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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
7. Line Geschichte, in der rein gar nichts geschieht

as alte Strickhcmnchen saß am Ausgange des Dorfs auf einer
Ackerwalze in einer Umgebung von Kletten, Brennesseln und großen
Steine" und strickte. Es war ein schöner Herbstabend, keine Wolke
am Himmel und kein Hauch in der Luft, die Vögel schwiegen, mir
ein paar Grillen machten Musik. Über dem Anger lag ein leichter
Nebel, und zwischen den Weiden, die den Anger begrenzten, stieg
ein dünner Rauch kerzengerade empor. Auf dem Wege, der an den Weiden vor¬
überführte, stand ein dunkel gestrichner Wagen mit einer Leinwandplane. Strick-
hmmcheu strickte mit ihren alten Knebelfingern, daß die Nadeln flogen, und sah
gerührt über ihre eigne Güte an ihrer frisch gewaschnen Schürze hinab mit einer
Miene, als wollte sie sagen: Lieber Gott, dn sitze ich nun mit meiner reinen Schürze
und mit meinem langen Strickstrumpfe und arbeite und bin schon so alt und bin
immer noch so gut, und niemand giebt einem etwas. Darauf ließ sie die Augen
herumwandern, ob uicht einer da sei, der sie hier so schön sitzen und stricken sehen
konnte. Aber es war niemand zu sehen. Nur der Wagen stand auf dem Wege
am Anger, und eine dünne Rauchsäule hob sich in die Luft.

Nach einiger Zeit kam Riemer-August mit seinem Gespanne vom Felde zurück.
Er saß seitlich auf dem Handpferde und machte zu den Schritten seines Gauls
mit Schultern und Armen schaukelnde Bewegungen, und hinter ihm klapperte die
Ringelwalze her.

'N Abend, Hmmcheu. Na, noch so fleißig?'

Lieber Gott, was will man weiter thun. N Abend auch. -- August fuhr
weiter.

Was ist denu das für ein Wagen am Anger? rief Hannchen hinter ihm her.

Wa?

Was das für ein Wagen am Anger ist?

Das wird wohl Schwarzlose aus der Schlenzer Pulvermühle sein, der mit
"Diann" nach Hermannshnll fährt.

Hnnnchen schüttelte den Kopf. -- Darf der denn so nahe am Dorfe seinen
Wagen stehen lassen?

Weiß ich nicht. Er muß doch wohl.

Strickhannchcn schüttelte nochmals den Kopf, blieb aber sitzen.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Folge
7. Line Geschichte, in der rein gar nichts geschieht

as alte Strickhcmnchen saß am Ausgange des Dorfs auf einer
Ackerwalze in einer Umgebung von Kletten, Brennesseln und großen
Steine» und strickte. Es war ein schöner Herbstabend, keine Wolke
am Himmel und kein Hauch in der Luft, die Vögel schwiegen, mir
ein paar Grillen machten Musik. Über dem Anger lag ein leichter
Nebel, und zwischen den Weiden, die den Anger begrenzten, stieg
ein dünner Rauch kerzengerade empor. Auf dem Wege, der an den Weiden vor¬
überführte, stand ein dunkel gestrichner Wagen mit einer Leinwandplane. Strick-
hmmcheu strickte mit ihren alten Knebelfingern, daß die Nadeln flogen, und sah
gerührt über ihre eigne Güte an ihrer frisch gewaschnen Schürze hinab mit einer
Miene, als wollte sie sagen: Lieber Gott, dn sitze ich nun mit meiner reinen Schürze
und mit meinem langen Strickstrumpfe und arbeite und bin schon so alt und bin
immer noch so gut, und niemand giebt einem etwas. Darauf ließ sie die Augen
herumwandern, ob uicht einer da sei, der sie hier so schön sitzen und stricken sehen
konnte. Aber es war niemand zu sehen. Nur der Wagen stand auf dem Wege
am Anger, und eine dünne Rauchsäule hob sich in die Luft.

Nach einiger Zeit kam Riemer-August mit seinem Gespanne vom Felde zurück.
Er saß seitlich auf dem Handpferde und machte zu den Schritten seines Gauls
mit Schultern und Armen schaukelnde Bewegungen, und hinter ihm klapperte die
Ringelwalze her.

'N Abend, Hmmcheu. Na, noch so fleißig?'

Lieber Gott, was will man weiter thun. N Abend auch. — August fuhr
weiter.

Was ist denu das für ein Wagen am Anger? rief Hannchen hinter ihm her.

Wa?

Was das für ein Wagen am Anger ist?

Das wird wohl Schwarzlose aus der Schlenzer Pulvermühle sein, der mit
„Diann" nach Hermannshnll fährt.

Hnnnchen schüttelte den Kopf. — Darf der denn so nahe am Dorfe seinen
Wagen stehen lassen?

Weiß ich nicht. Er muß doch wohl.

Strickhannchcn schüttelte nochmals den Kopf, blieb aber sitzen.


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[0526] [Abbildung] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Neue Folge 7. Line Geschichte, in der rein gar nichts geschieht as alte Strickhcmnchen saß am Ausgange des Dorfs auf einer Ackerwalze in einer Umgebung von Kletten, Brennesseln und großen Steine» und strickte. Es war ein schöner Herbstabend, keine Wolke am Himmel und kein Hauch in der Luft, die Vögel schwiegen, mir ein paar Grillen machten Musik. Über dem Anger lag ein leichter Nebel, und zwischen den Weiden, die den Anger begrenzten, stieg ein dünner Rauch kerzengerade empor. Auf dem Wege, der an den Weiden vor¬ überführte, stand ein dunkel gestrichner Wagen mit einer Leinwandplane. Strick- hmmcheu strickte mit ihren alten Knebelfingern, daß die Nadeln flogen, und sah gerührt über ihre eigne Güte an ihrer frisch gewaschnen Schürze hinab mit einer Miene, als wollte sie sagen: Lieber Gott, dn sitze ich nun mit meiner reinen Schürze und mit meinem langen Strickstrumpfe und arbeite und bin schon so alt und bin immer noch so gut, und niemand giebt einem etwas. Darauf ließ sie die Augen herumwandern, ob uicht einer da sei, der sie hier so schön sitzen und stricken sehen konnte. Aber es war niemand zu sehen. Nur der Wagen stand auf dem Wege am Anger, und eine dünne Rauchsäule hob sich in die Luft. Nach einiger Zeit kam Riemer-August mit seinem Gespanne vom Felde zurück. Er saß seitlich auf dem Handpferde und machte zu den Schritten seines Gauls mit Schultern und Armen schaukelnde Bewegungen, und hinter ihm klapperte die Ringelwalze her. 'N Abend, Hmmcheu. Na, noch so fleißig?' Lieber Gott, was will man weiter thun. N Abend auch. — August fuhr weiter. Was ist denu das für ein Wagen am Anger? rief Hannchen hinter ihm her. Wa? Was das für ein Wagen am Anger ist? Das wird wohl Schwarzlose aus der Schlenzer Pulvermühle sein, der mit „Diann" nach Hermannshnll fährt. Hnnnchen schüttelte den Kopf. — Darf der denn so nahe am Dorfe seinen Wagen stehen lassen? Weiß ich nicht. Er muß doch wohl. Strickhannchcn schüttelte nochmals den Kopf, blieb aber sitzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/526>, abgerufen am 29.04.2024.