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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ungedruckte Briefe von Robert Schumann

(Mendelssohn und Chopin) schon gestorben waren. Von Wiecks kalter Gleichgiltigkeit
gegen Schumann konnten sich auch Fernerstehende überzeugen. Als der holländische
Musikdirektor Ferd. Böhm 1852 bei Wieck war und ihm von seinem Besuch bei
Schumann in Düsseldorf erzählte, hatte Wieck lautlos zugehört, sich weder nach
Schumanns Befinden erkundigt, noch auch dessen Gruß mit einem Dank entgegen¬
genommen. Dies auffällige Verhalten war Böhm erst in späterer Zeit verständlich
geworden. Schumann selbst hat einmal in Düsseldorf gegen Th. Kirchner aus¬
gesprochen, daß das frühere Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und Wieck nicht
Wiederhergestellt worden sei.


13
An Henriette Bünau geb. Grcibau

^Oktober oder November 1843^


Verehrteste Frau,

Hr. Musikdirector Hiller wird Ihnen heut Abend den Clavierauszug
der Perl zustellen. Wollten Sie so gefällig sein, die bewußten Nummern
mit Ihren jungen Damen noch einmal durchzugehen, und darf ich einmal zu¬
horchen?

Den Clavierauszug wollen Sie morgen gleich im Gewandhaus zurück¬
lassen. Abends 6 Uhr soll eine Probe sein, wo ich vielleicht das Vergnügen
habe, Sie zu sehen.

Entschuldigen Sie meine vielen Bitten und halten mich für Ihren


dankbar ergebenen
R. Schumann.

Sonntag.

Fran Bünau, die in den beiden ersten Aufführungen der Perl -- am 4. und
11. Dezember 1343 -- die Altsolos sang, hatte sich zu einer Extraübung der
Frauenchöre erboten. Schumanns Verehrung der ausgezeichneten Sängerin teilte
auch Mendelssohn; er schrieb am 31. Oktober 1836 dem Maler Hildebrandt:
"Noch muß ich Dir von einer Sängerin (der Schwester des Malers Grabau) er¬
zählen, die hier ist, und die Du einmal hören solltest, wenn sie Beethovensche
Lieder singt. So etwas Vollkommenes ist mir selten bei einer deutschen Sängerin
vorgekommen, und die Düsseldorfer Musensöhne würden schwärmen, wenn sie diesen
glockenreinen Vortrag hören könnten. Wenn sie ein bischen hübsch wäre, und
jünger, so müßte ich mich auf der Stelle verlieben und thäte den ganzen Tag nichts,
als Lieder componiren, während ich jetzt an der Vollendung des Paulus fleißig
arbeite." (Nord und Süd, 1895, Band 75, S. 312.)

Clara Schumann hatte Mendelssohn zur zweiten Aufführung der Perl ein¬
geladen. Er erwiderte ihr darauf:

Berlin den 10. Dec. 1843.


Liebe Frau Doctorin!

Hätte ich nur Ihren freundlichen Brief mit der gar zu lockenden Einladung
einen Tag früher bekommen, dann hätte ich doch nicht widerstehen können, und
wenn auch alle Berliner Vernunft dagegen gesprochen hätte! Aber ich bekam ihn
(durch welch ein böses Ungefähr weiß ich nicht) erst jetzt eben, Sonntag Mittag,
und nun ist der morgende Tag schon so besetzt mit Verabredungen, Geschäften und


Ungedruckte Briefe von Robert Schumann

(Mendelssohn und Chopin) schon gestorben waren. Von Wiecks kalter Gleichgiltigkeit
gegen Schumann konnten sich auch Fernerstehende überzeugen. Als der holländische
Musikdirektor Ferd. Böhm 1852 bei Wieck war und ihm von seinem Besuch bei
Schumann in Düsseldorf erzählte, hatte Wieck lautlos zugehört, sich weder nach
Schumanns Befinden erkundigt, noch auch dessen Gruß mit einem Dank entgegen¬
genommen. Dies auffällige Verhalten war Böhm erst in späterer Zeit verständlich
geworden. Schumann selbst hat einmal in Düsseldorf gegen Th. Kirchner aus¬
gesprochen, daß das frühere Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und Wieck nicht
Wiederhergestellt worden sei.


13
An Henriette Bünau geb. Grcibau

^Oktober oder November 1843^


Verehrteste Frau,

Hr. Musikdirector Hiller wird Ihnen heut Abend den Clavierauszug
der Perl zustellen. Wollten Sie so gefällig sein, die bewußten Nummern
mit Ihren jungen Damen noch einmal durchzugehen, und darf ich einmal zu¬
horchen?

Den Clavierauszug wollen Sie morgen gleich im Gewandhaus zurück¬
lassen. Abends 6 Uhr soll eine Probe sein, wo ich vielleicht das Vergnügen
habe, Sie zu sehen.

Entschuldigen Sie meine vielen Bitten und halten mich für Ihren


dankbar ergebenen
R. Schumann.

Sonntag.

