Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mittelstandspolitik in Hsterreich

Das psychologische Ergebnis dieser nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit
festgehaltnen Vorstellungs- und Gefühlsweise war eine auf den höchsten Grad
getriebne Energie des Gewissens und des Willens. Wenn der Eiferer bei
jedem Anlaß eine peinliche Prüfung anstellte, was in diesem Fall der Wille
Gottes sei, so legte er im Grunde genommen in ernstester Weise seinen eignen
höchsten Maßstab des Guten und Wahren an. Und so hing es wesentlich
von der eignen Natur des Handelnden ab, ob das Ergebnis ein gutes oder
schlimmes war. Durch die Vorstellung, daß der zustande gekommne Entschluß
eine göttliche Eingebung sei, steigerte sich die Energie und Beharrlichkeit des
Wollens im Guten wie im Bösen.

Cromwell blieb bis an das Ende seines Lebens mit voller Aufrichtigkeit
der theologisch-hebraisirenden Vorstellungsweise und Sprache treu, obwohl die
öffentliche Meinung in der puritanischen Manier mehr und mehr nur das
äußerliche Schiboleth einer zur Macht gelangten Partei erblickte. Daß der
gewaltige Mann aber kein Knecht des Buchstabens gewesen ist, geht aus einem
an seinen Sohn Richard gerichteten Briefe hervor, worin es heißt: "Du kannst
das Antlitz Gottes nur finden in Jesu Christo; so strebe denn darnach, Gott
in Christo zu erkennen. Das ist die Summe von allen:, selbst vom ewigen
Leben. Die wahre Erkenntnis wird aber nicht im Buchstaben oder in Vernunft-
schlüssen gefunden (eilf trug lcuovlsäg'ö 1t not UtoM or "xsLul^lips), sondern
sie ist eine innerliche des Gemüts, wo sie eine göttliche Kraft erzeugt, die
Uarl Trost nach ihr den Geist umbildet."




Mttelstandspolitik in Österreich

icht s
elten geraten wir in die angenehme Lage, unsre besten
Freunde bekämpfen zu müssen. Das volkswirtschaftliche Ideal
der Mittelstandspolitiker ist auch das unsre; auch wir wünschten
uns einen Volkskörper, der größtenteils aus tüchtigen Bauern
und Handwerkern bestünde, nur daß wir das neue Glied am
Körper der produktiven Stände, die Großindustrie, für berechtigt und eine
Ordnung für möglich halten, in der jedes Glied dem andern nützt und keins
die andern schädigt. Trotzdem sehen wir uns genötigt, sowohl die Über-
treibungen des Bundes der Landwirte, der die Vertretung der Bauern an sich
gerissen hat, als die Zünftlerei zu bekämpfen. Wir haben in beiden Be¬
ziehungen so ziemlich alles gesagt, was zu sagen ist, und können daher nur,


Mittelstandspolitik in Hsterreich

Das psychologische Ergebnis dieser nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit
festgehaltnen Vorstellungs- und Gefühlsweise war eine auf den höchsten Grad
getriebne Energie des Gewissens und des Willens. Wenn der Eiferer bei
jedem Anlaß eine peinliche Prüfung anstellte, was in diesem Fall der Wille
Gottes sei, so legte er im Grunde genommen in ernstester Weise seinen eignen
höchsten Maßstab des Guten und Wahren an. Und so hing es wesentlich
von der eignen Natur des Handelnden ab, ob das Ergebnis ein gutes oder
schlimmes war. Durch die Vorstellung, daß der zustande gekommne Entschluß
eine göttliche Eingebung sei, steigerte sich die Energie und Beharrlichkeit des
Wollens im Guten wie im Bösen.

