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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Studiosus Müller

Werke "den brennenden Schmerz noch blutender Wunden." Eben darum muß
das Andenken an diesen Dichtcrkämpfer in den Annalen unsrer nationalen
Geschichte unauslöschlich verzeichnet sein, und wenn er Zeit seines Lebens mit
Neid auf des Schotten Schicksal sah, den sein Volk vergötterte und mit Ehren
überhäufte, weil er ihre Vergangenheit poetisch verklärt hatte, so mag die hun¬
dertste Wiederkehr seines Geburtstags Preußen und Deutschland an seine
Pflicht diesem Dichter gegenüber erinnern. Erfreulicherweise wird das Gefühl
für diese Ehrensache des Vaterlands in weitern Kreisen der Besten unsers
Volkes wieder wach. Der jüngst erlassene Aufruf, zu Ehren Härings in seinem
letzten Wohnort Arnstadt ein Denkmal zu errichten, spricht dafür. Aber auch
das Volk hat ihn nicht ganz vergessen; an den Wachtfeuern des Feldlagers
klang 1870 aus dem Munde unsrer märkischen Jungen voller Lust das echte
Volkslied Wilibalds Fridericus Rex, und noch hente singt man es in den
Kasernenstuben.

In ihrem ganzen Bestände werden seine Werke schwerlich die Zukunft
überdauern. Darum ist nichts herzlicher zu wünschen, als daß, was schon
Gustav Freytag forderte, sich ein Mann fände, der das Beste aus Alexis mär¬
kischen Geschichten zu einem echten Volksbuche zusammenstellte.


Otto Tschirch


Studiosus Müller

r hieß in Wirklichkeit anders, niber ich nenne ihn so, weil ich nicht
weiß, ob nicht noch Verwandte von ihm leben, denen etwas in diesen
Mitteilungen unlieb sein könnte. Sie ober deswegen ganz zu unter¬
lassen wäre schade gewesen, da sie von einer sehr originellen Persön¬
lichkeit handeln.

Wir lernten uns vor beinahe vierzig Jahren in Erlangen kennen,
in derselben Verbindung; er war Brandfuchs, als ich einsprang. Es war
eine Burschenschaft. Er war Burschenschafter aus Überzeugung und "ach lange
vorher gefaßten Entschluß, und er war dorthin gekommen, weil es nur in Süd-
dentschland wirkliche Burschenschafter gäbe; ich wollte eigentlich zum Korps, änderte
aber meinen Entschluß infolge äußerer Umstände, hauptsächlich auch, weil ich von
ihm geteilt wurde, und löste später mein Verhältnis zu der Burschenschaft.

Wir waren Landsleute. Sein Vater war hannoverscher Offizier, Stadtkom¬
mandant in einer kleinen Garnison, sein Bruder war Leutnant; mit beiden stand
er schon als Ghmuasiast in einem andauernden Standes- und Priuzipieukampfe,
weil er nicht Offizier werden, sondern studiren wollte. Seine Familie war konservativ,
er Demokrat, und zwar blutroter. Hannover unter Georg V. und seinem Minister
von Borries galt damals (1860) als der Sitz der strengsten Reaktion, gegen die
mein Freund schon als Junge alle Register zog. Unter seinen Mitschülern spielte
er die Rolle des Voltsfreundes, der er seine Stnndesvorurteile und Ansprüche zum
Opfer gebracht hätte, und er that sich darauf viel zu gute. Jurist konnte man
mit seiner Gesinnung nach seiner Auffassung in seinem engern Vaterlande nicht


Studiosus Müller

Werke „den brennenden Schmerz noch blutender Wunden." Eben darum muß
das Andenken an diesen Dichtcrkämpfer in den Annalen unsrer nationalen
Geschichte unauslöschlich verzeichnet sein, und wenn er Zeit seines Lebens mit
Neid auf des Schotten Schicksal sah, den sein Volk vergötterte und mit Ehren
überhäufte, weil er ihre Vergangenheit poetisch verklärt hatte, so mag die hun¬
dertste Wiederkehr seines Geburtstags Preußen und Deutschland an seine
Pflicht diesem Dichter gegenüber erinnern. Erfreulicherweise wird das Gefühl
für diese Ehrensache des Vaterlands in weitern Kreisen der Besten unsers
Volkes wieder wach. Der jüngst erlassene Aufruf, zu Ehren Härings in seinem
letzten Wohnort Arnstadt ein Denkmal zu errichten, spricht dafür. Aber auch
das Volk hat ihn nicht ganz vergessen; an den Wachtfeuern des Feldlagers
klang 1870 aus dem Munde unsrer märkischen Jungen voller Lust das echte
Volkslied Wilibalds Fridericus Rex, und noch hente singt man es in den
Kasernenstuben.

In ihrem ganzen Bestände werden seine Werke schwerlich die Zukunft
überdauern. Darum ist nichts herzlicher zu wünschen, als daß, was schon
Gustav Freytag forderte, sich ein Mann fände, der das Beste aus Alexis mär¬
kischen Geschichten zu einem echten Volksbuche zusammenstellte.


Otto Tschirch


Studiosus Müller

r hieß in Wirklichkeit anders, niber ich nenne ihn so, weil ich nicht
weiß, ob nicht noch Verwandte von ihm leben, denen etwas in diesen
Mitteilungen unlieb sein könnte. Sie ober deswegen ganz zu unter¬
lassen wäre schade gewesen, da sie von einer sehr originellen Persön¬
lichkeit handeln.

Wir lernten uns vor beinahe vierzig Jahren in Erlangen kennen,
in derselben Verbindung; er war Brandfuchs, als ich einsprang. Es war
eine Burschenschaft. Er war Burschenschafter aus Überzeugung und «ach lange
vorher gefaßten Entschluß, und er war dorthin gekommen, weil es nur in Süd-
dentschland wirkliche Burschenschafter gäbe; ich wollte eigentlich zum Korps, änderte
aber meinen Entschluß infolge äußerer Umstände, hauptsächlich auch, weil ich von
ihm geteilt wurde, und löste später mein Verhältnis zu der Burschenschaft.

Wir waren Landsleute. Sein Vater war hannoverscher Offizier, Stadtkom¬
mandant in einer kleinen Garnison, sein Bruder war Leutnant; mit beiden stand
er schon als Ghmuasiast in einem andauernden Standes- und Priuzipieukampfe,
weil er nicht Offizier werden, sondern studiren wollte. Seine Familie war konservativ,
er Demokrat, und zwar blutroter. Hannover unter Georg V. und seinem Minister
von Borries galt damals (1860) als der Sitz der strengsten Reaktion, gegen die
mein Freund schon als Junge alle Register zog. Unter seinen Mitschülern spielte
er die Rolle des Voltsfreundes, der er seine Stnndesvorurteile und Ansprüche zum
Opfer gebracht hätte, und er that sich darauf viel zu gute. Jurist konnte man
mit seiner Gesinnung nach seiner Auffassung in seinem engern Vaterlande nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/336>, abgerufen am 29.04.2024.