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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

vor den Übermütigen, die um eines guten Zweckes willen mit schlechten Mitteln,
nämlich mit Blutvergießen beginnen wollen; denn die Zeiten, fügt er hinzu,
ändern sich, und oft entsteht Gutes über alles Hoffen ohne menschliches Zuthun.

Eine ähnliche, milde, resignirte Stimmung, bei aller Liebe zur Heimat,
spricht aus den Versen OIX, 17, die ein Zwiegespräch zwischen der als Donna
vorgestellten Vaterstadt und den Verbannten enthält. Noch deutlicher enthält
ein Madrigal (OIX, 64) die Mahnung, den Prinzipat Cosimos nicht mit Gewalt
zu bekämpfen, die Vergeltung von der gerechten Nachwelt zu erwarten und
Verzeihung selbst am Feinde zu üben. Zur Rückkehr in die Vaterstadt hat
er sich aber nie wieder entschließen können. Weder die wiederholten dring¬
lichen Einladungen Cosimos noch die Zureden seiner Freunde haben ihn zu
bewegen vermocht.


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Die Muse Michelangelos ist vielseitig genug. Sie schöpft aus den Er¬
fahrungen eines reichen Lebens. Innere und äußere Erlebnisse, Liebe und
Freundesverkehr, patriotische Anliegen bieten ihr Stoffe dar. Doch im ersten
Jahrzehnt des römischen Aufenthalts ist die Dichtung Michelangelos zum
weitaus größten Teil von dem Verhältnis zu Tommaso Cavalieri erfüllt. Die
meisten und die bedeutendsten Gedichte sind diesem idealen Freundschaftskultus
geweiht. Er zieht sich bis in die Jahre hinein, wo die Witwe des kaiserlichen
Feldherrn Pescara Michelangelos Muse wurde. Man kann nicht eigentlich sagen,
daß die Liebe zu dem schönen Jüngling von der Freundschaft für die seltene Frau
abgelöst worden wäre. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß, wenn ihm
auch Cavalieri zeitlebens befreundet und treu ergeben blieb, sich der leidenschaft¬
liche Charakter dieser Neigung doch mit den Jahren abstreifte, zumal wenn neue
starke Eindrücke sich dazwischen schoben. Merkwürdig ist aber, daß auch aus dem
neuen Verhältnis heraus Gedichte von ähnlichem Charakter entstehen, wie wir sie
schon kennen- Bei einer Reihe von Stücken wäre schwer zu sagen, ob die vor¬
gestellte Person, an die der Dichter seine Verse richtet, Tommaso ist oder Vittoria
Colonna oder wer sonst. Es kommt vor, daß Gedichte, die an ein männliches
Ideal gerichtet sind, später mit Beziehung auf Vittoria Colonna umgedichtet
werden; andre, ursprünglich einer Donna gewidmet, sind in späterer Fassung
auf Cavalieri bezogen. Es kann das weniger auffallen, wenn wir uns erinnern,
welcher Art nach des Dichters eignen Worten seine Liebeszustände sind: er
wird von Liebe zu einem schönen Gegenstand ergriffen, aber er liebt in ihm
das, was in allem Schönen dasselbe ist, was sich in tausend schönen Ge¬
stalten verkörpert. Er ist deshalb imstande, dem Schönen seine Huldigung
darzubringen, auch wo sein Herz gar nicht beteiligt ist. Einem seiner Freunde
zuliebe feiert er dessen Geliebte, eine mehr um ihrer äußern Reize als um
ihrer Tugend willen berühmte Dame, in den überschwenglichsten Ausdrücken
((ÜIX, 63). Und als seinem Freunde Riccio ein fünfzehnjähriger Neffe ge-


Die Gedichte Michelangelos

vor den Übermütigen, die um eines guten Zweckes willen mit schlechten Mitteln,
nämlich mit Blutvergießen beginnen wollen; denn die Zeiten, fügt er hinzu,
ändern sich, und oft entsteht Gutes über alles Hoffen ohne menschliches Zuthun.

Eine ähnliche, milde, resignirte Stimmung, bei aller Liebe zur Heimat,
spricht aus den Versen OIX, 17, die ein Zwiegespräch zwischen der als Donna
vorgestellten Vaterstadt und den Verbannten enthält. Noch deutlicher enthält
ein Madrigal (OIX, 64) die Mahnung, den Prinzipat Cosimos nicht mit Gewalt
zu bekämpfen, die Vergeltung von der gerechten Nachwelt zu erwarten und
Verzeihung selbst am Feinde zu üben. Zur Rückkehr in die Vaterstadt hat
er sich aber nie wieder entschließen können. Weder die wiederholten dring¬
lichen Einladungen Cosimos noch die Zureden seiner Freunde haben ihn zu
bewegen vermocht.