Cromwell blieb bis an das Ende seines Lebens mit voller Aufrichtigkeit
der theologisch-hebraisirenden Vorstellungsweise und Sprache treu, obwohl die
öffentliche Meinung in der puritanischen Manier mehr und mehr nur das
äußerliche Schiboleth einer zur Macht gelangten Partei erblickte. Daß der
gewaltige Mann aber kein Knecht des Buchstabens gewesen ist, geht aus einem
an seinen Sohn Richard gerichteten Briefe hervor, worin es heißt: „Du kannst
das Antlitz Gottes nur finden in Jesu Christo; so strebe denn darnach, Gott
in Christo zu erkennen. Das ist die Summe von allen:, selbst vom ewigen
Leben. Die wahre Erkenntnis wird aber nicht im Buchstaben oder in Vernunft-
schlüssen gefunden (eilf trug lcuovlsäg'ö 1t not UtoM or «xsLul^lips), sondern
sie ist eine innerliche des Gemüts, wo sie eine göttliche Kraft erzeugt, die
Uarl Trost nach ihr den Geist umbildet."




Mttelstandspolitik in Österreich

icht s
elten geraten wir in die angenehme Lage, unsre besten
Freunde bekämpfen zu müssen. Das volkswirtschaftliche Ideal
der Mittelstandspolitiker ist auch das unsre; auch wir wünschten
uns einen Volkskörper, der größtenteils aus tüchtigen Bauern
und Handwerkern bestünde, nur daß wir das neue Glied am
Körper der produktiven Stände, die Großindustrie, für berechtigt und eine
Ordnung für möglich halten, in der jedes Glied dem andern nützt und keins
die andern schädigt. Trotzdem sehen wir uns genötigt, sowohl die Über-
treibungen des Bundes der Landwirte, der die Vertretung der Bauern an sich
gerissen hat, als die Zünftlerei zu bekämpfen. Wir haben in beiden Be¬
ziehungen so ziemlich alles gesagt, was zu sagen ist, und können daher nur,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228800"/>
          <fw type="header" place="top"> Mittelstandspolitik in Hsterreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1712"> Das psychologische Ergebnis dieser nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit<lb/>
festgehaltnen Vorstellungs- und Gefühlsweise war eine auf den höchsten Grad<lb/>
getriebne Energie des Gewissens und des Willens. Wenn der Eiferer bei<lb/>
jedem Anlaß eine peinliche Prüfung anstellte, was in diesem Fall der Wille<lb/>
Gottes sei, so legte er im Grunde genommen in ernstester Weise seinen eignen<lb/>
höchsten Maßstab des Guten und Wahren an. Und so hing es wesentlich<lb/>
von der eignen Natur des Handelnden ab, ob das Ergebnis ein gutes oder<lb/>
schlimmes war. Durch die Vorstellung, daß der zustande gekommne Entschluß<lb/>
eine göttliche Eingebung sei, steigerte sich die Energie und Beharrlichkeit des<lb/>
Wollens im Guten wie im Bösen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1713"> Cromwell blieb bis an das Ende seines Lebens mit voller Aufrichtigkeit<lb/>
der theologisch-hebraisirenden Vorstellungsweise und Sprache treu, obwohl die<lb/>
öffentliche Meinung in der puritanischen Manier mehr und mehr nur das<lb/>
äußerliche Schiboleth einer zur Macht gelangten Partei erblickte. Daß der<lb/>
gewaltige Mann aber kein Knecht des Buchstabens gewesen ist, geht aus einem<lb/>
an seinen Sohn Richard gerichteten Briefe hervor, worin es heißt: &#x201E;Du kannst<lb/>
das Antlitz Gottes nur finden in Jesu Christo; so strebe denn darnach, Gott<lb/>
in Christo zu erkennen. Das ist die Summe von allen:, selbst vom ewigen<lb/>
Leben. Die wahre Erkenntnis wird aber nicht im Buchstaben oder in Vernunft-<lb/>
schlüssen gefunden (eilf trug lcuovlsäg'ö 1t not UtoM or «xsLul^lips), sondern<lb/>
