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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen ans unserm heutigen Volksleben

golden haben oder mich noch gelten: "Was man nicht verstehen kann, sieht man
für poetisch an," Auf den Vater Rhein sind so viele schöne, frische Lieder ge¬
dichtet worden, aber Silchers Komposition verschuldet es, daß fröhliche Gesellen,
die den Rhein hinabgleiten, bei einem guten Trunke nicht etwa singen: "Am Rhein,
am Rhein, da wachsen unsre Neben," oder "An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht
<in den Rhein!" oder "Dort wo der Vater Rhein mit seinen Wellen so mancher
Burg bemooste Trümmer grüßt," auch nicht das noch immer zeitgemäße "Sie sollen
ihn nicht haben" oder "Wo solch ein Feuer noch gedeiht," sondern behaupten, "so
traurig" zu sein. Da wäre die unfreiwillige Parodie eines Tischlergesellen "ein
Mädchen aus uralten Zeiten" doch noch erträglicher als die ewige Loreleier. Zum
Glück genießen auch bessere Dichter, die nicht nötig hatten, für sich selbst Reklame
zu macheu, die Gunst der Musik, z. B. die beiden edelsten Sänger des dentschen
Waldes, Eichendorff und Uhland. Denn leider hat man ein Recht zu fragen, ob
ohne Gesangvereine die beiden Namen der Jugend von heute noch so teuer sein
würden, wie dereinst uns.

Was aber hat man sich damals von dem "Hellenen" Heine und Konsorten in
Deutschland bieten lassen! Von deutscher Art durfte fast nur noch mit einer Gri¬
masse gesprochen werden, Schiller zu verehren, war erlaubt, Goethe mir mit großer
Einschränkung. Angezogen sein war gleichbedeutend mit geistreich, und Ungezogen¬
heit brauchte man nicht erst zu lernen. Wirkliche Kenntnis von den Dingen war
nicht Vonnöten, um über sie zu sprechen und abzusprechen, ob sie nun in das Gebiet
der Staatskunst, der Wissenschaften, der Künste gehörten. Nur dreist darauf los
mit der Unbefangenheit eines Bajazzo! So entstand eine Gattung von Tciges-
schriftstellerei, die aufs üppigste wucherte, und der den fruchtbarsten Nährboden
schon darum das Theater bot, weil sich mit ihm, mit Aufführungen, Schauspielern
und Schauspielerinnen alle Welt gern befaßte, von ihm jedermann etwas zu ver¬
stehen meinte, und mau da weniger Gefahr lief, mit Gesehen und Verordnungen
in unangenehme Berührung zu geraten. Wie jene Journalistik Schule gemacht hat,
das braucht gar nicht besprochen zu werden.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
6. Die ^Nönkeberger Aapelle

n Quakenborn wurde die "Jnkommunnlisirung," das heißt die Ein-
gliederung der bisher selbständigen Vorstadt Mönkeberg in die Stadt¬
gemeinde durch ein Festessen gefeiert. Dieses Festessen nahm einen
glänzenden Verlauf. Die Beteiligung der Bürger war sehr rege
gewesen, der Wirt hatte seine Schuldigkeit gethan und wirklich alles
mögliche für zwei Mark fünfundzwanzig geleistet, und die hohen
Behörden, geistliche wie weltliche, waren vertreten. An der Ehrenseite der, wie
üblich, in Hufeisenform gestellten Tafel saßen der Herr Regierungsrat, der Herr


Skizzen ans unserm heutigen Volksleben

golden haben oder mich noch gelten: „Was man nicht verstehen kann, sieht man
für poetisch an," Auf den Vater Rhein sind so viele schöne, frische Lieder ge¬
dichtet worden, aber Silchers Komposition verschuldet es, daß fröhliche Gesellen,
die den Rhein hinabgleiten, bei einem guten Trunke nicht etwa singen: „Am Rhein,
am Rhein, da wachsen unsre Neben," oder „An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht
<in den Rhein!" oder „Dort wo der Vater Rhein mit seinen Wellen so mancher
Burg bemooste Trümmer grüßt," auch nicht das noch immer zeitgemäße „Sie sollen
ihn nicht haben" oder „Wo solch ein Feuer noch gedeiht," sondern behaupten, „so
traurig" zu sein. Da wäre die unfreiwillige Parodie eines Tischlergesellen „ein
Mädchen aus uralten Zeiten" doch noch erträglicher als die ewige Loreleier. Zum
Glück genießen auch bessere Dichter, die nicht nötig hatten, für sich selbst Reklame
zu macheu, die Gunst der Musik, z. B. die beiden edelsten Sänger des dentschen
Waldes, Eichendorff und Uhland. Denn leider hat man ein Recht zu fragen, ob
ohne Gesangvereine die beiden Namen der Jugend von heute noch so teuer sein
würden, wie dereinst uns.

