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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

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on im Jahre 1896 wurde infolge der Armenicrunruhen und
infolge der christlichen Agitation, die durch die blutige Unter¬
drückung dieser Unruhen hervorgerufen worden war, die öffent¬
liche Aufmerksamkeit in Deutschland wieder ganz dem alten
Orient zugewandt. Auch im Jahre 1897 richteten sich die Blicke
nach dem Osten wegen der Erhebung auf Kreta, der ergebnislosen Verhand¬
lung der europäischen Diplomatie über diese ebenso schöne als unglückliche
Insel, und wegen des Versuchs der Griechen, sie durch einen dreisten Hand¬
streich in ihre Gewalt zu bringen. Der thessalische Feldzug der Türkei im
Frühjahr 1897 und die gründliche Niederwerfung des hellenischen Übermutes
durch deutschgeschulte türkische Kräfte waren die Folge. Bald darauf, im
Herbste 1897, begann sich das öffentliche Interesse in wachsendem Umfange
dem britischen Feldzug an der Nordgrenze vou Judien zuzuwenden, über dessen
unglücklichen Verlauf die Engländer längere Zeit die Welt im Unklaren ge¬
lassen haben. Zu Anfang dieses Jahres endlich wurde die Aufmerksamkeit
hauptsächlich in Anspruch genommen durch die deutsche Unternehmung an der
Küste von China und durch das diplomatische Ringen zwischen Rußland und
England in Peking.

Es ist früher an dieser Stelle auf die Gefahren großer weltbewegender
Verwicklungen hingewiesen worden, die gerade dort im fernen Osten liegen.
Aber wenn auch die gewaltigen Interessengegensätze dort auf der andern Seite
der Erde zu einem weltbewegenden Kampfe führen sollten, ausgefochten wird
er doch kaum in den chinesischen Gewässern werden, ja selbst nicht einmal in
Mittelasien oder in- den Bergen zwischen Indien und Turkestan -- er wird
ausgefochten werden in der Nähe des Suezkanals, durch den Englands Haupt-
verkehrsliuie nach Südasien führt. Gelingt es Nußland, vom Schwarzen Meere
her vorzustoßen und diese Verbindungslinie der Engländer zu unterbrechen
oder auch nur ernstlich und dauernd zu bedrohen, so wäre es vielleicht schon
um Englands Machtstellung in Südasten geschehen. Hält man sich diese
Sachlage klar vor Augen, daß Nußland die Entscheidung, wenn es sie herbei¬
führen will, am sichersten zwischen dem Bosporus und dem Suezkanal suchen
wird, und daß England seinen verwundbarsten Punkt an dieser Stelle hat, so
wird nicht nur die Anknüpfung intimer Beziehungen zwischen Rußland und




Makedonien

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on im Jahre 1896 wurde infolge der Armenicrunruhen und
infolge der christlichen Agitation, die durch die blutige Unter¬
drückung dieser Unruhen hervorgerufen worden war, die öffent¬
liche Aufmerksamkeit in Deutschland wieder ganz dem alten
Orient zugewandt. Auch im Jahre 1897 richteten sich die Blicke
nach dem Osten wegen der Erhebung auf Kreta, der ergebnislosen Verhand¬
lung der europäischen Diplomatie über diese ebenso schöne als unglückliche
Insel, und wegen des Versuchs der Griechen, sie durch einen dreisten Hand¬
streich in ihre Gewalt zu bringen. Der thessalische Feldzug der Türkei im
Frühjahr 1897 und die gründliche Niederwerfung des hellenischen Übermutes
durch deutschgeschulte türkische Kräfte waren die Folge. Bald darauf, im
Herbste 1897, begann sich das öffentliche Interesse in wachsendem Umfange
dem britischen Feldzug an der Nordgrenze vou Judien zuzuwenden, über dessen
unglücklichen Verlauf die Engländer längere Zeit die Welt im Unklaren ge¬
lassen haben. Zu Anfang dieses Jahres endlich wurde die Aufmerksamkeit
hauptsächlich in Anspruch genommen durch die deutsche Unternehmung an der
Küste von China und durch das diplomatische Ringen zwischen Rußland und
England in Peking.

