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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gin sächsisches Gymnasium
während des Krieges von MO/75
v Gelo Uaemmel on

cum von der Stellung des Volks zu militärischen oder politischen
Ereignissen die Rede ist, so denkt man dabei kaum an die Schule,
die doch die jüngere Generation umschließt; höchstens den Uni¬
versitäten gönnt man einen Blick. Im Grunde kann das freilich
nicht weiter auffallen, denn das junge Geschlecht hat noch kein
eignes Urteil und kein Recht mitzusprechen; jenes fängt erst auf der Hoch¬
schule an und dieses Recht noch viel später. Und doch ist es vielleicht
Unrecht, so wenig darnach zu fragen, wie denn große Dinge auf die Jugend
und die Schule eingewirkt haben, denn das Kind ist des Mannes Vater, und
starke Eindrücke haften oft fürs Leben. Dieser Einfluß äußert sich ungefähr
so, wie auf die große Masse des Volks. Nicht alles wirkt, sondern nur be¬
sonders große, erschütternde Thatsachen, und die Teilnahme gestaltet sich nach
der Stellung des Staats zum Volke sehr verschieden. Hat das Volk keinen
thätigen Anteil am Staate, so bleibt es auch den Ereignissen gegenüber passiv,
und passiv bleibt dann auch die Schule; ist das Volk der lebendige Trüger des
Staats, so nimmt es, wo es überhaupt möglich ist, thätigen Anteil, und das¬
selbe thut die Schule. Die Stürme des zweiten schlesischen Krieges hat der junge
Lessing und mit ihm die Fürstenschule Meißen, in deren friedliche Klosterräume
der Kanonendonner von Kesselsdorf hineindröhnte, lediglich als eine lästige
Störung empfunden, und nur mit Neugierde, aber ohne wirkliche innere Teil¬
nahme sahen Leopold Ranke und seine Kameraden die Heersäulen Napoleons I.
an den Mauern von Schulpforte vorüberziehen. Wie anders war das 1870,
in dem ersten Kriege, den das geeinigte deutsche Volksheer führte! In den
Programmen der Schulen freilich ist davon wenig mehr zu finden, als eine
Anzahl trockner chronistischer Angaben; von dem, was die Herzen der kleinen
Schulgemeinde bewegt hat, ist wenig die Rede. Nur persönliche Erinnerung
kann hier ergänzend eintreten, und so mag im folgenden der Versuch gemacht
werden, aus solchen Erinnerungen heraus zu schildern, wie ein deutsches und
zwar ein sächsisches Gymnasium während der gewaltigen Monate vom Juli
1870 bis zum März 1871 gelebt hat.




