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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano
(Schluß)

in obern Liristhcil waren die Tage der Unruhen spurlos vorüber¬
gegangen. Das Getreide blühte allerorten, die Bäume standen
im vollsten Schmucke saftgrünen Laubes, und ein Sattes Be¬
hagen lag über der ganzen Landschaft, als ich am Himmel¬
fahrtstage den steilen Pfad von der Bahnstation nach dem fast
überhängenden Felsen von Arpinum hinaufzog, um nun auch diese alt-
verühmte Stadt genauer kennen zu lernen. Nachdem ich mir in dem schon
"den geschilderten Gasthofe Unterkunft gesucht hatte, betrat ich die Stadt
von Norden her durch ein cyklopisches Nundbogenthor; ich fand es durch
Balken gestützt, da sich einige seiner großen Marmorquadern etwas aus dem
befuge gegeben hatten. Hoffentlich wird aber die nötige Untermauerung vor¬
genommen, ehe das ehrwürdige Bauwerk größern Schaden erleidet. Links vom
-^höre dient die alte Stadtmauer als Außenwand eines Hauses; ihre gewaltigen
Werkstücke heben sich stolz ab von der Flickarbeit späterer Zeit. Die Straßen
von Arpino sind eng und nicht eben sauber, ebenso auch der Markt. Die Kauf¬
läden sind sehr dürftig ausgestattet, viele Menschen sehen schlecht genährt aus;
der ganze Ort macht nicht den Eindruck eines blühenden, sondern eines zurück¬
gehenden Gemeinwesens. Bessere, neuere Häuser sieht man nur auf einer
breiten Straße am Südende der Stadt, wo die wenigen vornehmen Familien
wohnen, aber der Gesamteindruck des Ärmlichen wird dadurch nicht verwischt.

Um so lebendiger suchen die Arpinaten die Erinnerung an ihre großen
Namen aus dem Altertume festzuhalten. Am Municipium sieht man die
Büsten des Marius, Cieero und des Vipsanius Agrippa mit entsprechenden
Anschriften. Agrippa ist wohl noch hente der Held der wenigen großgrnnd-
besitzenden Nobili von Arpinum, Cicero der Gefeierte des Mittelstandes, der
Gestalt des Marius aber haben sich natürlich die Sozialdemokraten bemächtigt,
über ihrem schmutzigen und armseligen Klublokal liest man die stolze Inschrift:
Vu-volo ävmoorg.ti(Z0 al v-no NMv! Nach Cicero ist natürlich das RöAio
I^ovo 6arg.8lo ruIliNw benannt, das im Stadthause untergebracht ist. Ich
hätte gern diese Pflanzstätte des klassischen Lateins in der Heimat des größten
Latinisten genauer kennen gelernt, denn wie wirkungsvoll muß sich die Lektüre




Frühlingstage am Garigliano
(Schluß)

in obern Liristhcil waren die Tage der Unruhen spurlos vorüber¬
gegangen. Das Getreide blühte allerorten, die Bäume standen
im vollsten Schmucke saftgrünen Laubes, und ein Sattes Be¬
hagen lag über der ganzen Landschaft, als ich am Himmel¬
fahrtstage den steilen Pfad von der Bahnstation nach dem fast
überhängenden Felsen von Arpinum hinaufzog, um nun auch diese alt-
verühmte Stadt genauer kennen zu lernen. Nachdem ich mir in dem schon
"den geschilderten Gasthofe Unterkunft gesucht hatte, betrat ich die Stadt
von Norden her durch ein cyklopisches Nundbogenthor; ich fand es durch
Balken gestützt, da sich einige seiner großen Marmorquadern etwas aus dem
befuge gegeben hatten. Hoffentlich wird aber die nötige Untermauerung vor¬
genommen, ehe das ehrwürdige Bauwerk größern Schaden erleidet. Links vom
-^höre dient die alte Stadtmauer als Außenwand eines Hauses; ihre gewaltigen
Werkstücke heben sich stolz ab von der Flickarbeit späterer Zeit. Die Straßen
von Arpino sind eng und nicht eben sauber, ebenso auch der Markt. Die Kauf¬
läden sind sehr dürftig ausgestattet, viele Menschen sehen schlecht genährt aus;
der ganze Ort macht nicht den Eindruck eines blühenden, sondern eines zurück¬
gehenden Gemeinwesens. Bessere, neuere Häuser sieht man nur auf einer
breiten Straße am Südende der Stadt, wo die wenigen vornehmen Familien
wohnen, aber der Gesamteindruck des Ärmlichen wird dadurch nicht verwischt.

