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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ebenbürtigkeit

Die Vorarbeiter in den Werkstätten sind Deutsche. Zu den Deutschen habe
ich die Schweizer gerechnet und die Österreicher in dieses Wortes ver¬
wegenster Bedeutung, nämlich einschließlich der Polen, Ungarn, Juden, Serben,
Kroaten, Dalmatiner usw. Um schließlich die Deutschen aufzuzählen, die un¬
abhängig von dem Betriebe der Bahn Geschäfte im Inlande machen, dazu braucht
man nicht alle zehn Finger. Die Geschäftssprache ist französisch, die Uniform,
nämlich der "unvermeidliche" Fez, türkisch, die Sprachverwirrung babylonisch,
und das ganze unerfreuliche Völkergemeuge unausrottbar; denn es ist cmatolisch!
Man sieht: diese Kolonie ist weit davon entfernt, eine Art Neudeutschland
nach unserm Geschmack zu sein. Sie ist nur ein neuer Flicken auf einem recht
bunten Gewände. Eine Herkulesarbeit wäre es, Kleinasien, diesen Schutthaufen
zerschlagner Völker, zu reinigen, um ein stilreines Gebäude aufzuführen. Anstatt
Luftschlösser zu bauen, begnüge man sich mit der weniger schönen Wirklichkeit
und gebe zu, daß es sich hier um ein Geschäft handelt, woran freilich weite
Kreise unsers Volkes direkt und indirekt beteiligt sein mögen.

(Schluß folgt)




Ebenbürtigkeit
V Stephan Aekule von Stradonitz on

n einem Schreiben an Kaiser Karl VII. hat sich Friedrich der
Große folgendermaßen ausgesprochen:

Wir sollen auch aus Teutsch patriotischer gesinnung ganz un-
vorgreiflich davor halten, daß Eure kaiserl. Majestät reichshofrath
sowohl als reichshofccmzley pro normg, re^ni^tiva, bei dieser gelegen-
heit ein vor alles zu bescheiden sein: daß alle diejenige fttrstl. heircithen schlechter¬
dings für ungleich zu achten, welche mit Personen lüll" oder unter den alten
reichsgräflichen sitz und stimme in ooiuitiis habenden stand contrahiret werden,
und daß die aus Solcherlei ehe zu erzeugende kinder, weder zur fürstl. würde
dient und Wappen ihres vattcrs, noch zur Succession in dessen reichslande niemals
fähig sein, noch dazu gelassen werden sollen.

Der große König, der Philosoph, der Freidenker, zeigt sich also als ein
entschiedner Anhänger strengster Ebenbürtigkeitsgrundsätze.

Kein Begriff scheint heute in Deutschland, wenn man die Äußerungen
der Presse als den wahren Ausdruck der Volksmeinung gelten lassen will,
weniger volkstümlich zu sein, als der Ebenbürtigkeitsbegriff. Das tritt nicht


Ebenbürtigkeit

Die Vorarbeiter in den Werkstätten sind Deutsche. Zu den Deutschen habe
ich die Schweizer gerechnet und die Österreicher in dieses Wortes ver¬
wegenster Bedeutung, nämlich einschließlich der Polen, Ungarn, Juden, Serben,
Kroaten, Dalmatiner usw. Um schließlich die Deutschen aufzuzählen, die un¬
abhängig von dem Betriebe der Bahn Geschäfte im Inlande machen, dazu braucht
man nicht alle zehn Finger. Die Geschäftssprache ist französisch, die Uniform,
nämlich der „unvermeidliche" Fez, türkisch, die Sprachverwirrung babylonisch,
und das ganze unerfreuliche Völkergemeuge unausrottbar; denn es ist cmatolisch!
Man sieht: diese Kolonie ist weit davon entfernt, eine Art Neudeutschland
nach unserm Geschmack zu sein. Sie ist nur ein neuer Flicken auf einem recht
bunten Gewände. Eine Herkulesarbeit wäre es, Kleinasien, diesen Schutthaufen
zerschlagner Völker, zu reinigen, um ein stilreines Gebäude aufzuführen. Anstatt
Luftschlösser zu bauen, begnüge man sich mit der weniger schönen Wirklichkeit
und gebe zu, daß es sich hier um ein Geschäft handelt, woran freilich weite
Kreise unsers Volkes direkt und indirekt beteiligt sein mögen.