Fran Bünau, die in den beiden ersten Aufführungen der Perl — am 4. und
11. Dezember 1343 — die Altsolos sang, hatte sich zu einer Extraübung der
Frauenchöre erboten. Schumanns Verehrung der ausgezeichneten Sängerin teilte
auch Mendelssohn; er schrieb am 31. Oktober 1836 dem Maler Hildebrandt:
„Noch muß ich Dir von einer Sängerin (der Schwester des Malers Grabau) er¬
zählen, die hier ist, und die Du einmal hören solltest, wenn sie Beethovensche
Lieder singt. So etwas Vollkommenes ist mir selten bei einer deutschen Sängerin
vorgekommen, und die Düsseldorfer Musensöhne würden schwärmen, wenn sie diesen
glockenreinen Vortrag hören könnten. Wenn sie ein bischen hübsch wäre, und
jünger, so müßte ich mich auf der Stelle verlieben und thäte den ganzen Tag nichts,
als Lieder componiren, während ich jetzt an der Vollendung des Paulus fleißig
arbeite." (Nord und Süd, 1895, Band 75, S. 312.)

Clara Schumann hatte Mendelssohn zur zweiten Aufführung der Perl ein¬
geladen. Er erwiderte ihr darauf:

Berlin den 10. Dec. 1843.


Liebe Frau Doctorin!

Hätte ich nur Ihren freundlichen Brief mit der gar zu lockenden Einladung
einen Tag früher bekommen, dann hätte ich doch nicht widerstehen können, und
wenn auch alle Berliner Vernunft dagegen gesprochen hätte! Aber ich bekam ihn
(durch welch ein böses Ungefähr weiß ich nicht) erst jetzt eben, Sonntag Mittag,
und nun ist der morgende Tag schon so besetzt mit Verabredungen, Geschäften und


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[0183] Ungedruckte Briefe von Robert Schumann (Mendelssohn und Chopin) schon gestorben waren. Von Wiecks kalter Gleichgiltigkeit gegen Schumann konnten sich auch Fernerstehende überzeugen. Als der holländische Musikdirektor Ferd. Böhm 1852 bei Wieck war und ihm von seinem Besuch bei Schumann in Düsseldorf erzählte, hatte Wieck lautlos zugehört, sich weder nach Schumanns Befinden erkundigt, noch auch dessen Gruß mit einem Dank entgegen¬ genommen. Dies auffällige Verhalten war Böhm erst in späterer Zeit verständlich geworden. Schumann selbst hat einmal in Düsseldorf gegen Th. Kirchner aus¬ gesprochen, daß das frühere Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und Wieck nicht Wiederhergestellt worden sei. 13 An Henriette Bünau geb. Grcibau ^Oktober oder November 1843^ Verehrteste Frau, Hr. Musikdirector Hiller wird Ihnen heut Abend den Clavierauszug der Perl zustellen. Wollten Sie so gefällig sein, die bewußten Nummern mit Ihren jungen Damen noch einmal durchzugehen, und darf ich einmal zu¬ horchen? Den Clavierauszug wollen Sie morgen gleich im Gewandhaus zurück¬ lassen. Abends 6 Uhr soll eine Probe sein, wo ich vielleicht das Vergnügen habe, Sie zu sehen. Entschuldigen Sie meine vielen Bitten und halten mich für Ihren dankbar ergebenen R. Schumann. Sonntag. Fran Bünau, die in den beiden ersten Aufführungen der Perl — am 4. und 11. Dezember 1343 — die Altsolos sang, hatte sich zu einer Extraübung der Frauenchöre erboten. Schumanns Verehrung der ausgezeichneten Sängerin teilte auch Mendelssohn; er schrieb am 31. Oktober 1836 dem Maler Hildebrandt: „Noch muß ich Dir von einer Sängerin (der Schwester des Malers Grabau) er¬ zählen, die hier ist, und die Du einmal hören solltest, wenn sie Beethovensche Lieder singt. So etwas Vollkommenes ist mir selten bei einer deutschen Sängerin vorgekommen, und die Düsseldorfer Musensöhne würden schwärmen, wenn sie diesen glockenreinen Vortrag hören könnten. Wenn sie ein bischen hübsch wäre, und jünger, so müßte ich mich auf der Stelle verlieben und thäte den ganzen Tag nichts, als Lieder componiren, während ich jetzt an der Vollendung des Paulus fleißig arbeite." (Nord und Süd, 1895, Band 75, S. 312.) Clara Schumann hatte Mendelssohn zur zweiten Aufführung der Perl ein¬ geladen. Er erwiderte ihr darauf: Berlin den 10. Dec. 1843. Liebe Frau Doctorin! Hätte ich nur Ihren freundlichen Brief mit der gar zu lockenden Einladung einen Tag früher bekommen, dann hätte ich doch nicht widerstehen können, und wenn auch alle Berliner Vernunft dagegen gesprochen hätte! Aber ich bekam ihn (durch welch ein böses Ungefähr weiß ich nicht) erst jetzt eben, Sonntag Mittag, und nun ist der morgende Tag schon so besetzt mit Verabredungen, Geschäften und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/183>, abgerufen am 29.04.2024.