchen bereit sei. Von nennens¬ wertem Interesse ist darunter wohl nur die Aussicht auf die reichsgesetzliche Ein-MW

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/349>, abgerufen am 03.05.2024.