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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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gehört, die jede Art des Patriotismus eilf Chauvinismus verdächtigen, die unsre
deutsche Jugend lehren, sich der Erfolge und der Größe ihres Vaterlandes zu
schämen, der mag mit philosophischer Ruhe einem solchen Schauspiele beiwohnen,
es vielleicht gar als ein erfreuliches Zeichen davon begrüßen, daß die engherzigen,
nationalen Ideen, daß der überspannte Heroenkultus im Schwinden begriffen sind.
Aber es giebt immer noch einige unphilosophische Köpfe in der Nation der Denker,
die tiefen Schmerz darüber empfinden, daß Deutschland nicht einmal einmütig
Line Deutsche trauern kann. , > ,




Litteratur

Seeschiffahrt für jedermann von Erwin Knipping, Hamburg, G. W. Niemeyer Nach-
, / , , folger, 1M8 , ,, ^ ^

Ein früherer Steuermann der Handelsmarine, der lange Jahre in Japan
dem aufstrebenden Jnselvölkchen die Anfangsgründe in der Schiffahrts- und Wetter¬
kunde beigebracht und dabei auch ganz anerkennenswertes geleistet hat, sucht nun
auch seine eignen Landsleute in der Steuermannskuust zu unterrichten. Mit großer
Harmlosigkeit stellt er sich dabei die von erfahrenen Lehrern der Nautik längst als
unlösbar erkannte Aufgabe, mit seinem Büchlein zugleich alle Laien (nämlich Kauf¬
leute, Juristen, Schiffsärzte, Jachtsegler, Seereisende, Besucher der Seebäder und
schließlich Binnenländer aller Stände), ferner aber auch angehende Steuerleute und
Kadetten und schließlich auch ältere Seeleute belehren zu können, aber cM trox
smdrasLo, sindr-WS. Originell an dem kleinen, recht fleißig zusammen¬

gestellten Werke ist der japanische Chnrakterzug, der überall in die Augen springt;
die schwierigsten Probleme werden mit einer Kühnheit knapp und "ohne weiteres,"
d. h. ohne Eingehen auf die für wirkliches Verständnis unvermeidlichen theoretischen
Entwicklungen vorgetragen und dabei dem Leser allerlei "praktische" Regeln ein¬
gedrillt (und zwar echt japanisch-schematisch), daß dem harmlosen Laien das Herz
im Leibe lachen muß, wie herrlich weit er es im Handunidrehen doch bringen kann,
während sich freilich ernsthaften Fachleuten die Haare sträuben bei dieser Art der
Beseitigung der "teils eingebildeten (hio!), teils übertriebnen Schwierigkeiten der
technischen Seite des ungewohnten Stoffes." Mit den wichtigsten Fragen der
heutigen Seeschiffahrt, die freilich seit Knippings Lehrjahren sehr große Änderungen
durchgemacht hat, hält sich der Verfasser nicht lange auf; und doch wäre ein ver¬
ständnisvolles Eingehen auf die Deviationstheorie interessanter gewesen, als die
vielen überflüssigen Logarithmentafeln; denn diese "Kunstzahlen" (so nennt der Ver¬
fasser sie!) findet man heute in jeder bessern Schule, in besondern Büchern. Trotz
mancher andrer Mängel wird das anspruchslose Buch jungen Leuten, die Interesse
für das Seewesen haben, mancherlei Anregung und Beschäftigung geben, und zu
di G. N?is. esem Zwecke kann es auch ohne Bedenken empfohlen werden.




, - Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

gehört, die jede Art des Patriotismus eilf Chauvinismus verdächtigen, die unsre
deutsche Jugend lehren, sich der Erfolge und der Größe ihres Vaterlandes zu
schämen, der mag mit philosophischer Ruhe einem solchen Schauspiele beiwohnen,
es vielleicht gar als ein erfreuliches Zeichen davon begrüßen, daß die engherzigen,
nationalen Ideen, daß der überspannte Heroenkultus im Schwinden begriffen sind.
Aber es giebt immer noch einige unphilosophische Köpfe in der Nation der Denker,
die tiefen Schmerz darüber empfinden, daß Deutschland nicht einmal einmütig
Line Deutsche trauern kann. , > ,




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Seeschiffahrt für jedermann von Erwin Knipping, Hamburg, G. W. Niemeyer Nach-
, / , , folger, 1M8 , ,, ^ ^

Ein früherer Steuermann der Handelsmarine, der lange Jahre in Japan
dem aufstrebenden Jnselvölkchen die Anfangsgründe in der Schiffahrts- und Wetter¬
kunde beigebracht und dabei auch ganz anerkennenswertes geleistet hat, sucht nun
auch seine eignen Landsleute in der Steuermannskuust zu unterrichten. Mit großer
Harmlosigkeit stellt er sich dabei die von erfahrenen Lehrern der Nautik längst als
unlösbar erkannte Aufgabe, mit seinem Büchlein zugleich alle Laien (nämlich Kauf¬
leute, Juristen, Schiffsärzte, Jachtsegler, Seereisende, Besucher der Seebäder und
schließlich Binnenländer aller Stände), ferner aber auch angehende Steuerleute und
Kadetten und schließlich auch ältere Seeleute belehren zu können, aber cM trox
smdrasLo, sindr-WS. Originell an dem kleinen, recht fleißig zusammen¬

