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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Das zeremonielle Theetrinken bei den Japanern
v Emil Stenzel on

vn den japanischen Kuriositäten, die in den Museen für Völker¬
kunde ausgestellt sind, verdient unstreitig auch das Theeservice in
Anbetracht der interessanten Rolle, die es in der Geschichte Japans
gespielt hat, unser lebhaftes Interesse. Kenner und Sammler
japanischer Kunstgegenstände haben sich wohl um wenige Dinge so
häufig gestritten, wie um deu japanischen Theetisch; dabei hat jedoch
weniger das Theegeschirr selbst als vielmehr das damit im engsten Zusammenhange
stehende "zeremonielle Theetrinken" der Japaner einen großen "Sturm in der
Theetasse" verursacht. Einige Sammler bezeichnen diese Theezeremonien als unbe¬
deutend und behaupten sogar, daß sie nachteilig auf die Entwicklung der japanischen
Kunst eingewirkt hätten, andre wieder sehen darin mit Recht einen segensreichen
Einfluß, durch den die Kunst auf dem engen Pfade der Reinheit und Ein¬
fachheit geblieben sei, ohne sich auf die breite Straße der Geschmacklosigkeit zu
derirren.

Was find denn eigentlich diese Theezeremonien? Was ist ihre Geschichte?
Die japanischen Theezeremonien haben während der sechs bis sieben Jahrhunderte
ihres Bestehens drei Veränderungen durchgemacht, und zwar teilt man diese in eine
medizinisch-religiöse, eine luxuriöse und eine ästhetische Periode. Ihren Ursprung
hatten die Theezeremonien im einfachen Theetrinken gewisser buddhistischer Priester
der Zensekte, die den Aufguß nützlich fanden, um sich bei ihren nächtlichen Andachts-
übungen wach zu erhalten. Der erste Herrscher, dessen Name in Bezug auf das
Theetrinken in der japanischen Geschichte erwähnt wird, ist der Shogun Minmnvto-
no-Sanetomo (1203--1218). Allem Anschein nach war dieser in seiner Jugend ein
großer Schlemmer und Säufer, den der buddhistische Oberpriester Eisai zum Theetrinken
bekehrte, um ihn von der Sakeschale zu retten. Wie es die Mäßigkeitsapostel von
heutzutage wohl noch zu thun pflegen, verbreitete Eisai sein Evangelium dadurch,
daß er eine Abhandlung über "deu heilsamen Einfluß des Theetrinkens" verfaßte,
die die Art und Weise, inwiefern der Thee "die fünf Eingeweide in Ordnung
hält und die bösen Geister austreibt," erläuterte und gleichzeitig Regeln über die
Zubereitung und das Trinken des Thees enthielt. Die durch Eisai eingeführte
Zeremonie war religiöser Art, schloß zwar auch eine einfache Mahlzeit ein, doch
war die Hauptsache dabei ein buddhistischer Gottesdienst, eine Art Seelenmesse zum
Gedächtnis der Verstorbnen, wobei uns Trommeln geschlagen und Räucherwerk ab¬
gebrannt wurde.") Einen religiösen Anstrich haben die Theezeremonien immer noch



") Wie der Verfasser zu beobachten Gelegenheit hatte, scheinen dergleichen religiöse Ver¬
richtungen mich heutzutage noch fortzubestehen. Bei einer nächtlichen Wanderung hörte er aus
einem Tempel in Yokohama, der einsam nuf einem Hügel gelegen war, Pauken- und Gong-


Das zeremonielle Theetrinken bei den Japanern
v Emil Stenzel on

vn den japanischen Kuriositäten, die in den Museen für Völker¬
kunde ausgestellt sind, verdient unstreitig auch das Theeservice in
Anbetracht der interessanten Rolle, die es in der Geschichte Japans
gespielt hat, unser lebhaftes Interesse. Kenner und Sammler
japanischer Kunstgegenstände haben sich wohl um wenige Dinge so
häufig gestritten, wie um deu japanischen Theetisch; dabei hat jedoch
weniger das Theegeschirr selbst als vielmehr das damit im engsten Zusammenhange
stehende „zeremonielle Theetrinken" der Japaner einen großen „Sturm in der
Theetasse" verursacht. Einige Sammler bezeichnen diese Theezeremonien als unbe¬
deutend und behaupten sogar, daß sie nachteilig auf die Entwicklung der japanischen
Kunst eingewirkt hätten, andre wieder sehen darin mit Recht einen segensreichen
Einfluß, durch den die Kunst auf dem engen Pfade der Reinheit und Ein¬
fachheit geblieben sei, ohne sich auf die breite Straße der Geschmacklosigkeit zu
derirren.

