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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Aus längst vergangnen Tagen
Das Bild meiner Großmutter

uf meinem Kaminsims steht ein altes
, zierlich ans Elfenbein gemaltes
Miniaturporträt, ein junges Mädchen mit kurzem Haar in gelbem,
beinahe durchscheinendem Mnllkleid, dessen Schnitt sich schon etwas
dem Empire nähert. Es ist, wie mir zufällig dieser Tage eingefallen
ist, fast hundert Jahre alt; heute liebt man diese kleinen Bilder
wieder, ich könnte wohl fünfzig Mark dafür erlösen (ich verstehe
mich ein klein wenig ans diese Dinge), aber ich habe es mir erhalten und will
nun, wie man hundertjährige Jubiläen von großen Ereignissen und Menschen
begeht, das Andenken meines kleinen Bildes feiern und etwas von der Persönlichkeit
erzählen, die das Bild darstellt.

Es stellt meine Großmutter vor, die 1784 geboren wurde und 1871 starb.
Das ist an sich nichts besondres, es giebt ja Leute, die noch viel älter geworden
sind, aber es kommt immer darauf an, was für geschichtliche Epochen von des
einzelnen Menschen Leben umschlossen werden, und da ist mir meiner Großmutter
Lebenszeit immer in folgender Erwägung sehr merkwürdig vorgekommen. Ganz
früh hatte sie schon mit vollem Bewußtsein die französische Revolution erlebt, einige
Jahre nach der Zeit, wo das kleine Bild gemacht wurde, und vielleicht in dem¬
selben gelben Kleide, nnr etwas weiter gemacht (damals wechselte man bekanntlich
die guten Kleider nicht so schnell), mußte sie während der Okkupation Hannovers
dem französischen General Mortier als die Tochter eines Beamten in angeschner
Stellung eine mit Goldstücken gefüllte Tabatiere überreichen, da der General bei
der Uebernahme einer Kriegskontribution geäußert hatte, die Stadt habe noch nichts
für ihn selbst gethan. Ueber sechzig Jahre später mußte sie dann die Annexion
ihres liebe" Hannovers erleben, die sie später ständig mit der Wendung zu be-
seufzeu pflegte: "Es war doch so ein nobles Haus" sniimlich das hannoversche
Königshaus); ihr Trost blieb dabei nur, daß Gott es so zugelassen habe, und daß
der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen eine englische Prinzessin zur Ge¬
mahlin hatte; so blieb der Besitz wenigstens gewissermaßen in der Familie. Sie
stammte ja aus einer Zeit, wo mau die Geschichte als um der Herrscher und nicht
der Völker willen geschehend anzusehen pflegte. Von ihrem dritten großen Er¬
lebnis machte die Gründung des Deutschen Reiches auf sie viel weniger Eindruck,
als das Strafgericht an den Franzosen, deren einstige Uebergriffe noch deutlich vor
ihrer Seele standen.

Meiner Großmutter Leben umschloß also große Wendungen der Weltgeschichte.
Sie war eine nicht nnr erfahrne, sondern auch persönlich ungemein kluge Frau
und durch ihre Stellung in einem bevorzugten Lebenskreise wohl geeignet, die Er¬
innerung an das Vergangne in einer für das kommende Geschlecht lehrreichen
Weise wach zu halten. Die Art, wie sie mit ihren Gedanken in dem Alten weiter
lebte, erschien zwar uns Kindern meist als eine erfolglose Opposition gegen das Recht




Aus längst vergangnen Tagen
Das Bild meiner Großmutter

uf meinem Kaminsims steht ein altes
, zierlich ans Elfenbein gemaltes
Miniaturporträt, ein junges Mädchen mit kurzem Haar in gelbem,
beinahe durchscheinendem Mnllkleid, dessen Schnitt sich schon etwas
dem Empire nähert. Es ist, wie mir zufällig dieser Tage eingefallen
ist, fast hundert Jahre alt; heute liebt man diese kleinen Bilder
wieder, ich könnte wohl fünfzig Mark dafür erlösen (ich verstehe
mich ein klein wenig ans diese Dinge), aber ich habe es mir erhalten und will
nun, wie man hundertjährige Jubiläen von großen Ereignissen und Menschen
begeht, das Andenken meines kleinen Bildes feiern und etwas von der Persönlichkeit
erzählen, die das Bild darstellt.

