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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der fünfte Band des Vismarck-Jahrbuchs^)

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e Urkunden und Briefe dieses wieder sehr reichhaltigen Bandes
sind insofern ein einheitlicheres Ganze, als sie im Gegensatz zu
frühern Jahrgängen mit wenigen Ausnahmen nur der Periode
von 1851 bis 1865 angehören. Vielleicht ist dabei der Wunsch
berechtigt, daß auch künftig auf einen solchen innern Zusammen¬
hang, wenn möglich, mehr Rücksicht genommen werden möge als bisher. Die
größte und interessanteste Gruppe sind die dreiunddreißig Briefe Bismarcks an
den Legationsrat Wentzel in Frankfurt und dessen hundertundsechzehn Briefe
an Vismarck, denn sie umfassen die ganze Bundestagszeit des Staatsmanns,
seine Botschafterzeit in Petersburg und Paris und die ersten Jahre seiner
Ministerschaft. In dieselbe Zeit gehören sechs Briefe des berufnen Flotten¬
verkäufers Hannibal Fischer, einige Schreiben Manteuffels und Gerlachs, fünf
Briefe des Unterstaatssekretärs Grüner, vor allem aber zweiunddreißig Briefe
des Grafen Robert von der Goltz, denen ein langer, höchst interessanter Brief
Bismarcks beigegeben ist, zwei Briefe König Wilhelms und einer des Erb¬
prinzen Friedrich von Augustenburg.

In dem Briefwechsel zwischen Vismarck und Wentzel liegt der Schwer¬
punkt natürlich in den Angelegenheiten des Deutschen Bundes. Deutlich
tritt dabei die ganze Hoffnungslosigkeit dieses Zustandes hervor. Zwischen
Preußen auf der einen Seite, Österreich und den Mittelstaaten auf der andern
klafft ein tiefer Gegensatz. "Adolph von Nassau wird ganz Österreicher,"
schreibt Wentzel am 23. Oktober 1858; selbst in Baden kämpft 1854 der
Prinzregent (Großherzog Friedrich) mühsam gegen den übermächtigen öster¬
reichischen Einfluß, der in dem damaligen Kirchenstreit seine Stütze findet. Zu
den bekannten Urteilen über die österreichischen Präsidialgesandten Graf Thun
und Prokesch-Osten gesellt sich ein sehr schneidendes über Graf Rechberg, das
von dem Friedjungs weit abweicht. "Es giebt kaum einen verbissener" Preußen¬
feind," schreibt Wentzel am 2. Mai 1859; und in einem Briefe vom 16. Februar
1862, als Nechberg schon österreichischer Ministerpräsident war, heißt es:
"Rechberg repräsentier die Wollust des Preußenhasscs." Sein "Preußenhaß"



*> Herausgegeben von Horst Kohl. Leipzig, G> I. Göschen, 1398.


Der fünfte Band des Vismarck-Jahrbuchs^)

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e Urkunden und Briefe dieses wieder sehr reichhaltigen Bandes
sind insofern ein einheitlicheres Ganze, als sie im Gegensatz zu
frühern Jahrgängen mit wenigen Ausnahmen nur der Periode
von 1851 bis 1865 angehören. Vielleicht ist dabei der Wunsch
berechtigt, daß auch künftig auf einen solchen innern Zusammen¬
hang, wenn möglich, mehr Rücksicht genommen werden möge als bisher. Die
größte und interessanteste Gruppe sind die dreiunddreißig Briefe Bismarcks an
den Legationsrat Wentzel in Frankfurt und dessen hundertundsechzehn Briefe
an Vismarck, denn sie umfassen die ganze Bundestagszeit des Staatsmanns,
seine Botschafterzeit in Petersburg und Paris und die ersten Jahre seiner
Ministerschaft. In dieselbe Zeit gehören sechs Briefe des berufnen Flotten¬
verkäufers Hannibal Fischer, einige Schreiben Manteuffels und Gerlachs, fünf
Briefe des Unterstaatssekretärs Grüner, vor allem aber zweiunddreißig Briefe
des Grafen Robert von der Goltz, denen ein langer, höchst interessanter Brief
Bismarcks beigegeben ist, zwei Briefe König Wilhelms und einer des Erb¬
prinzen Friedrich von Augustenburg.

