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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Wilibald Alexis

Kraft findet, irdischen Gewalthabern Widerstand zu leisten, wenn sie Unrechtes
und Unwürdiges von ihm verlangen. Es ist eben der Geist, den Nietzsche
selbst wieder herstellen möchte. Daß die leibliche Abstammung alles, der per¬
sönliche Charakter und Geist gar nichts zu bedeuten habe, oder daß jeder hoch
oder reich Geborne schon allein durch seine Geburt zur Klasse der echten, der
Geistesaristokratie gehöre, das hat Nietzsche, so viel er sich auch auf seine Ab¬
stammung von einem polnischen Grafen einbilden mochte, sicherlich nie in seinem
Leben auch nur einen Augenblick geglaubt. Ein im Sklavenstand geborner
kann sich zur innerlichen Freiheit emporringen, wie Epiktet, einer der edelsten
Philosophen. Jedem solchen sagt nun Paulus, daß zwar die äußere Lage
seine innere Freiheit nicht beeinträchtige, daß er jedoch, wenn er frei werden
und so das Äußere mit dem Innern in Übereinstimmung bringen könne, die
Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen solle.




Wilibald Alexis Gin Gedenkblatt zum tmndertsteu Geburtstag des Sichlers

er vaterländische Dichter
, dessen Andenken die folgenden Zeilen
gewidmet sind, klagt in der Vorrede seines bekanntesten Werkes
über die Infamie des deutschen Publikums, das heute die Götzen
seiner Laune in den Himmel hebe und sie morgen vom Piedestal
stürze. Er verlangt, die öffentliche Meinung solle auch denen
dankbar bleiben, die irgend einmal ihrem Zeitalter genügt hätten,
und dürfe nicht hohnlachend über die alternden Poeten zur Tagesordnung über¬
gehen. Die Bitterkeit dieser Worte an der Spitze des gelungensten Romans
Hürings (der Hosen des Herr" von Bredow) erklärt sich hinlänglich aus den
seltsamen Erfahrungen, die der Dichter mit der öffentlichen Meinung gemacht
hatte. Nur einmal waren ihm vielstimmiger Beifall und allgemeine Volksgunst
zu teil geworden, als er den Roman Walladmor unter Scotts Namen geschrieben
hatte. Das Publikum hob ihn damals auf seinen Schild für ein Werk, das er
selbst nur als das Augeublicksprodnkt einer kecken Laune ansah. Als er dann
nach langen Irr- und Lehrjahren seiner Muse den rechten Boden, auf dem er
wurzeln und sich selbst zur Freude wachsen konnte, gefunden hatte, sah er sich
einsam und von der Masse wie von den Kunstrichtern, die er schätzte, verlassen.
Nur wenige Erfolge waren ihm dann noch gegönnt. Das trübe Schicksal des
Preußische" Vaterlandes nach 1848 kam hinzu, um ihm, dem tief und leiden¬
schaftlich für die nationale Sache empfindenden, den Blick zu verdüstern und
die Dichterschwingen zu lahmen. Er verfiel schließlich dem traurigsten, geistigen
Marasmus, und als er 1871 starb, war er schon sast verschollen. Julian


Grenzboten III 1898 29
Wilibald Alexis

Kraft findet, irdischen Gewalthabern Widerstand zu leisten, wenn sie Unrechtes
und Unwürdiges von ihm verlangen. Es ist eben der Geist, den Nietzsche
selbst wieder herstellen möchte. Daß die leibliche Abstammung alles, der per¬
sönliche Charakter und Geist gar nichts zu bedeuten habe, oder daß jeder hoch
oder reich Geborne schon allein durch seine Geburt zur Klasse der echten, der
Geistesaristokratie gehöre, das hat Nietzsche, so viel er sich auch auf seine Ab¬
stammung von einem polnischen Grafen einbilden mochte, sicherlich nie in seinem
Leben auch nur einen Augenblick geglaubt. Ein im Sklavenstand geborner
kann sich zur innerlichen Freiheit emporringen, wie Epiktet, einer der edelsten
Philosophen. Jedem solchen sagt nun Paulus, daß zwar die äußere Lage
seine innere Freiheit nicht beeinträchtige, daß er jedoch, wenn er frei werden
und so das Äußere mit dem Innern in Übereinstimmung bringen könne, die
Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen solle.




