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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

seite der Rockklappen angenäht wurde. Wie sehr der Frack und Zubehör geeignet
waren, den rauhen Krieger geziert, geckenhaft erscheinen zu lassen, zeigt ein Blick
in Kostümbücher; wurde doch vor der Einführung des Wciffeurockes allgemein be¬
hauptet, daß jeder preußische Offizier darauf bedacht sei, durch Schnürbrust und
Wattiruug seinen Wuchs, "die Taille" zu vervollkommnen.

Gamaschenwesen ist dem preußischen Militär jederzeit vorgeworfen worden,
gewiß vielfach mit Recht; indessen kann man auch seltsamen Ansichten von Disziplin
begegnen. So rühmte sich ein Württemberger, der den französischen Krieg mit¬
gemacht hatte, daß er die preußische Ordnung, nach der die Feldmütze wage¬
recht auf die Mitte des Kopfes zu setzen ist, jederzeit absichtlich verletzt, die Mütze
immer auf das eine Ohr geschoben habe. Mich erinnerte dieser Freihcitsmann an
den früher erwähnten Lokomotiven-Held, der einmal drucken ließ: Der deutsche
Philister zieht an jedem Sonntage ein frisches Hemd an, und eben darum wechsle
ich gerade Sonntags nie die Wäsche, denn ich bin kein Philister!

Sich die Strammheit in allen Teilen des Soldatendienstes anzueignen wird
den südlichern Völkern freilich gewaltig sauer. Es ist rührend zu sehen, wie z. B.
die beweglichen Franzosen sich mit dem "Stechschritt" abplagen, und die Bersaglieri
werden schwerlich jemals das Sprunghafte, Zappelige ablegen. Mit solcher Grund¬
verschiedenheit des Wesens hängt unmittelbar das Charakteristische der Militärmusik
zusammen. Die Märsche sind überall schwungvoller als in Norddeutschland,
erinnern mehr an nationale Lieder und Tänze, man begreift, daß "der Mann"
durch die Klänge befeuert wird. Und doch erkennt man auch die Bedeutung des
Wortes "Trommeln und Pfeifen, kriegerischer Klang!" Der schrille, bis ins Mark
dringende Ton der Querflöte hat nichts Verführerisches, Fortreißendes wie die
Musik der Österreicher, der bayrischen Jäger usw., aber man stellt sich leicht vor,
daß das taktmäßige Dröhnen der Trommelschläge mit den scharfen Accenten der
Pfeifen die stürmende Truppe unwiderstehlich machen könne. Ich hatte in meinen
Knabenjahren in der gewohnten eintönigen Marschmusik nichts besondres entdeckt,
erst als sie lange Jahre später unvermutet zu mir drang, empfand ich, daß es
wohlgethan ist, "Trommel und Pfeifen" beizubehalten, während die Trommel allein
leblos und daher auch nicht belebend klingt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vereinigte Staaten von Europa.

Das Friedeusmanifest des Zaren hat
den französischen Ncitionalökonomen Paul Leroy-Beaulieu veranlaßt, im Lconomists
travyais vom 3. September d. I. einen Artikel of la Moosgit6 So properer uns
KÄLi^lion onroxvsllllö zu veröffentlichen. Er geht dabei von der in neuerer Zeit
mit Vorliebe behandelten und wohl vielfach übertriebnen Befürchtung aus, daß die
Vereinigten Staaten von Amerika und das Britische Reich -- Nußland nennt er
bezeichnenderweise dabei gar nicht -- mit der Zeit die Futterplätze der Mensch¬
heit in einem Grade mit Beschlag belegen könnten, der die alten europäischen
Kontinentalnationen der Aushungerung und dem Verfall preisgeben würde. Einer


Maßgebliches und Unmaßgebliches

seite der Rockklappen angenäht wurde. Wie sehr der Frack und Zubehör geeignet
waren, den rauhen Krieger geziert, geckenhaft erscheinen zu lassen, zeigt ein Blick
in Kostümbücher; wurde doch vor der Einführung des Wciffeurockes allgemein be¬
hauptet, daß jeder preußische Offizier darauf bedacht sei, durch Schnürbrust und
Wattiruug seinen Wuchs, „die Taille" zu vervollkommnen.

Gamaschenwesen ist dem preußischen Militär jederzeit vorgeworfen worden,
gewiß vielfach mit Recht; indessen kann man auch seltsamen Ansichten von Disziplin
begegnen. So rühmte sich ein Württemberger, der den französischen Krieg mit¬
gemacht hatte, daß er die preußische Ordnung, nach der die Feldmütze wage¬
recht auf die Mitte des Kopfes zu setzen ist, jederzeit absichtlich verletzt, die Mütze
immer auf das eine Ohr geschoben habe. Mich erinnerte dieser Freihcitsmann an
den früher erwähnten Lokomotiven-Held, der einmal drucken ließ: Der deutsche
Philister zieht an jedem Sonntage ein frisches Hemd an, und eben darum wechsle
ich gerade Sonntags nie die Wäsche, denn ich bin kein Philister!

