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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Lvnovtu" loqnax

Liebe der in dem Einzelschönen erscheinenden Idee des Schönen gilt, wenn
ihm der Gott Amor nichts andres ist, als die ewig ungestillte Sehnsucht nach
dem Unendlichen.

(Fortsetzung folgt)




3menen3 lo^uax
Plaudereien eines alten Deutschen
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n den Begünstigungen, die mir im Leben geworden sind, muß ich
auch das Aufwachsen in einer kleinen Stadt rechnen. Oft haben auf
Reisen Kinder meine Teilnahme erregt, die entweder mit förmlicher
Gier anstaunten, was thuen die Großstadt nicht hatte zeigen können,
oder die allem ihnen Unbekannten das Bewußtsein der Überlegenheit
entgegensetzten. Wir waren noch wie Tauben und Spatzen immer
auf der Gasse, täglich ungeladne aber nicht lästige Gäste in allen Häusern und auf
allen Höfen der ganzen Nachbarschaft, gingen womöglich zur Hand in den Werk¬
stätten des Tischlers, des Böttchers, des Schmieds, des Gelbgießers, des Färbers,
der die Strähne blauen Garns auf der offnen Gasse trocknen ließ, bei dem Krämer,
der die Hilfe beim Auspacken mit herrlichen "Kolonialwaren" bezahlte, oder zu¬
schauen ließ, wie er Öl "raffinirte" oder Unschlittkerzeu goß. Alle die Hantirungen
waren ergötzlich und lehrreich, der Verkehr mit den Meistern und Gesellen gewährte
Cnnblick in mancherlei bürgerliche Verhältnisse, wils um so nützlicher war, als der
abgeschmackte Klassenhaß zwischen dem homo litteraws, dem Studirten, Studenten
oder künftigen Studenten auf der einen, und dem bowo iAnows, dem "Knoten,"
d- i. dein Handwerksgesellen, auf der andern Seite fortwucherte. Wohl bestand schon
die Gewerbefreiheit, doch hörten nur noch Ausdrücke und Redeformen wie "Mit
Gunst, Meister und Altgesell!" u. dergl., und die Gestalt des fechtenden Wärter-
-V r ^" dunkeln Leinenkittel (Staubhemd), mit dein mit Wachstuch überzognen
^Ylmderhnt, mit derbem Knotenstock und schwerem Ränzel war noch auf allen Land¬
straßen häufig. Das Fechten war keine Schande, und wenn jemand sich über das
Betteln eines Menschen aufhielt, der leidlich gut angezogen war, und aus dessen
Felleisen noch ein paar fester Stiefelsohlen hervorschauten, so gaben Erfahrne die
Belehrung, daß bei so einem gerade die milde Gabe angebracht sei, wogegen sie
dem abgerissen Daherkommenden nur selten noch nütze. Jetzt giebt es bekanntlich
one Wanderburschen mehr. Der "Arbeiter," der überhaupt noch auf den alten
"atz hält, daß der Handwerker das, was er uicht erlernt hat, sich erwandern müsse,
benutzt die Eisenbahn, um in großen Städten Arbeit zu suchen; und wer noch auf
me erguen Füße angewiesen ist, wird meistens bald ein Kunde der Massenherbergeu,
in denen er Gutes wohl selten lernt. Den Zwang zum Besitze eines Arbeits¬
buches erklärt mau ja heute für eine Persönliche Beleidigung des Arbeiters.


Lvnovtu« loqnax

Liebe der in dem Einzelschönen erscheinenden Idee des Schönen gilt, wenn
ihm der Gott Amor nichts andres ist, als die ewig ungestillte Sehnsucht nach
dem Unendlichen.

(Fortsetzung folgt)