gestellten Werke ist der japanische Chnrakterzug, der überall in die Augen springt;
die schwierigsten Probleme werden mit einer Kühnheit knapp und „ohne weiteres,"
d. h. ohne Eingehen auf die für wirkliches Verständnis unvermeidlichen theoretischen
Entwicklungen vorgetragen und dabei dem Leser allerlei „praktische" Regeln ein¬
gedrillt (und zwar echt japanisch-schematisch), daß dem harmlosen Laien das Herz
im Leibe lachen muß, wie herrlich weit er es im Handunidrehen doch bringen kann,
während sich freilich ernsthaften Fachleuten die Haare sträuben bei dieser Art der
Beseitigung der „teils eingebildeten (hio!), teils übertriebnen Schwierigkeiten der
technischen Seite des ungewohnten Stoffes." Mit den wichtigsten Fragen der
heutigen Seeschiffahrt, die freilich seit Knippings Lehrjahren sehr große Änderungen
durchgemacht hat, hält sich der Verfasser nicht lange auf; und doch wäre ein ver¬
ständnisvolles Eingehen auf die Deviationstheorie interessanter gewesen, als die
vielen überflüssigen Logarithmentafeln; denn diese „Kunstzahlen" (so nennt der Ver¬
fasser sie!) findet man heute in jeder bessern Schule, in besondern Büchern. Trotz
mancher andrer Mängel wird das anspruchslose Buch jungen Leuten, die Interesse
für das Seewesen haben, mancherlei Anregung und Beschäftigung geben, und zu
di G. N?is. esem Zwecke kann es auch ohne Bedenken empfohlen werden.




, - Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0488] Litteratur gehört, die jede Art des Patriotismus eilf Chauvinismus verdächtigen, die unsre deutsche Jugend lehren, sich der Erfolge und der Größe ihres Vaterlandes zu schämen, der mag mit philosophischer Ruhe einem solchen Schauspiele beiwohnen, es vielleicht gar als ein erfreuliches Zeichen davon begrüßen, daß die engherzigen, nationalen Ideen, daß der überspannte Heroenkultus im Schwinden begriffen sind. Aber es giebt immer noch einige unphilosophische Köpfe in der Nation der Denker, die tiefen Schmerz darüber empfinden, daß Deutschland nicht einmal einmütig Line Deutsche trauern kann. , > , Litteratur Seeschiffahrt für jedermann von Erwin Knipping, Hamburg, G. W. Niemeyer Nach- , / , , folger, 1M8 , ,, ^ ^ Ein früherer Steuermann der Handelsmarine, der lange Jahre in Japan dem aufstrebenden Jnselvölkchen die Anfangsgründe in der Schiffahrts- und Wetter¬ kunde beigebracht und dabei auch ganz anerkennenswertes geleistet hat, sucht nun auch seine eignen Landsleute in der Steuermannskuust zu unterrichten. Mit großer Harmlosigkeit stellt er sich dabei die von erfahrenen Lehrern der Nautik längst als unlösbar erkannte Aufgabe, mit seinem Büchlein zugleich alle Laien (nämlich Kauf¬ leute, Juristen, Schiffsärzte, Jachtsegler, Seereisende, Besucher der Seebäder und schließlich Binnenländer aller Stände), ferner aber auch angehende Steuerleute und Kadetten und schließlich auch ältere Seeleute belehren zu können, aber cM trox smdrasLo, sindr-WS. Originell an dem kleinen, recht fleißig zusammen¬ gestellten Werke ist der japanische Chnrakterzug, der überall in die Augen springt; die schwierigsten Probleme werden mit einer Kühnheit knapp und „ohne weiteres," d. h. ohne Eingehen auf die für wirkliches Verständnis unvermeidlichen theoretischen Entwicklungen vorgetragen und dabei dem Leser allerlei „praktische" Regeln ein¬ gedrillt (und zwar echt japanisch-schematisch), daß dem harmlosen Laien das Herz im Leibe lachen muß, wie herrlich weit er es im Handunidrehen doch bringen kann, während sich freilich ernsthaften Fachleuten die Haare sträuben bei dieser Art der Beseitigung der „teils eingebildeten (hio!), teils übertriebnen Schwierigkeiten der technischen Seite des ungewohnten Stoffes." Mit den wichtigsten Fragen der heutigen Seeschiffahrt, die freilich seit Knippings Lehrjahren sehr große Änderungen durchgemacht hat, hält sich der Verfasser nicht lange auf; und doch wäre ein ver¬ ständnisvolles Eingehen auf die Deviationstheorie interessanter gewesen, als die vielen überflüssigen Logarithmentafeln; denn diese „Kunstzahlen" (so nennt der Ver¬ fasser sie!) findet man heute in jeder bessern Schule, in besondern Büchern. Trotz mancher andrer Mängel wird das anspruchslose Buch jungen Leuten, die Interesse für das Seewesen haben, mancherlei Anregung und Beschäftigung geben, und zu di G. N?is. esem Zwecke kann es auch ohne Bedenken empfohlen werden. , - Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/488>, abgerufen am 29.04.2024.