Sich die Strammheit in allen Teilen des Soldatendienstes anzueignen wird
den südlichern Völkern freilich gewaltig sauer. Es ist rührend zu sehen, wie z. B.
die beweglichen Franzosen sich mit dem „Stechschritt" abplagen, und die Bersaglieri
werden schwerlich jemals das Sprunghafte, Zappelige ablegen. Mit solcher Grund¬
verschiedenheit des Wesens hängt unmittelbar das Charakteristische der Militärmusik
zusammen. Die Märsche sind überall schwungvoller als in Norddeutschland,
erinnern mehr an nationale Lieder und Tänze, man begreift, daß „der Mann"
durch die Klänge befeuert wird. Und doch erkennt man auch die Bedeutung des
Wortes „Trommeln und Pfeifen, kriegerischer Klang!" Der schrille, bis ins Mark
dringende Ton der Querflöte hat nichts Verführerisches, Fortreißendes wie die
Musik der Österreicher, der bayrischen Jäger usw., aber man stellt sich leicht vor,
daß das taktmäßige Dröhnen der Trommelschläge mit den scharfen Accenten der
Pfeifen die stürmende Truppe unwiderstehlich machen könne. Ich hatte in meinen
Knabenjahren in der gewohnten eintönigen Marschmusik nichts besondres entdeckt,
erst als sie lange Jahre später unvermutet zu mir drang, empfand ich, daß es
wohlgethan ist, „Trommel und Pfeifen" beizubehalten, während die Trommel allein
leblos und daher auch nicht belebend klingt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vereinigte Staaten von Europa.

Das Friedeusmanifest des Zaren hat
den französischen Ncitionalökonomen Paul Leroy-Beaulieu veranlaßt, im Lconomists
travyais vom 3. September d. I. einen Artikel of la Moosgit6 So properer uns
KÄLi^lion onroxvsllllö zu veröffentlichen. Er geht dabei von der in neuerer Zeit
mit Vorliebe behandelten und wohl vielfach übertriebnen Befürchtung aus, daß die
Vereinigten Staaten von Amerika und das Britische Reich — Nußland nennt er
bezeichnenderweise dabei gar nicht — mit der Zeit die Futterplätze der Mensch¬
heit in einem Grade mit Beschlag belegen könnten, der die alten europäischen
Kontinentalnationen der Aushungerung und dem Verfall preisgeben würde. Einer


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[0582] Maßgebliches und Unmaßgebliches seite der Rockklappen angenäht wurde. Wie sehr der Frack und Zubehör geeignet waren, den rauhen Krieger geziert, geckenhaft erscheinen zu lassen, zeigt ein Blick in Kostümbücher; wurde doch vor der Einführung des Wciffeurockes allgemein be¬ hauptet, daß jeder preußische Offizier darauf bedacht sei, durch Schnürbrust und Wattiruug seinen Wuchs, „die Taille" zu vervollkommnen. Gamaschenwesen ist dem preußischen Militär jederzeit vorgeworfen worden, gewiß vielfach mit Recht; indessen kann man auch seltsamen Ansichten von Disziplin begegnen. So rühmte sich ein Württemberger, der den französischen Krieg mit¬ gemacht hatte, daß er die preußische Ordnung, nach der die Feldmütze wage¬ recht auf die Mitte des Kopfes zu setzen ist, jederzeit absichtlich verletzt, die Mütze immer auf das eine Ohr geschoben habe. Mich erinnerte dieser Freihcitsmann an den früher erwähnten Lokomotiven-Held, der einmal drucken ließ: Der deutsche Philister zieht an jedem Sonntage ein frisches Hemd an, und eben darum wechsle ich gerade Sonntags nie die Wäsche, denn ich bin kein Philister! Sich die Strammheit in allen Teilen des Soldatendienstes anzueignen wird den südlichern Völkern freilich gewaltig sauer. Es ist rührend zu sehen, wie z. B. die beweglichen Franzosen sich mit dem „Stechschritt" abplagen, und die Bersaglieri werden schwerlich jemals das Sprunghafte, Zappelige ablegen. Mit solcher Grund¬ verschiedenheit des Wesens hängt unmittelbar das Charakteristische der Militärmusik zusammen. Die Märsche sind überall schwungvoller als in Norddeutschland, erinnern mehr an nationale Lieder und Tänze, man begreift, daß „der Mann" durch die Klänge befeuert wird. Und doch erkennt man auch die Bedeutung des Wortes „Trommeln und Pfeifen, kriegerischer Klang!" Der schrille, bis ins Mark dringende Ton der Querflöte hat nichts Verführerisches, Fortreißendes wie die Musik der Österreicher, der bayrischen Jäger usw., aber man stellt sich leicht vor, daß das taktmäßige Dröhnen der Trommelschläge mit den scharfen Accenten der Pfeifen die stürmende Truppe unwiderstehlich machen könne. Ich hatte in meinen Knabenjahren in der gewohnten eintönigen Marschmusik nichts besondres entdeckt, erst als sie lange Jahre später unvermutet zu mir drang, empfand ich, daß es wohlgethan ist, „Trommel und Pfeifen" beizubehalten, während die Trommel allein leblos und daher auch nicht belebend klingt. Maßgebliches und Unmaßgebliches Vereinigte Staaten von Europa. Das Friedeusmanifest des Zaren hat den französischen Ncitionalökonomen Paul Leroy-Beaulieu veranlaßt, im Lconomists travyais vom 3. September d. I. einen Artikel of la Moosgit6 So properer uns KÄLi^lion onroxvsllllö zu veröffentlichen. Er geht dabei von der in neuerer Zeit mit Vorliebe behandelten und wohl vielfach übertriebnen Befürchtung aus, daß die Vereinigten Staaten von Amerika und das Britische Reich — Nußland nennt er bezeichnenderweise dabei gar nicht — mit der Zeit die Futterplätze der Mensch¬ heit in einem Grade mit Beschlag belegen könnten, der die alten europäischen Kontinentalnationen der Aushungerung und dem Verfall preisgeben würde. Einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/582>, abgerufen am 29.04.2024.