Was aber hat man sich damals von dem „Hellenen" Heine und Konsorten in
Deutschland bieten lassen! Von deutscher Art durfte fast nur noch mit einer Gri¬
masse gesprochen werden, Schiller zu verehren, war erlaubt, Goethe mir mit großer
Einschränkung. Angezogen sein war gleichbedeutend mit geistreich, und Ungezogen¬
heit brauchte man nicht erst zu lernen. Wirkliche Kenntnis von den Dingen war
nicht Vonnöten, um über sie zu sprechen und abzusprechen, ob sie nun in das Gebiet
der Staatskunst, der Wissenschaften, der Künste gehörten. Nur dreist darauf los
mit der Unbefangenheit eines Bajazzo! So entstand eine Gattung von Tciges-
schriftstellerei, die aufs üppigste wucherte, und der den fruchtbarsten Nährboden
schon darum das Theater bot, weil sich mit ihm, mit Aufführungen, Schauspielern
und Schauspielerinnen alle Welt gern befaßte, von ihm jedermann etwas zu ver¬
stehen meinte, und mau da weniger Gefahr lief, mit Gesehen und Verordnungen
in unangenehme Berührung zu geraten. Wie jene Journalistik Schule gemacht hat,
das braucht gar nicht besprochen zu werden.




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Neue Folge
6. Die ^Nönkeberger Aapelle

n Quakenborn wurde die „Jnkommunnlisirung," das heißt die Ein-
gliederung der bisher selbständigen Vorstadt Mönkeberg in die Stadt¬
gemeinde durch ein Festessen gefeiert. Dieses Festessen nahm einen
glänzenden Verlauf. Die Beteiligung der Bürger war sehr rege
gewesen, der Wirt hatte seine Schuldigkeit gethan und wirklich alles
mögliche für zwei Mark fünfundzwanzig geleistet, und die hohen
Behörden, geistliche wie weltliche, waren vertreten. An der Ehrenseite der, wie
üblich, in Hufeisenform gestellten Tafel saßen der Herr Regierungsrat, der Herr


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[0475] Skizzen ans unserm heutigen Volksleben golden haben oder mich noch gelten: „Was man nicht verstehen kann, sieht man für poetisch an," Auf den Vater Rhein sind so viele schöne, frische Lieder ge¬ dichtet worden, aber Silchers Komposition verschuldet es, daß fröhliche Gesellen, die den Rhein hinabgleiten, bei einem guten Trunke nicht etwa singen: „Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Neben," oder „An den Rhein, an den Rhein, zieh nicht <in den Rhein!" oder „Dort wo der Vater Rhein mit seinen Wellen so mancher Burg bemooste Trümmer grüßt," auch nicht das noch immer zeitgemäße „Sie sollen ihn nicht haben" oder „Wo solch ein Feuer noch gedeiht," sondern behaupten, „so traurig" zu sein. Da wäre die unfreiwillige Parodie eines Tischlergesellen „ein Mädchen aus uralten Zeiten" doch noch erträglicher als die ewige Loreleier. Zum Glück genießen auch bessere Dichter, die nicht nötig hatten, für sich selbst Reklame zu macheu, die Gunst der Musik, z. B. die beiden edelsten Sänger des dentschen Waldes, Eichendorff und Uhland. Denn leider hat man ein Recht zu fragen, ob ohne Gesangvereine die beiden Namen der Jugend von heute noch so teuer sein würden, wie dereinst uns. Was aber hat man sich damals von dem „Hellenen" Heine und Konsorten in Deutschland bieten lassen! Von deutscher Art durfte fast nur noch mit einer Gri¬ masse gesprochen werden, Schiller zu verehren, war erlaubt, Goethe mir mit großer Einschränkung. Angezogen sein war gleichbedeutend mit geistreich, und Ungezogen¬ heit brauchte man nicht erst zu lernen. Wirkliche Kenntnis von den Dingen war nicht Vonnöten, um über sie zu sprechen und abzusprechen, ob sie nun in das Gebiet der Staatskunst, der Wissenschaften, der Künste gehörten. Nur dreist darauf los mit der Unbefangenheit eines Bajazzo! So entstand eine Gattung von Tciges- schriftstellerei, die aufs üppigste wucherte, und der den fruchtbarsten Nährboden schon darum das Theater bot, weil sich mit ihm, mit Aufführungen, Schauspielern und Schauspielerinnen alle Welt gern befaßte, von ihm jedermann etwas zu ver¬ stehen meinte, und mau da weniger Gefahr lief, mit Gesehen und Verordnungen in unangenehme Berührung zu geraten. Wie jene Journalistik Schule gemacht hat, das braucht gar nicht besprochen zu werden. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Neue Folge 6. Die ^Nönkeberger Aapelle n Quakenborn wurde die „Jnkommunnlisirung," das heißt die Ein- gliederung der bisher selbständigen Vorstadt Mönkeberg in die Stadt¬ gemeinde durch ein Festessen gefeiert. Dieses Festessen nahm einen glänzenden Verlauf. Die Beteiligung der Bürger war sehr rege gewesen, der Wirt hatte seine Schuldigkeit gethan und wirklich alles mögliche für zwei Mark fünfundzwanzig geleistet, und die hohen Behörden, geistliche wie weltliche, waren vertreten. An der Ehrenseite der, wie üblich, in Hufeisenform gestellten Tafel saßen der Herr Regierungsrat, der Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/475>, abgerufen am 29.04.2024.