sie ist eine innerliche des Gemüts, wo sie eine göttliche Kraft erzeugt, die<lb/><note type="byline"> Uarl Trost</note> nach ihr den Geist umbildet." </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mttelstandspolitik in Österreich</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1714" next="#ID_1715"> icht s<lb/>
elten geraten wir in die angenehme Lage, unsre besten<lb/>
Freunde bekämpfen zu müssen. Das volkswirtschaftliche Ideal<lb/>
der Mittelstandspolitiker ist auch das unsre; auch wir wünschten<lb/>
uns einen Volkskörper, der größtenteils aus tüchtigen Bauern<lb/>
und Handwerkern bestünde, nur daß wir das neue Glied am<lb/>
Körper der produktiven Stände, die Großindustrie, für berechtigt und eine<lb/>
Ordnung für möglich halten, in der jedes Glied dem andern nützt und keins<lb/>
die andern schädigt. Trotzdem sehen wir uns genötigt, sowohl die Über-<lb/>
treibungen des Bundes der Landwirte, der die Vertretung der Bauern an sich<lb/>
gerissen hat, als die Zünftlerei zu bekämpfen. Wir haben in beiden Be¬<lb/>
ziehungen so ziemlich alles gesagt, was zu sagen ist, und können daher nur,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Mittelstandspolitik in Hsterreich Das psychologische Ergebnis dieser nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit festgehaltnen Vorstellungs- und Gefühlsweise war eine auf den höchsten Grad getriebne Energie des Gewissens und des Willens. Wenn der Eiferer bei jedem Anlaß eine peinliche Prüfung anstellte, was in diesem Fall der Wille Gottes sei, so legte er im Grunde genommen in ernstester Weise seinen eignen höchsten Maßstab des Guten und Wahren an. Und so hing es wesentlich von der eignen Natur des Handelnden ab, ob das Ergebnis ein gutes oder schlimmes war. Durch die Vorstellung, daß der zustande gekommne Entschluß eine göttliche Eingebung sei, steigerte sich die Energie und Beharrlichkeit des Wollens im Guten wie im Bösen. Cromwell blieb bis an das Ende seines Lebens mit voller Aufrichtigkeit der theologisch-hebraisirenden Vorstellungsweise und Sprache treu, obwohl die öffentliche Meinung in der puritanischen Manier mehr und mehr nur das äußerliche Schiboleth einer zur Macht gelangten Partei erblickte. Daß der gewaltige Mann aber kein Knecht des Buchstabens gewesen ist, geht aus einem an seinen Sohn Richard gerichteten Briefe hervor, worin es heißt: „Du kannst das Antlitz Gottes nur finden in Jesu Christo; so strebe denn darnach, Gott in Christo zu erkennen. Das ist die Summe von allen:, selbst vom ewigen Leben. Die wahre Erkenntnis wird aber nicht im Buchstaben oder in Vernunft- schlüssen gefunden (eilf trug lcuovlsäg'ö 1t not UtoM or «xsLul^lips), sondern sie ist eine innerliche des Gemüts, wo sie eine göttliche Kraft erzeugt, die Uarl Trost nach ihr den Geist umbildet." Mttelstandspolitik in Österreich icht s elten geraten wir in die angenehme Lage, unsre besten Freunde bekämpfen zu müssen. Das volkswirtschaftliche Ideal der Mittelstandspolitiker ist auch das unsre; auch wir wünschten uns einen Volkskörper, der größtenteils aus tüchtigen Bauern und Handwerkern bestünde, nur daß wir das neue Glied am Körper der produktiven Stände, die Großindustrie, für berechtigt und eine Ordnung für möglich halten, in der jedes Glied dem andern nützt und keins die andern schädigt. Trotzdem sehen wir uns genötigt, sowohl die Über- treibungen des Bundes der Landwirte, der die Vertretung der Bauern an sich gerissen hat, als die Zünftlerei zu bekämpfen. Wir haben in beiden Be¬ ziehungen so ziemlich alles gesagt, was zu sagen ist, und können daher nur,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/498>, abgerufen am 29.04.2024.