Um so lebendiger suchen die Arpinaten die Erinnerung an ihre großen
Namen aus dem Altertume festzuhalten. Am Municipium sieht man die
Büsten des Marius, Cieero und des Vipsanius Agrippa mit entsprechenden
Anschriften. Agrippa ist wohl noch hente der Held der wenigen großgrnnd-
besitzenden Nobili von Arpinum, Cicero der Gefeierte des Mittelstandes, der
Gestalt des Marius aber haben sich natürlich die Sozialdemokraten bemächtigt,
über ihrem schmutzigen und armseligen Klublokal liest man die stolze Inschrift:
Vu-volo ävmoorg.ti(Z0 al v-no NMv! Nach Cicero ist natürlich das RöAio
I^ovo 6arg.8lo ruIliNw benannt, das im Stadthause untergebracht ist. Ich
hätte gern diese Pflanzstätte des klassischen Lateins in der Heimat des größten
Latinisten genauer kennen gelernt, denn wie wirkungsvoll muß sich die Lektüre


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[0415] [Abbildung] Frühlingstage am Garigliano (Schluß) in obern Liristhcil waren die Tage der Unruhen spurlos vorüber¬ gegangen. Das Getreide blühte allerorten, die Bäume standen im vollsten Schmucke saftgrünen Laubes, und ein Sattes Be¬ hagen lag über der ganzen Landschaft, als ich am Himmel¬ fahrtstage den steilen Pfad von der Bahnstation nach dem fast überhängenden Felsen von Arpinum hinaufzog, um nun auch diese alt- verühmte Stadt genauer kennen zu lernen. Nachdem ich mir in dem schon "den geschilderten Gasthofe Unterkunft gesucht hatte, betrat ich die Stadt von Norden her durch ein cyklopisches Nundbogenthor; ich fand es durch Balken gestützt, da sich einige seiner großen Marmorquadern etwas aus dem befuge gegeben hatten. Hoffentlich wird aber die nötige Untermauerung vor¬ genommen, ehe das ehrwürdige Bauwerk größern Schaden erleidet. Links vom -^höre dient die alte Stadtmauer als Außenwand eines Hauses; ihre gewaltigen Werkstücke heben sich stolz ab von der Flickarbeit späterer Zeit. Die Straßen von Arpino sind eng und nicht eben sauber, ebenso auch der Markt. Die Kauf¬ läden sind sehr dürftig ausgestattet, viele Menschen sehen schlecht genährt aus; der ganze Ort macht nicht den Eindruck eines blühenden, sondern eines zurück¬ gehenden Gemeinwesens. Bessere, neuere Häuser sieht man nur auf einer breiten Straße am Südende der Stadt, wo die wenigen vornehmen Familien wohnen, aber der Gesamteindruck des Ärmlichen wird dadurch nicht verwischt. Um so lebendiger suchen die Arpinaten die Erinnerung an ihre großen Namen aus dem Altertume festzuhalten. Am Municipium sieht man die Büsten des Marius, Cieero und des Vipsanius Agrippa mit entsprechenden Anschriften. Agrippa ist wohl noch hente der Held der wenigen großgrnnd- besitzenden Nobili von Arpinum, Cicero der Gefeierte des Mittelstandes, der Gestalt des Marius aber haben sich natürlich die Sozialdemokraten bemächtigt, über ihrem schmutzigen und armseligen Klublokal liest man die stolze Inschrift: Vu-volo ävmoorg.ti(Z0 al v-no NMv! Nach Cicero ist natürlich das RöAio I^ovo 6arg.8lo ruIliNw benannt, das im Stadthause untergebracht ist. Ich hätte gern diese Pflanzstätte des klassischen Lateins in der Heimat des größten Latinisten genauer kennen gelernt, denn wie wirkungsvoll muß sich die Lektüre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/415>, abgerufen am 29.04.2024.