Was find denn eigentlich diese Theezeremonien? Was ist ihre Geschichte?
Die japanischen Theezeremonien haben während der sechs bis sieben Jahrhunderte
ihres Bestehens drei Veränderungen durchgemacht, und zwar teilt man diese in eine
medizinisch-religiöse, eine luxuriöse und eine ästhetische Periode. Ihren Ursprung
hatten die Theezeremonien im einfachen Theetrinken gewisser buddhistischer Priester
der Zensekte, die den Aufguß nützlich fanden, um sich bei ihren nächtlichen Andachts-
übungen wach zu erhalten. Der erste Herrscher, dessen Name in Bezug auf das
Theetrinken in der japanischen Geschichte erwähnt wird, ist der Shogun Minmnvto-
no-Sanetomo (1203—1218). Allem Anschein nach war dieser in seiner Jugend ein
großer Schlemmer und Säufer, den der buddhistische Oberpriester Eisai zum Theetrinken
bekehrte, um ihn von der Sakeschale zu retten. Wie es die Mäßigkeitsapostel von
heutzutage wohl noch zu thun pflegen, verbreitete Eisai sein Evangelium dadurch,
daß er eine Abhandlung über „deu heilsamen Einfluß des Theetrinkens" verfaßte,
die die Art und Weise, inwiefern der Thee „die fünf Eingeweide in Ordnung
hält und die bösen Geister austreibt," erläuterte und gleichzeitig Regeln über die
Zubereitung und das Trinken des Thees enthielt. Die durch Eisai eingeführte
Zeremonie war religiöser Art, schloß zwar auch eine einfache Mahlzeit ein, doch
war die Hauptsache dabei ein buddhistischer Gottesdienst, eine Art Seelenmesse zum
Gedächtnis der Verstorbnen, wobei uns Trommeln geschlagen und Räucherwerk ab¬
gebrannt wurde.") Einen religiösen Anstrich haben die Theezeremonien immer noch



") Wie der Verfasser zu beobachten Gelegenheit hatte, scheinen dergleichen religiöse Ver¬
richtungen mich heutzutage noch fortzubestehen. Bei einer nächtlichen Wanderung hörte er aus
einem Tempel in Yokohama, der einsam nuf einem Hügel gelegen war, Pauken- und Gong-
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[0427] [Abbildung] Das zeremonielle Theetrinken bei den Japanern v Emil Stenzel on vn den japanischen Kuriositäten, die in den Museen für Völker¬ kunde ausgestellt sind, verdient unstreitig auch das Theeservice in Anbetracht der interessanten Rolle, die es in der Geschichte Japans gespielt hat, unser lebhaftes Interesse. Kenner und Sammler japanischer Kunstgegenstände haben sich wohl um wenige Dinge so häufig gestritten, wie um deu japanischen Theetisch; dabei hat jedoch weniger das Theegeschirr selbst als vielmehr das damit im engsten Zusammenhange stehende „zeremonielle Theetrinken" der Japaner einen großen „Sturm in der Theetasse" verursacht. Einige Sammler bezeichnen diese Theezeremonien als unbe¬ deutend und behaupten sogar, daß sie nachteilig auf die Entwicklung der japanischen Kunst eingewirkt hätten, andre wieder sehen darin mit Recht einen segensreichen Einfluß, durch den die Kunst auf dem engen Pfade der Reinheit und Ein¬ fachheit geblieben sei, ohne sich auf die breite Straße der Geschmacklosigkeit zu derirren. Was find denn eigentlich diese Theezeremonien? Was ist ihre Geschichte? Die japanischen Theezeremonien haben während der sechs bis sieben Jahrhunderte ihres Bestehens drei Veränderungen durchgemacht, und zwar teilt man diese in eine medizinisch-religiöse, eine luxuriöse und eine ästhetische Periode. Ihren Ursprung hatten die Theezeremonien im einfachen Theetrinken gewisser buddhistischer Priester der Zensekte, die den Aufguß nützlich fanden, um sich bei ihren nächtlichen Andachts- übungen wach zu erhalten. Der erste Herrscher, dessen Name in Bezug auf das Theetrinken in der japanischen Geschichte erwähnt wird, ist der Shogun Minmnvto- no-Sanetomo (1203—1218). Allem Anschein nach war dieser in seiner Jugend ein großer Schlemmer und Säufer, den der buddhistische Oberpriester Eisai zum Theetrinken bekehrte, um ihn von der Sakeschale zu retten. Wie es die Mäßigkeitsapostel von heutzutage wohl noch zu thun pflegen, verbreitete Eisai sein Evangelium dadurch, daß er eine Abhandlung über „deu heilsamen Einfluß des Theetrinkens" verfaßte, die die Art und Weise, inwiefern der Thee „die fünf Eingeweide in Ordnung hält und die bösen Geister austreibt," erläuterte und gleichzeitig Regeln über die Zubereitung und das Trinken des Thees enthielt. Die durch Eisai eingeführte Zeremonie war religiöser Art, schloß zwar auch eine einfache Mahlzeit ein, doch war die Hauptsache dabei ein buddhistischer Gottesdienst, eine Art Seelenmesse zum Gedächtnis der Verstorbnen, wobei uns Trommeln geschlagen und Räucherwerk ab¬ gebrannt wurde.") Einen religiösen Anstrich haben die Theezeremonien immer noch ") Wie der Verfasser zu beobachten Gelegenheit hatte, scheinen dergleichen religiöse Ver¬ richtungen mich heutzutage noch fortzubestehen. Bei einer nächtlichen Wanderung hörte er aus einem Tempel in Yokohama, der einsam nuf einem Hügel gelegen war, Pauken- und Gong-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/427>, abgerufen am 29.04.2024.