5

Die Muse Michelangelos ist vielseitig genug. Sie schöpft aus den Er¬
fahrungen eines reichen Lebens. Innere und äußere Erlebnisse, Liebe und
Freundesverkehr, patriotische Anliegen bieten ihr Stoffe dar. Doch im ersten
Jahrzehnt des römischen Aufenthalts ist die Dichtung Michelangelos zum
weitaus größten Teil von dem Verhältnis zu Tommaso Cavalieri erfüllt. Die
meisten und die bedeutendsten Gedichte sind diesem idealen Freundschaftskultus
geweiht. Er zieht sich bis in die Jahre hinein, wo die Witwe des kaiserlichen
Feldherrn Pescara Michelangelos Muse wurde. Man kann nicht eigentlich sagen,
daß die Liebe zu dem schönen Jüngling von der Freundschaft für die seltene Frau
abgelöst worden wäre. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß, wenn ihm
auch Cavalieri zeitlebens befreundet und treu ergeben blieb, sich der leidenschaft¬
liche Charakter dieser Neigung doch mit den Jahren abstreifte, zumal wenn neue
starke Eindrücke sich dazwischen schoben. Merkwürdig ist aber, daß auch aus dem
neuen Verhältnis heraus Gedichte von ähnlichem Charakter entstehen, wie wir sie
schon kennen- Bei einer Reihe von Stücken wäre schwer zu sagen, ob die vor¬
gestellte Person, an die der Dichter seine Verse richtet, Tommaso ist oder Vittoria
Colonna oder wer sonst. Es kommt vor, daß Gedichte, die an ein männliches
Ideal gerichtet sind, später mit Beziehung auf Vittoria Colonna umgedichtet
werden; andre, ursprünglich einer Donna gewidmet, sind in späterer Fassung
auf Cavalieri bezogen. Es kann das weniger auffallen, wenn wir uns erinnern,
welcher Art nach des Dichters eignen Worten seine Liebeszustände sind: er
wird von Liebe zu einem schönen Gegenstand ergriffen, aber er liebt in ihm
das, was in allem Schönen dasselbe ist, was sich in tausend schönen Ge¬
stalten verkörpert. Er ist deshalb imstande, dem Schönen seine Huldigung
darzubringen, auch wo sein Herz gar nicht beteiligt ist. Einem seiner Freunde
zuliebe feiert er dessen Geliebte, eine mehr um ihrer äußern Reize als um
ihrer Tugend willen berühmte Dame, in den überschwenglichsten Ausdrücken
((ÜIX, 63). Und als seinem Freunde Riccio ein fünfzehnjähriger Neffe ge-


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[0522] Die Gedichte Michelangelos vor den Übermütigen, die um eines guten Zweckes willen mit schlechten Mitteln, nämlich mit Blutvergießen beginnen wollen; denn die Zeiten, fügt er hinzu, ändern sich, und oft entsteht Gutes über alles Hoffen ohne menschliches Zuthun. Eine ähnliche, milde, resignirte Stimmung, bei aller Liebe zur Heimat, spricht aus den Versen OIX, 17, die ein Zwiegespräch zwischen der als Donna vorgestellten Vaterstadt und den Verbannten enthält. Noch deutlicher enthält ein Madrigal (OIX, 64) die Mahnung, den Prinzipat Cosimos nicht mit Gewalt zu bekämpfen, die Vergeltung von der gerechten Nachwelt zu erwarten und Verzeihung selbst am Feinde zu üben. Zur Rückkehr in die Vaterstadt hat er sich aber nie wieder entschließen können. Weder die wiederholten dring¬ lichen Einladungen Cosimos noch die Zureden seiner Freunde haben ihn zu bewegen vermocht. 5 Die Muse Michelangelos ist vielseitig genug. Sie schöpft aus den Er¬ fahrungen eines reichen Lebens. Innere und äußere Erlebnisse, Liebe und Freundesverkehr, patriotische Anliegen bieten ihr Stoffe dar. Doch im ersten Jahrzehnt des römischen Aufenthalts ist die Dichtung Michelangelos zum weitaus größten Teil von dem Verhältnis zu Tommaso Cavalieri erfüllt. Die meisten und die bedeutendsten Gedichte sind diesem idealen Freundschaftskultus geweiht. Er zieht sich bis in die Jahre hinein, wo die Witwe des kaiserlichen Feldherrn Pescara Michelangelos Muse wurde. Man kann nicht eigentlich sagen, daß die Liebe zu dem schönen Jüngling von der Freundschaft für die seltene Frau abgelöst worden wäre. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß, wenn ihm auch Cavalieri zeitlebens befreundet und treu ergeben blieb, sich der leidenschaft¬ liche Charakter dieser Neigung doch mit den Jahren abstreifte, zumal wenn neue starke Eindrücke sich dazwischen schoben. Merkwürdig ist aber, daß auch aus dem neuen Verhältnis heraus Gedichte von ähnlichem Charakter entstehen, wie wir sie schon kennen- Bei einer Reihe von Stücken wäre schwer zu sagen, ob die vor¬ gestellte Person, an die der Dichter seine Verse richtet, Tommaso ist oder Vittoria Colonna oder wer sonst. Es kommt vor, daß Gedichte, die an ein männliches Ideal gerichtet sind, später mit Beziehung auf Vittoria Colonna umgedichtet werden; andre, ursprünglich einer Donna gewidmet, sind in späterer Fassung auf Cavalieri bezogen. Es kann das weniger auffallen, wenn wir uns erinnern, welcher Art nach des Dichters eignen Worten seine Liebeszustände sind: er wird von Liebe zu einem schönen Gegenstand ergriffen, aber er liebt in ihm das, was in allem Schönen dasselbe ist, was sich in tausend schönen Ge¬ stalten verkörpert. Er ist deshalb imstande, dem Schönen seine Huldigung darzubringen, auch wo sein Herz gar nicht beteiligt ist. Einem seiner Freunde zuliebe feiert er dessen Geliebte, eine mehr um ihrer äußern Reize als um ihrer Tugend willen berühmte Dame, in den überschwenglichsten Ausdrücken ((ÜIX, 63). Und als seinem Freunde Riccio ein fünfzehnjähriger Neffe ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/522>, abgerufen am 29.04.2024.