In dem Briefwechsel zwischen Vismarck und Wentzel liegt der Schwer¬
punkt natürlich in den Angelegenheiten des Deutschen Bundes. Deutlich
tritt dabei die ganze Hoffnungslosigkeit dieses Zustandes hervor. Zwischen
Preußen auf der einen Seite, Österreich und den Mittelstaaten auf der andern
klafft ein tiefer Gegensatz. „Adolph von Nassau wird ganz Österreicher,"
schreibt Wentzel am 23. Oktober 1858; selbst in Baden kämpft 1854 der
Prinzregent (Großherzog Friedrich) mühsam gegen den übermächtigen öster¬
reichischen Einfluß, der in dem damaligen Kirchenstreit seine Stütze findet. Zu
den bekannten Urteilen über die österreichischen Präsidialgesandten Graf Thun
und Prokesch-Osten gesellt sich ein sehr schneidendes über Graf Rechberg, das
von dem Friedjungs weit abweicht. „Es giebt kaum einen verbissener» Preußen¬
feind," schreibt Wentzel am 2. Mai 1859; und in einem Briefe vom 16. Februar
1862, als Nechberg schon österreichischer Ministerpräsident war, heißt es:
„Rechberg repräsentier die Wollust des Preußenhasscs." Sein „Preußenhaß"



*> Herausgegeben von Horst Kohl. Leipzig, G> I. Göschen, 1398.
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[0172] [Abbildung] Der fünfte Band des Vismarck-Jahrbuchs^) l e Urkunden und Briefe dieses wieder sehr reichhaltigen Bandes sind insofern ein einheitlicheres Ganze, als sie im Gegensatz zu frühern Jahrgängen mit wenigen Ausnahmen nur der Periode von 1851 bis 1865 angehören. Vielleicht ist dabei der Wunsch berechtigt, daß auch künftig auf einen solchen innern Zusammen¬ hang, wenn möglich, mehr Rücksicht genommen werden möge als bisher. Die größte und interessanteste Gruppe sind die dreiunddreißig Briefe Bismarcks an den Legationsrat Wentzel in Frankfurt und dessen hundertundsechzehn Briefe an Vismarck, denn sie umfassen die ganze Bundestagszeit des Staatsmanns, seine Botschafterzeit in Petersburg und Paris und die ersten Jahre seiner Ministerschaft. In dieselbe Zeit gehören sechs Briefe des berufnen Flotten¬ verkäufers Hannibal Fischer, einige Schreiben Manteuffels und Gerlachs, fünf Briefe des Unterstaatssekretärs Grüner, vor allem aber zweiunddreißig Briefe des Grafen Robert von der Goltz, denen ein langer, höchst interessanter Brief Bismarcks beigegeben ist, zwei Briefe König Wilhelms und einer des Erb¬ prinzen Friedrich von Augustenburg. In dem Briefwechsel zwischen Vismarck und Wentzel liegt der Schwer¬ punkt natürlich in den Angelegenheiten des Deutschen Bundes. Deutlich tritt dabei die ganze Hoffnungslosigkeit dieses Zustandes hervor. Zwischen Preußen auf der einen Seite, Österreich und den Mittelstaaten auf der andern klafft ein tiefer Gegensatz. „Adolph von Nassau wird ganz Österreicher," schreibt Wentzel am 23. Oktober 1858; selbst in Baden kämpft 1854 der Prinzregent (Großherzog Friedrich) mühsam gegen den übermächtigen öster¬ reichischen Einfluß, der in dem damaligen Kirchenstreit seine Stütze findet. Zu den bekannten Urteilen über die österreichischen Präsidialgesandten Graf Thun und Prokesch-Osten gesellt sich ein sehr schneidendes über Graf Rechberg, das von dem Friedjungs weit abweicht. „Es giebt kaum einen verbissener» Preußen¬ feind," schreibt Wentzel am 2. Mai 1859; und in einem Briefe vom 16. Februar 1862, als Nechberg schon österreichischer Ministerpräsident war, heißt es: „Rechberg repräsentier die Wollust des Preußenhasscs." Sein „Preußenhaß" *> Herausgegeben von Horst Kohl. Leipzig, G> I. Göschen, 1398.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/172>, abgerufen am 29.04.2024.