(Schluß folgt)




Ebenbürtigkeit
V Stephan Aekule von Stradonitz on

n einem Schreiben an Kaiser Karl VII. hat sich Friedrich der
Große folgendermaßen ausgesprochen:

Wir sollen auch aus Teutsch patriotischer gesinnung ganz un-
vorgreiflich davor halten, daß Eure kaiserl. Majestät reichshofrath
sowohl als reichshofccmzley pro normg, re^ni^tiva, bei dieser gelegen-
heit ein vor alles zu bescheiden sein: daß alle diejenige fttrstl. heircithen schlechter¬
dings für ungleich zu achten, welche mit Personen lüll» oder unter den alten
reichsgräflichen sitz und stimme in ooiuitiis habenden stand contrahiret werden,
und daß die aus Solcherlei ehe zu erzeugende kinder, weder zur fürstl. würde
dient und Wappen ihres vattcrs, noch zur Succession in dessen reichslande niemals
fähig sein, noch dazu gelassen werden sollen.

Der große König, der Philosoph, der Freidenker, zeigt sich also als ein
entschiedner Anhänger strengster Ebenbürtigkeitsgrundsätze.

Kein Begriff scheint heute in Deutschland, wenn man die Äußerungen
der Presse als den wahren Ausdruck der Volksmeinung gelten lassen will,
weniger volkstümlich zu sein, als der Ebenbürtigkeitsbegriff. Das tritt nicht


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[0546] Ebenbürtigkeit Die Vorarbeiter in den Werkstätten sind Deutsche. Zu den Deutschen habe ich die Schweizer gerechnet und die Österreicher in dieses Wortes ver¬ wegenster Bedeutung, nämlich einschließlich der Polen, Ungarn, Juden, Serben, Kroaten, Dalmatiner usw. Um schließlich die Deutschen aufzuzählen, die un¬ abhängig von dem Betriebe der Bahn Geschäfte im Inlande machen, dazu braucht man nicht alle zehn Finger. Die Geschäftssprache ist französisch, die Uniform, nämlich der „unvermeidliche" Fez, türkisch, die Sprachverwirrung babylonisch, und das ganze unerfreuliche Völkergemeuge unausrottbar; denn es ist cmatolisch! Man sieht: diese Kolonie ist weit davon entfernt, eine Art Neudeutschland nach unserm Geschmack zu sein. Sie ist nur ein neuer Flicken auf einem recht bunten Gewände. Eine Herkulesarbeit wäre es, Kleinasien, diesen Schutthaufen zerschlagner Völker, zu reinigen, um ein stilreines Gebäude aufzuführen. Anstatt Luftschlösser zu bauen, begnüge man sich mit der weniger schönen Wirklichkeit und gebe zu, daß es sich hier um ein Geschäft handelt, woran freilich weite Kreise unsers Volkes direkt und indirekt beteiligt sein mögen. (Schluß folgt) Ebenbürtigkeit V Stephan Aekule von Stradonitz on n einem Schreiben an Kaiser Karl VII. hat sich Friedrich der Große folgendermaßen ausgesprochen: Wir sollen auch aus Teutsch patriotischer gesinnung ganz un- vorgreiflich davor halten, daß Eure kaiserl. Majestät reichshofrath sowohl als reichshofccmzley pro normg, re^ni^tiva, bei dieser gelegen- heit ein vor alles zu bescheiden sein: daß alle diejenige fttrstl. heircithen schlechter¬ dings für ungleich zu achten, welche mit Personen lüll» oder unter den alten reichsgräflichen sitz und stimme in ooiuitiis habenden stand contrahiret werden, und daß die aus Solcherlei ehe zu erzeugende kinder, weder zur fürstl. würde dient und Wappen ihres vattcrs, noch zur Succession in dessen reichslande niemals fähig sein, noch dazu gelassen werden sollen. Der große König, der Philosoph, der Freidenker, zeigt sich also als ein entschiedner Anhänger strengster Ebenbürtigkeitsgrundsätze. Kein Begriff scheint heute in Deutschland, wenn man die Äußerungen der Presse als den wahren Ausdruck der Volksmeinung gelten lassen will, weniger volkstümlich zu sein, als der Ebenbürtigkeitsbegriff. Das tritt nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/546>, abgerufen am 29.04.2024.