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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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waldige von der übermenschlichen Kraft des Geistes, der reinen Güte des
Herzens, die ihm bei jeder Begegnung mit Goethe entgegentreten. "Höchstes
Glück der Erdenkinder sei nur die Persönlichkeit," und dieses Glück hat Friedrich
von Müller ganz empfunden! Etwas davon strömt auf den Leser dieses Buches
über, dessen 256 Seiten eine Fülle von Gedanken wiedergeben, deren Reichtum
im buchstäblichen Sinne des Wortes unerschöpflich erscheint. "Es war, schreibt
Müller zum Schluß eines seiner Berichte, als ob an Goethes innerm Auge
die großen Umrisse der Weltgeschichte vorübergingen, die sein scharfer Geist
in ihre einfachsten Elemente aufzulösen bemüht war. Mit jeder neuen Äußerung
nahm sein Wesen etwas feierliches an. . . . Dichtung und Wahrheit ver¬
schmolzen sich in einander, und die höhere Ruhe des Weisen leuchtete aus
seinen Augen . . . seine Gedanken schienen wie in einem reinen Äther auf und
nieder zu gehen." Dieser Eindruck ist es auch, den die Summe des Müllerschen
-- a- Buches zurückläßt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was nun? Daß das Reichsgericht jetzt schon überlastet ist und ihm mit der
Einführung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs noch ein erheblicher Zuwachs an
Arbeit bevorsteht, und zwar nicht nur in Zivilsachen, sondern auch in Strafsachen
wegen des Einflusses, den das Bürgerliche Gesetzbuch auch auf das Strafrecht
ausübt, darf als erwiesen angenommen werden. Es ist daher keinen. Einsichtigen
verborgen, daß es dringend geboten ist, eine Entlastung herbeizuführen, soll nicht
die Güte der Rechtsprechung Gefahr laufen. Hierzu bieten sich anscheinend zwei
Wege dar, von denen aber nur der eine gangbar ist. Die Entlastung der ein¬
zelnen Richter könnte einmal erfolgen durch Vermehrung der Nichterstellen
und Senate. Damit jedoch würde gerade die Erhaltung des Schatzes gefährdet,
dessen Hut die einzige Aufgabe des höchsten Gerichtshofes ist, der Rechtseinheit,
der Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung. Aber wir wollen auch
nicht etwa die Verminderung der Richterstellen befürworten. Es macht sogar
einen eigentümlichem Eindruck auf uns, wenn die Regierungen im Reichstage mit
beredten Worten die Überlastung des Reichsgerichts darlegen und gleichwohl die
vorhandnen Richterstellen -- vermindern! Denn ans eine Verminderung der Nichter¬
stellen kommt es doch thatsächlich hinaus, wenn sie einen Reichstagsabgeordneten
zum Neichsgerichtsrat ernennen, der weiterhin -- mit der Billigung des Staats¬
sekretärs -- Reichstagsabgeordneter bleibt, und dessen Arbeitskraft damit notwendig
dem Reichsgericht entzogen wird. Eine Vertretung durch Hilfsrichter ist ja aber bei
dem Reichsgerichte gesetzlich ausgeschlossen. Selbst wenn Herr spähn, der neue
Neichsgerichtsrat, also öfter von Berlin nach Leipzig fahren sollte, um dort den
Sitzungen des höchste" Gerichtshofes beizuwohnen -- was die Hauptsache ist:


waldige von der übermenschlichen Kraft des Geistes, der reinen Güte des
Herzens, die ihm bei jeder Begegnung mit Goethe entgegentreten. „Höchstes
Glück der Erdenkinder sei nur die Persönlichkeit," und dieses Glück hat Friedrich
von Müller ganz empfunden! Etwas davon strömt auf den Leser dieses Buches
über, dessen 256 Seiten eine Fülle von Gedanken wiedergeben, deren Reichtum
im buchstäblichen Sinne des Wortes unerschöpflich erscheint. „Es war, schreibt
Müller zum Schluß eines seiner Berichte, als ob an Goethes innerm Auge
die großen Umrisse der Weltgeschichte vorübergingen, die sein scharfer Geist
in ihre einfachsten Elemente aufzulösen bemüht war. Mit jeder neuen Äußerung
nahm sein Wesen etwas feierliches an. . . . Dichtung und Wahrheit ver¬
schmolzen sich in einander, und die höhere Ruhe des Weisen leuchtete aus
seinen Augen . . . seine Gedanken schienen wie in einem reinen Äther auf und
nieder zu gehen." Dieser Eindruck ist es auch, den die Summe des Müllerschen
— a- Buches zurückläßt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was nun? Daß das Reichsgericht jetzt schon überlastet ist und ihm mit der
Einführung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs noch ein erheblicher Zuwachs an
Arbeit bevorsteht, und zwar nicht nur in Zivilsachen, sondern auch in Strafsachen
wegen des Einflusses, den das Bürgerliche Gesetzbuch auch auf das Strafrecht
ausübt, darf als erwiesen angenommen werden. Es ist daher keinen. Einsichtigen
verborgen, daß es dringend geboten ist, eine Entlastung herbeizuführen, soll nicht
die Güte der Rechtsprechung Gefahr laufen. Hierzu bieten sich anscheinend zwei
Wege dar, von denen aber nur der eine gangbar ist. Die Entlastung der ein¬
zelnen Richter könnte einmal erfolgen durch Vermehrung der Nichterstellen
und Senate. Damit jedoch würde gerade die Erhaltung des Schatzes gefährdet,
dessen Hut die einzige Aufgabe des höchsten Gerichtshofes ist, der Rechtseinheit,
der Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung. Aber wir wollen auch
nicht etwa die Verminderung der Richterstellen befürworten. Es macht sogar
einen eigentümlichem Eindruck auf uns, wenn die Regierungen im Reichstage mit
beredten Worten die Überlastung des Reichsgerichts darlegen und gleichwohl die
vorhandnen Richterstellen — vermindern! Denn ans eine Verminderung der Nichter¬
stellen kommt es doch thatsächlich hinaus, wenn sie einen Reichstagsabgeordneten
zum Neichsgerichtsrat ernennen, der weiterhin — mit der Billigung des Staats¬
sekretärs — Reichstagsabgeordneter bleibt, und dessen Arbeitskraft damit notwendig
dem Reichsgericht entzogen wird. Eine Vertretung durch Hilfsrichter ist ja aber bei
dem Reichsgerichte gesetzlich ausgeschlossen. Selbst wenn Herr spähn, der neue
Neichsgerichtsrat, also öfter von Berlin nach Leipzig fahren sollte, um dort den
Sitzungen des höchste« Gerichtshofes beizuwohnen — was die Hauptsache ist:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/294>, abgerufen am 29.04.2024.