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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Siams Kulturbestrebungen und Deutschlands Anteil

el dem regen Interesse, das wir jetzt den Vorgängen in Ost¬
asien entgegenbringen, ist es zu verwundern, daß man in den
deutschen Zeitungen einem Lande nur wenig Beachtung geschenkt
hat, das nicht weit entfernt von der großen Verkehrsstraße von
Malakka gelegen ist. Wir meinen Siam, das Reich des weißen
Elefanten. Zwar ist es schon vor einigen Jahrzehnten der westlichen Kultur
erschlossen worden, aber namentlich in letzter Zeit hat es große Fortschritte
gemacht, und gerade auch deutsche Arbeit hat hierbei tüchtig mitgeholfen.
Siam ist neben Japan das Land des Ostens, wo europäische Kultur am
meisten Eingang gefunden hat. Nur besteht zwischen beiden Ländern der Unter¬
schied , daß in Japan das Volk selbst auf Neuerungen hingedrängt und mit
Hand angelegt hat, während in Siam die Reformen ganz allein vom König
anbefohlen und durchgeführt worden sind. Es drängte dazu die Erkenntnis,
daß Siams Selbständigkeit nur dann gerettet werden könnte, wenn geordnete
Zustände den eifersüchtigen Nachbarn jede Gelegenheit zur Einmischung in die
innern Verhältnisse nähmen.

Der jetzige König Tschnlalonkorn ist ein Sohn des "weisen" Mongkut,
unter dem in den Jahren 1855 bis 1368 die Handelsverträge mit den euro¬
päischen Großmächten zu stände kamen. Preußen knüpfte 1862 durch den
Grafen Eulenburg auf der Fahrt der Gazelle mit Siam Handelsbeziehungen
an. Seitdem haben sich westindische Sitten immer mehr verbreitet und in
die erstarrten Verhältnisse neues Leben gebracht. Den Überlieferungen seines
Vaters ist Tschnlalonkorn, der am 1. Oktober 1868 im Alter von siebzehn
Jahren auf den Thron kam, treu geblieben- Da er eine englische Erzieherin
gehabt hatte, so hatte er durch die Kenntnis der englischen Sprache die Möglich¬
keit gefunden, sich über die Verhältnisse außerhalb Siams zu unterrichten. In
seinen ersten Negicrungsjahren unternahm er Reisen nach Java und Kalkutta.


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Siams Kulturbestrebungen und Deutschlands Anteil

el dem regen Interesse, das wir jetzt den Vorgängen in Ost¬
asien entgegenbringen, ist es zu verwundern, daß man in den
deutschen Zeitungen einem Lande nur wenig Beachtung geschenkt
hat, das nicht weit entfernt von der großen Verkehrsstraße von
Malakka gelegen ist. Wir meinen Siam, das Reich des weißen
Elefanten. Zwar ist es schon vor einigen Jahrzehnten der westlichen Kultur
erschlossen worden, aber namentlich in letzter Zeit hat es große Fortschritte
gemacht, und gerade auch deutsche Arbeit hat hierbei tüchtig mitgeholfen.
Siam ist neben Japan das Land des Ostens, wo europäische Kultur am
meisten Eingang gefunden hat. Nur besteht zwischen beiden Ländern der Unter¬
schied , daß in Japan das Volk selbst auf Neuerungen hingedrängt und mit
Hand angelegt hat, während in Siam die Reformen ganz allein vom König
anbefohlen und durchgeführt worden sind. Es drängte dazu die Erkenntnis,
daß Siams Selbständigkeit nur dann gerettet werden könnte, wenn geordnete
Zustände den eifersüchtigen Nachbarn jede Gelegenheit zur Einmischung in die
innern Verhältnisse nähmen.

Der jetzige König Tschnlalonkorn ist ein Sohn des „weisen" Mongkut,
unter dem in den Jahren 1855 bis 1368 die Handelsverträge mit den euro¬
päischen Großmächten zu stände kamen. Preußen knüpfte 1862 durch den
Grafen Eulenburg auf der Fahrt der Gazelle mit Siam Handelsbeziehungen
an. Seitdem haben sich westindische Sitten immer mehr verbreitet und in
die erstarrten Verhältnisse neues Leben gebracht. Den Überlieferungen seines
Vaters ist Tschnlalonkorn, der am 1. Oktober 1868 im Alter von siebzehn
Jahren auf den Thron kam, treu geblieben- Da er eine englische Erzieherin
gehabt hatte, so hatte er durch die Kenntnis der englischen Sprache die Möglich¬
keit gefunden, sich über die Verhältnisse außerhalb Siams zu unterrichten. In
seinen ersten Negicrungsjahren unternahm er Reisen nach Java und Kalkutta.


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[0417] [Abbildung] Siams Kulturbestrebungen und Deutschlands Anteil el dem regen Interesse, das wir jetzt den Vorgängen in Ost¬ asien entgegenbringen, ist es zu verwundern, daß man in den deutschen Zeitungen einem Lande nur wenig Beachtung geschenkt hat, das nicht weit entfernt von der großen Verkehrsstraße von Malakka gelegen ist. Wir meinen Siam, das Reich des weißen Elefanten. Zwar ist es schon vor einigen Jahrzehnten der westlichen Kultur erschlossen worden, aber namentlich in letzter Zeit hat es große Fortschritte gemacht, und gerade auch deutsche Arbeit hat hierbei tüchtig mitgeholfen. Siam ist neben Japan das Land des Ostens, wo europäische Kultur am meisten Eingang gefunden hat. Nur besteht zwischen beiden Ländern der Unter¬ schied , daß in Japan das Volk selbst auf Neuerungen hingedrängt und mit Hand angelegt hat, während in Siam die Reformen ganz allein vom König anbefohlen und durchgeführt worden sind. Es drängte dazu die Erkenntnis, daß Siams Selbständigkeit nur dann gerettet werden könnte, wenn geordnete Zustände den eifersüchtigen Nachbarn jede Gelegenheit zur Einmischung in die innern Verhältnisse nähmen. Der jetzige König Tschnlalonkorn ist ein Sohn des „weisen" Mongkut, unter dem in den Jahren 1855 bis 1368 die Handelsverträge mit den euro¬ päischen Großmächten zu stände kamen. Preußen knüpfte 1862 durch den Grafen Eulenburg auf der Fahrt der Gazelle mit Siam Handelsbeziehungen an. Seitdem haben sich westindische Sitten immer mehr verbreitet und in die erstarrten Verhältnisse neues Leben gebracht. Den Überlieferungen seines Vaters ist Tschnlalonkorn, der am 1. Oktober 1868 im Alter von siebzehn Jahren auf den Thron kam, treu geblieben- Da er eine englische Erzieherin gehabt hatte, so hatte er durch die Kenntnis der englischen Sprache die Möglich¬ keit gefunden, sich über die Verhältnisse außerhalb Siams zu unterrichten. In seinen ersten Negicrungsjahren unternahm er Reisen nach Java und Kalkutta. Grenzboten II M»8 l>L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/417>, abgerufen am 04.05.2024.