Es stellt meine Großmutter vor, die 1784 geboren wurde und 1871 starb.
Das ist an sich nichts besondres, es giebt ja Leute, die noch viel älter geworden
sind, aber es kommt immer darauf an, was für geschichtliche Epochen von des
einzelnen Menschen Leben umschlossen werden, und da ist mir meiner Großmutter
Lebenszeit immer in folgender Erwägung sehr merkwürdig vorgekommen. Ganz
früh hatte sie schon mit vollem Bewußtsein die französische Revolution erlebt, einige
Jahre nach der Zeit, wo das kleine Bild gemacht wurde, und vielleicht in dem¬
selben gelben Kleide, nnr etwas weiter gemacht (damals wechselte man bekanntlich
die guten Kleider nicht so schnell), mußte sie während der Okkupation Hannovers
dem französischen General Mortier als die Tochter eines Beamten in angeschner
Stellung eine mit Goldstücken gefüllte Tabatiere überreichen, da der General bei
der Uebernahme einer Kriegskontribution geäußert hatte, die Stadt habe noch nichts
für ihn selbst gethan. Ueber sechzig Jahre später mußte sie dann die Annexion
ihres liebe» Hannovers erleben, die sie später ständig mit der Wendung zu be-
seufzeu pflegte: „Es war doch so ein nobles Haus" sniimlich das hannoversche
Königshaus); ihr Trost blieb dabei nur, daß Gott es so zugelassen habe, und daß
der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen eine englische Prinzessin zur Ge¬
mahlin hatte; so blieb der Besitz wenigstens gewissermaßen in der Familie. Sie
stammte ja aus einer Zeit, wo mau die Geschichte als um der Herrscher und nicht
der Völker willen geschehend anzusehen pflegte. Von ihrem dritten großen Er¬
lebnis machte die Gründung des Deutschen Reiches auf sie viel weniger Eindruck,
als das Strafgericht an den Franzosen, deren einstige Uebergriffe noch deutlich vor
ihrer Seele standen.

Meiner Großmutter Leben umschloß also große Wendungen der Weltgeschichte.
Sie war eine nicht nnr erfahrne, sondern auch persönlich ungemein kluge Frau
und durch ihre Stellung in einem bevorzugten Lebenskreise wohl geeignet, die Er¬
innerung an das Vergangne in einer für das kommende Geschlecht lehrreichen
Weise wach zu halten. Die Art, wie sie mit ihren Gedanken in dem Alten weiter
lebte, erschien zwar uns Kindern meist als eine erfolglose Opposition gegen das Recht


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[0142] [Abbildung] Aus längst vergangnen Tagen Das Bild meiner Großmutter uf meinem Kaminsims steht ein altes , zierlich ans Elfenbein gemaltes Miniaturporträt, ein junges Mädchen mit kurzem Haar in gelbem, beinahe durchscheinendem Mnllkleid, dessen Schnitt sich schon etwas dem Empire nähert. Es ist, wie mir zufällig dieser Tage eingefallen ist, fast hundert Jahre alt; heute liebt man diese kleinen Bilder wieder, ich könnte wohl fünfzig Mark dafür erlösen (ich verstehe mich ein klein wenig ans diese Dinge), aber ich habe es mir erhalten und will nun, wie man hundertjährige Jubiläen von großen Ereignissen und Menschen begeht, das Andenken meines kleinen Bildes feiern und etwas von der Persönlichkeit erzählen, die das Bild darstellt. Es stellt meine Großmutter vor, die 1784 geboren wurde und 1871 starb. Das ist an sich nichts besondres, es giebt ja Leute, die noch viel älter geworden sind, aber es kommt immer darauf an, was für geschichtliche Epochen von des einzelnen Menschen Leben umschlossen werden, und da ist mir meiner Großmutter Lebenszeit immer in folgender Erwägung sehr merkwürdig vorgekommen. Ganz früh hatte sie schon mit vollem Bewußtsein die französische Revolution erlebt, einige Jahre nach der Zeit, wo das kleine Bild gemacht wurde, und vielleicht in dem¬ selben gelben Kleide, nnr etwas weiter gemacht (damals wechselte man bekanntlich die guten Kleider nicht so schnell), mußte sie während der Okkupation Hannovers dem französischen General Mortier als die Tochter eines Beamten in angeschner Stellung eine mit Goldstücken gefüllte Tabatiere überreichen, da der General bei der Uebernahme einer Kriegskontribution geäußert hatte, die Stadt habe noch nichts für ihn selbst gethan. Ueber sechzig Jahre später mußte sie dann die Annexion ihres liebe» Hannovers erleben, die sie später ständig mit der Wendung zu be- seufzeu pflegte: „Es war doch so ein nobles Haus" sniimlich das hannoversche Königshaus); ihr Trost blieb dabei nur, daß Gott es so zugelassen habe, und daß der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen eine englische Prinzessin zur Ge¬ mahlin hatte; so blieb der Besitz wenigstens gewissermaßen in der Familie. Sie stammte ja aus einer Zeit, wo mau die Geschichte als um der Herrscher und nicht der Völker willen geschehend anzusehen pflegte. Von ihrem dritten großen Er¬ lebnis machte die Gründung des Deutschen Reiches auf sie viel weniger Eindruck, als das Strafgericht an den Franzosen, deren einstige Uebergriffe noch deutlich vor ihrer Seele standen. Meiner Großmutter Leben umschloß also große Wendungen der Weltgeschichte. Sie war eine nicht nnr erfahrne, sondern auch persönlich ungemein kluge Frau und durch ihre Stellung in einem bevorzugten Lebenskreise wohl geeignet, die Er¬ innerung an das Vergangne in einer für das kommende Geschlecht lehrreichen Weise wach zu halten. Die Art, wie sie mit ihren Gedanken in dem Alten weiter lebte, erschien zwar uns Kindern meist als eine erfolglose Opposition gegen das Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/142>, abgerufen am 29.04.2024.