3menen3 lo^uax
Plaudereien eines alten Deutschen
3

n den Begünstigungen, die mir im Leben geworden sind, muß ich
auch das Aufwachsen in einer kleinen Stadt rechnen. Oft haben auf
Reisen Kinder meine Teilnahme erregt, die entweder mit förmlicher
Gier anstaunten, was thuen die Großstadt nicht hatte zeigen können,
oder die allem ihnen Unbekannten das Bewußtsein der Überlegenheit
entgegensetzten. Wir waren noch wie Tauben und Spatzen immer
auf der Gasse, täglich ungeladne aber nicht lästige Gäste in allen Häusern und auf
allen Höfen der ganzen Nachbarschaft, gingen womöglich zur Hand in den Werk¬
stätten des Tischlers, des Böttchers, des Schmieds, des Gelbgießers, des Färbers,
der die Strähne blauen Garns auf der offnen Gasse trocknen ließ, bei dem Krämer,
der die Hilfe beim Auspacken mit herrlichen „Kolonialwaren" bezahlte, oder zu¬
schauen ließ, wie er Öl „raffinirte" oder Unschlittkerzeu goß. Alle die Hantirungen
waren ergötzlich und lehrreich, der Verkehr mit den Meistern und Gesellen gewährte
Cnnblick in mancherlei bürgerliche Verhältnisse, wils um so nützlicher war, als der
abgeschmackte Klassenhaß zwischen dem homo litteraws, dem Studirten, Studenten
oder künftigen Studenten auf der einen, und dem bowo iAnows, dem „Knoten,"
d- i. dein Handwerksgesellen, auf der andern Seite fortwucherte. Wohl bestand schon
die Gewerbefreiheit, doch hörten nur noch Ausdrücke und Redeformen wie „Mit
Gunst, Meister und Altgesell!" u. dergl., und die Gestalt des fechtenden Wärter-
-V r ^" dunkeln Leinenkittel (Staubhemd), mit dein mit Wachstuch überzognen
^Ylmderhnt, mit derbem Knotenstock und schwerem Ränzel war noch auf allen Land¬
straßen häufig. Das Fechten war keine Schande, und wenn jemand sich über das
Betteln eines Menschen aufhielt, der leidlich gut angezogen war, und aus dessen
Felleisen noch ein paar fester Stiefelsohlen hervorschauten, so gaben Erfahrne die
Belehrung, daß bei so einem gerade die milde Gabe angebracht sei, wogegen sie
dem abgerissen Daherkommenden nur selten noch nütze. Jetzt giebt es bekanntlich
one Wanderburschen mehr. Der „Arbeiter," der überhaupt noch auf den alten
«atz hält, daß der Handwerker das, was er uicht erlernt hat, sich erwandern müsse,
benutzt die Eisenbahn, um in großen Städten Arbeit zu suchen; und wer noch auf
me erguen Füße angewiesen ist, wird meistens bald ein Kunde der Massenherbergeu,
in denen er Gutes wohl selten lernt. Den Zwang zum Besitze eines Arbeits¬
buches erklärt mau ja heute für eine Persönliche Beleidigung des Arbeiters.


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[0469] Lvnovtu« loqnax Liebe der in dem Einzelschönen erscheinenden Idee des Schönen gilt, wenn ihm der Gott Amor nichts andres ist, als die ewig ungestillte Sehnsucht nach dem Unendlichen. (Fortsetzung folgt) 3menen3 lo^uax Plaudereien eines alten Deutschen 3 n den Begünstigungen, die mir im Leben geworden sind, muß ich auch das Aufwachsen in einer kleinen Stadt rechnen. Oft haben auf Reisen Kinder meine Teilnahme erregt, die entweder mit förmlicher Gier anstaunten, was thuen die Großstadt nicht hatte zeigen können, oder die allem ihnen Unbekannten das Bewußtsein der Überlegenheit entgegensetzten. Wir waren noch wie Tauben und Spatzen immer auf der Gasse, täglich ungeladne aber nicht lästige Gäste in allen Häusern und auf allen Höfen der ganzen Nachbarschaft, gingen womöglich zur Hand in den Werk¬ stätten des Tischlers, des Böttchers, des Schmieds, des Gelbgießers, des Färbers, der die Strähne blauen Garns auf der offnen Gasse trocknen ließ, bei dem Krämer, der die Hilfe beim Auspacken mit herrlichen „Kolonialwaren" bezahlte, oder zu¬ schauen ließ, wie er Öl „raffinirte" oder Unschlittkerzeu goß. Alle die Hantirungen waren ergötzlich und lehrreich, der Verkehr mit den Meistern und Gesellen gewährte Cnnblick in mancherlei bürgerliche Verhältnisse, wils um so nützlicher war, als der abgeschmackte Klassenhaß zwischen dem homo litteraws, dem Studirten, Studenten oder künftigen Studenten auf der einen, und dem bowo iAnows, dem „Knoten," d- i. dein Handwerksgesellen, auf der andern Seite fortwucherte. Wohl bestand schon die Gewerbefreiheit, doch hörten nur noch Ausdrücke und Redeformen wie „Mit Gunst, Meister und Altgesell!" u. dergl., und die Gestalt des fechtenden Wärter- -V r ^" dunkeln Leinenkittel (Staubhemd), mit dein mit Wachstuch überzognen ^Ylmderhnt, mit derbem Knotenstock und schwerem Ränzel war noch auf allen Land¬ straßen häufig. Das Fechten war keine Schande, und wenn jemand sich über das Betteln eines Menschen aufhielt, der leidlich gut angezogen war, und aus dessen Felleisen noch ein paar fester Stiefelsohlen hervorschauten, so gaben Erfahrne die Belehrung, daß bei so einem gerade die milde Gabe angebracht sei, wogegen sie dem abgerissen Daherkommenden nur selten noch nütze. Jetzt giebt es bekanntlich one Wanderburschen mehr. Der „Arbeiter," der überhaupt noch auf den alten «atz hält, daß der Handwerker das, was er uicht erlernt hat, sich erwandern müsse, benutzt die Eisenbahn, um in großen Städten Arbeit zu suchen; und wer noch auf me erguen Füße angewiesen ist, wird meistens bald ein Kunde der Massenherbergeu, in denen er Gutes wohl selten lernt. Den Zwang zum Besitze eines Arbeits¬ buches erklärt mau ja heute für eine Persönliche Beleidigung des Arbeiters.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/469>, abgerufen am 29.04.2024.