Es ist früher an dieser Stelle auf die Gefahren großer weltbewegender
Verwicklungen hingewiesen worden, die gerade dort im fernen Osten liegen.
Aber wenn auch die gewaltigen Interessengegensätze dort auf der andern Seite
der Erde zu einem weltbewegenden Kampfe führen sollten, ausgefochten wird
er doch kaum in den chinesischen Gewässern werden, ja selbst nicht einmal in
Mittelasien oder in- den Bergen zwischen Indien und Turkestan — er wird
ausgefochten werden in der Nähe des Suezkanals, durch den Englands Haupt-
verkehrsliuie nach Südasien führt. Gelingt es Nußland, vom Schwarzen Meere
her vorzustoßen und diese Verbindungslinie der Engländer zu unterbrechen
oder auch nur ernstlich und dauernd zu bedrohen, so wäre es vielleicht schon
um Englands Machtstellung in Südasten geschehen. Hält man sich diese
Sachlage klar vor Augen, daß Nußland die Entscheidung, wenn es sie herbei¬
führen will, am sichersten zwischen dem Bosporus und dem Suezkanal suchen
wird, und daß England seinen verwundbarsten Punkt an dieser Stelle hat, so
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[0114] [Abbildung] Makedonien ch on im Jahre 1896 wurde infolge der Armenicrunruhen und infolge der christlichen Agitation, die durch die blutige Unter¬ drückung dieser Unruhen hervorgerufen worden war, die öffent¬ liche Aufmerksamkeit in Deutschland wieder ganz dem alten Orient zugewandt. Auch im Jahre 1897 richteten sich die Blicke nach dem Osten wegen der Erhebung auf Kreta, der ergebnislosen Verhand¬ lung der europäischen Diplomatie über diese ebenso schöne als unglückliche Insel, und wegen des Versuchs der Griechen, sie durch einen dreisten Hand¬ streich in ihre Gewalt zu bringen. Der thessalische Feldzug der Türkei im Frühjahr 1897 und die gründliche Niederwerfung des hellenischen Übermutes durch deutschgeschulte türkische Kräfte waren die Folge. Bald darauf, im Herbste 1897, begann sich das öffentliche Interesse in wachsendem Umfange dem britischen Feldzug an der Nordgrenze vou Judien zuzuwenden, über dessen unglücklichen Verlauf die Engländer längere Zeit die Welt im Unklaren ge¬ lassen haben. Zu Anfang dieses Jahres endlich wurde die Aufmerksamkeit hauptsächlich in Anspruch genommen durch die deutsche Unternehmung an der Küste von China und durch das diplomatische Ringen zwischen Rußland und England in Peking. Es ist früher an dieser Stelle auf die Gefahren großer weltbewegender Verwicklungen hingewiesen worden, die gerade dort im fernen Osten liegen. Aber wenn auch die gewaltigen Interessengegensätze dort auf der andern Seite der Erde zu einem weltbewegenden Kampfe führen sollten, ausgefochten wird er doch kaum in den chinesischen Gewässern werden, ja selbst nicht einmal in Mittelasien oder in- den Bergen zwischen Indien und Turkestan — er wird ausgefochten werden in der Nähe des Suezkanals, durch den Englands Haupt- verkehrsliuie nach Südasien führt. Gelingt es Nußland, vom Schwarzen Meere her vorzustoßen und diese Verbindungslinie der Engländer zu unterbrechen oder auch nur ernstlich und dauernd zu bedrohen, so wäre es vielleicht schon um Englands Machtstellung in Südasten geschehen. Hält man sich diese Sachlage klar vor Augen, daß Nußland die Entscheidung, wenn es sie herbei¬ führen will, am sichersten zwischen dem Bosporus und dem Suezkanal suchen wird, und daß England seinen verwundbarsten Punkt an dieser Stelle hat, so wird nicht nur die Anknüpfung intimer Beziehungen zwischen Rußland und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/114>, abgerufen am 29.04.2024.