Gin sächsisches Gymnasium
während des Krieges von MO/75
v Gelo Uaemmel on

cum von der Stellung des Volks zu militärischen oder politischen
Ereignissen die Rede ist, so denkt man dabei kaum an die Schule,
die doch die jüngere Generation umschließt; höchstens den Uni¬
versitäten gönnt man einen Blick. Im Grunde kann das freilich
nicht weiter auffallen, denn das junge Geschlecht hat noch kein
eignes Urteil und kein Recht mitzusprechen; jenes fängt erst auf der Hoch¬
schule an und dieses Recht noch viel später. Und doch ist es vielleicht
Unrecht, so wenig darnach zu fragen, wie denn große Dinge auf die Jugend
und die Schule eingewirkt haben, denn das Kind ist des Mannes Vater, und
starke Eindrücke haften oft fürs Leben. Dieser Einfluß äußert sich ungefähr
so, wie auf die große Masse des Volks. Nicht alles wirkt, sondern nur be¬
sonders große, erschütternde Thatsachen, und die Teilnahme gestaltet sich nach
der Stellung des Staats zum Volke sehr verschieden. Hat das Volk keinen
thätigen Anteil am Staate, so bleibt es auch den Ereignissen gegenüber passiv,
und passiv bleibt dann auch die Schule; ist das Volk der lebendige Trüger des
Staats, so nimmt es, wo es überhaupt möglich ist, thätigen Anteil, und das¬
selbe thut die Schule. Die Stürme des zweiten schlesischen Krieges hat der junge
Lessing und mit ihm die Fürstenschule Meißen, in deren friedliche Klosterräume
der Kanonendonner von Kesselsdorf hineindröhnte, lediglich als eine lästige
Störung empfunden, und nur mit Neugierde, aber ohne wirkliche innere Teil¬
nahme sahen Leopold Ranke und seine Kameraden die Heersäulen Napoleons I.
an den Mauern von Schulpforte vorüberziehen. Wie anders war das 1870,
in dem ersten Kriege, den das geeinigte deutsche Volksheer führte! In den
Programmen der Schulen freilich ist davon wenig mehr zu finden, als eine
Anzahl trockner chronistischer Angaben; von dem, was die Herzen der kleinen
Schulgemeinde bewegt hat, ist wenig die Rede. Nur persönliche Erinnerung
kann hier ergänzend eintreten, und so mag im folgenden der Versuch gemacht
werden, aus solchen Erinnerungen heraus zu schildern, wie ein deutsches und
zwar ein sächsisches Gymnasium während der gewaltigen Monate vom Juli
1870 bis zum März 1871 gelebt hat.


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[0202] [Abbildung] Gin sächsisches Gymnasium während des Krieges von MO/75 v Gelo Uaemmel on cum von der Stellung des Volks zu militärischen oder politischen Ereignissen die Rede ist, so denkt man dabei kaum an die Schule, die doch die jüngere Generation umschließt; höchstens den Uni¬ versitäten gönnt man einen Blick. Im Grunde kann das freilich nicht weiter auffallen, denn das junge Geschlecht hat noch kein eignes Urteil und kein Recht mitzusprechen; jenes fängt erst auf der Hoch¬ schule an und dieses Recht noch viel später. Und doch ist es vielleicht Unrecht, so wenig darnach zu fragen, wie denn große Dinge auf die Jugend und die Schule eingewirkt haben, denn das Kind ist des Mannes Vater, und starke Eindrücke haften oft fürs Leben. Dieser Einfluß äußert sich ungefähr so, wie auf die große Masse des Volks. Nicht alles wirkt, sondern nur be¬ sonders große, erschütternde Thatsachen, und die Teilnahme gestaltet sich nach der Stellung des Staats zum Volke sehr verschieden. Hat das Volk keinen thätigen Anteil am Staate, so bleibt es auch den Ereignissen gegenüber passiv, und passiv bleibt dann auch die Schule; ist das Volk der lebendige Trüger des Staats, so nimmt es, wo es überhaupt möglich ist, thätigen Anteil, und das¬ selbe thut die Schule. Die Stürme des zweiten schlesischen Krieges hat der junge Lessing und mit ihm die Fürstenschule Meißen, in deren friedliche Klosterräume der Kanonendonner von Kesselsdorf hineindröhnte, lediglich als eine lästige Störung empfunden, und nur mit Neugierde, aber ohne wirkliche innere Teil¬ nahme sahen Leopold Ranke und seine Kameraden die Heersäulen Napoleons I. an den Mauern von Schulpforte vorüberziehen. Wie anders war das 1870, in dem ersten Kriege, den das geeinigte deutsche Volksheer führte! In den Programmen der Schulen freilich ist davon wenig mehr zu finden, als eine Anzahl trockner chronistischer Angaben; von dem, was die Herzen der kleinen Schulgemeinde bewegt hat, ist wenig die Rede. Nur persönliche Erinnerung kann hier ergänzend eintreten, und so mag im folgenden der Versuch gemacht werden, aus solchen Erinnerungen heraus zu schildern, wie ein deutsches und zwar ein sächsisches Gymnasium während der gewaltigen Monate vom Juli 1870 bis zum März 1871 gelebt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/202>, abgerufen am 29.04.2024.