Wilibald Alexis Gin Gedenkblatt zum tmndertsteu Geburtstag des Sichlers

er vaterländische Dichter
, dessen Andenken die folgenden Zeilen
gewidmet sind, klagt in der Vorrede seines bekanntesten Werkes
über die Infamie des deutschen Publikums, das heute die Götzen
seiner Laune in den Himmel hebe und sie morgen vom Piedestal
stürze. Er verlangt, die öffentliche Meinung solle auch denen
dankbar bleiben, die irgend einmal ihrem Zeitalter genügt hätten,
und dürfe nicht hohnlachend über die alternden Poeten zur Tagesordnung über¬
gehen. Die Bitterkeit dieser Worte an der Spitze des gelungensten Romans
Hürings (der Hosen des Herr» von Bredow) erklärt sich hinlänglich aus den
seltsamen Erfahrungen, die der Dichter mit der öffentlichen Meinung gemacht
hatte. Nur einmal waren ihm vielstimmiger Beifall und allgemeine Volksgunst
zu teil geworden, als er den Roman Walladmor unter Scotts Namen geschrieben
hatte. Das Publikum hob ihn damals auf seinen Schild für ein Werk, das er
selbst nur als das Augeublicksprodnkt einer kecken Laune ansah. Als er dann
nach langen Irr- und Lehrjahren seiner Muse den rechten Boden, auf dem er
wurzeln und sich selbst zur Freude wachsen konnte, gefunden hatte, sah er sich
einsam und von der Masse wie von den Kunstrichtern, die er schätzte, verlassen.
Nur wenige Erfolge waren ihm dann noch gegönnt. Das trübe Schicksal des
Preußische» Vaterlandes nach 1848 kam hinzu, um ihm, dem tief und leiden¬
schaftlich für die nationale Sache empfindenden, den Blick zu verdüstern und
die Dichterschwingen zu lahmen. Er verfiel schließlich dem traurigsten, geistigen
Marasmus, und als er 1871 starb, war er schon sast verschollen. Julian


Grenzboten III 1898 29
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[0233] Wilibald Alexis Kraft findet, irdischen Gewalthabern Widerstand zu leisten, wenn sie Unrechtes und Unwürdiges von ihm verlangen. Es ist eben der Geist, den Nietzsche selbst wieder herstellen möchte. Daß die leibliche Abstammung alles, der per¬ sönliche Charakter und Geist gar nichts zu bedeuten habe, oder daß jeder hoch oder reich Geborne schon allein durch seine Geburt zur Klasse der echten, der Geistesaristokratie gehöre, das hat Nietzsche, so viel er sich auch auf seine Ab¬ stammung von einem polnischen Grafen einbilden mochte, sicherlich nie in seinem Leben auch nur einen Augenblick geglaubt. Ein im Sklavenstand geborner kann sich zur innerlichen Freiheit emporringen, wie Epiktet, einer der edelsten Philosophen. Jedem solchen sagt nun Paulus, daß zwar die äußere Lage seine innere Freiheit nicht beeinträchtige, daß er jedoch, wenn er frei werden und so das Äußere mit dem Innern in Übereinstimmung bringen könne, die Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen solle. Wilibald Alexis Gin Gedenkblatt zum tmndertsteu Geburtstag des Sichlers er vaterländische Dichter , dessen Andenken die folgenden Zeilen gewidmet sind, klagt in der Vorrede seines bekanntesten Werkes über die Infamie des deutschen Publikums, das heute die Götzen seiner Laune in den Himmel hebe und sie morgen vom Piedestal stürze. Er verlangt, die öffentliche Meinung solle auch denen dankbar bleiben, die irgend einmal ihrem Zeitalter genügt hätten, und dürfe nicht hohnlachend über die alternden Poeten zur Tagesordnung über¬ gehen. Die Bitterkeit dieser Worte an der Spitze des gelungensten Romans Hürings (der Hosen des Herr» von Bredow) erklärt sich hinlänglich aus den seltsamen Erfahrungen, die der Dichter mit der öffentlichen Meinung gemacht hatte. Nur einmal waren ihm vielstimmiger Beifall und allgemeine Volksgunst zu teil geworden, als er den Roman Walladmor unter Scotts Namen geschrieben hatte. Das Publikum hob ihn damals auf seinen Schild für ein Werk, das er selbst nur als das Augeublicksprodnkt einer kecken Laune ansah. Als er dann nach langen Irr- und Lehrjahren seiner Muse den rechten Boden, auf dem er wurzeln und sich selbst zur Freude wachsen konnte, gefunden hatte, sah er sich einsam und von der Masse wie von den Kunstrichtern, die er schätzte, verlassen. Nur wenige Erfolge waren ihm dann noch gegönnt. Das trübe Schicksal des Preußische» Vaterlandes nach 1848 kam hinzu, um ihm, dem tief und leiden¬ schaftlich für die nationale Sache empfindenden, den Blick zu verdüstern und die Dichterschwingen zu lahmen. Er verfiel schließlich dem traurigsten, geistigen Marasmus, und als er 1871 starb, war er schon sast verschollen. Julian Grenzboten III 1898 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/233>, abgerufen am 29.04.2024.