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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

Flächen, die bisher nichts gebracht haben, von seinen großen, unbenützten
Staatslündereien zum Beispiel, große Zehnteinnahmen haben können und hätte
außerdem einen Musterbetrieb, nach dem sich die einheimischen Großgrundbesitzer
richten könnten.

Jetzt stehen diese ratlos da und können sich nicht zu den großen Ma-
schincnküufen entschließen, die die deutsche Industrie so gern mit ihnen ab¬
schließen würde. Aber sie würden Mut bekommen, wenn sie die Erfolge sähen,
und lernten, wie es gemacht wird. Wenn dann eine leistungsfähige türkische
Landwirtschaft entstünde, und wenn dadurch die Blüte und der Reichtum der
Türkei zunähme, so brauchte uns das nicht zu reuen. Wir haben ein Interesse
daran, die Türkei mächtig zu sehen. Denn wenn der türkische Besitz verteilt
würde, so würden wir vielleicht herzlich wenig bekommen, nachdem solange die
Interesselosigkeit Deutschlands im Orient betont worden ist. Eine kräftige
Türkei ist unser natürlicher Bundesgenosse in manchen Verwicklungen. Nun
gehören aber zur politischen Macht nicht nur gute Soldaten, sondern auch
gefüllte Kassen. Wenn sich die Türkei in wirtschaftlichen Dingen von den
Deutschen raten lassen wollte, wie sie es in den militärischen gethan hat,
dann erst würde sie zu einer wirklichen Macht werden, deren Feindschaft man
meidet, und deren Bündnis man sucht.


Georg Schiele


Betrachtungen
über den Zusammenhang zwischen dem deutschen Boden
und der deutschen Geschichte

^ 5
iWM^Fus der Zeit der hoffnungslosen Abfindung der Deutschen mit
dem geschichtlichen Schicksal ihres Landes stammt die Neigung,
ihre politische Zersplitterung auf denselben Grund zurückzuführen,
wie die des alten Griechenlands: die verwirrende Mannigfaltig¬
keit der Bodenverhältnisse. Es liegt diesem Vergleich das still¬
schweigende Eingeständnis zu Grunde, daß man auf die Besserung politischer
Mißstünde verzichtet, wenn sie so tief im Erdboden wurzeln: die Welt der
Berge und Hochländer legt sich starr zwischen die Glieder eines Volks, hält
das Leben auseinander, tötet seine Verbindungen. Den Trost bei diesem
Verzicht mußte die Hoffnung bieten, daß aus der deutschen Zersplitterung
eine ähnliche Mannigfaltigkeit der Anlagen und Leistungen auf unpolitischen


Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte

Flächen, die bisher nichts gebracht haben, von seinen großen, unbenützten
Staatslündereien zum Beispiel, große Zehnteinnahmen haben können und hätte
außerdem einen Musterbetrieb, nach dem sich die einheimischen Großgrundbesitzer
richten könnten.

Jetzt stehen diese ratlos da und können sich nicht zu den großen Ma-
schincnküufen entschließen, die die deutsche Industrie so gern mit ihnen ab¬
schließen würde. Aber sie würden Mut bekommen, wenn sie die Erfolge sähen,
und lernten, wie es gemacht wird. Wenn dann eine leistungsfähige türkische
Landwirtschaft entstünde, und wenn dadurch die Blüte und der Reichtum der
Türkei zunähme, so brauchte uns das nicht zu reuen. Wir haben ein Interesse
daran, die Türkei mächtig zu sehen. Denn wenn der türkische Besitz verteilt
würde, so würden wir vielleicht herzlich wenig bekommen, nachdem solange die
Interesselosigkeit Deutschlands im Orient betont worden ist. Eine kräftige
Türkei ist unser natürlicher Bundesgenosse in manchen Verwicklungen. Nun
gehören aber zur politischen Macht nicht nur gute Soldaten, sondern auch
gefüllte Kassen. Wenn sich die Türkei in wirtschaftlichen Dingen von den
Deutschen raten lassen wollte, wie sie es in den militärischen gethan hat,
dann erst würde sie zu einer wirklichen Macht werden, deren Feindschaft man
meidet, und deren Bündnis man sucht.


Georg Schiele


Betrachtungen
über den Zusammenhang zwischen dem deutschen Boden
und der deutschen Geschichte

^ 5
iWM^Fus der Zeit der hoffnungslosen Abfindung der Deutschen mit
dem geschichtlichen Schicksal ihres Landes stammt die Neigung,
ihre politische Zersplitterung auf denselben Grund zurückzuführen,
wie die des alten Griechenlands: die verwirrende Mannigfaltig¬
keit der Bodenverhältnisse. Es liegt diesem Vergleich das still¬
schweigende Eingeständnis zu Grunde, daß man auf die Besserung politischer
Mißstünde verzichtet, wenn sie so tief im Erdboden wurzeln: die Welt der
Berge und Hochländer legt sich starr zwischen die Glieder eines Volks, hält
das Leben auseinander, tötet seine Verbindungen. Den Trost bei diesem
Verzicht mußte die Hoffnung bieten, daß aus der deutschen Zersplitterung
eine ähnliche Mannigfaltigkeit der Anlagen und Leistungen auf unpolitischen


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[0599] Der deutsche Boden und die deutsche Geschichte Flächen, die bisher nichts gebracht haben, von seinen großen, unbenützten Staatslündereien zum Beispiel, große Zehnteinnahmen haben können und hätte außerdem einen Musterbetrieb, nach dem sich die einheimischen Großgrundbesitzer richten könnten. Jetzt stehen diese ratlos da und können sich nicht zu den großen Ma- schincnküufen entschließen, die die deutsche Industrie so gern mit ihnen ab¬ schließen würde. Aber sie würden Mut bekommen, wenn sie die Erfolge sähen, und lernten, wie es gemacht wird. Wenn dann eine leistungsfähige türkische Landwirtschaft entstünde, und wenn dadurch die Blüte und der Reichtum der Türkei zunähme, so brauchte uns das nicht zu reuen. Wir haben ein Interesse daran, die Türkei mächtig zu sehen. Denn wenn der türkische Besitz verteilt würde, so würden wir vielleicht herzlich wenig bekommen, nachdem solange die Interesselosigkeit Deutschlands im Orient betont worden ist. Eine kräftige Türkei ist unser natürlicher Bundesgenosse in manchen Verwicklungen. Nun gehören aber zur politischen Macht nicht nur gute Soldaten, sondern auch gefüllte Kassen. Wenn sich die Türkei in wirtschaftlichen Dingen von den Deutschen raten lassen wollte, wie sie es in den militärischen gethan hat, dann erst würde sie zu einer wirklichen Macht werden, deren Feindschaft man meidet, und deren Bündnis man sucht. Georg Schiele Betrachtungen über den Zusammenhang zwischen dem deutschen Boden und der deutschen Geschichte ^ 5 iWM^Fus der Zeit der hoffnungslosen Abfindung der Deutschen mit dem geschichtlichen Schicksal ihres Landes stammt die Neigung, ihre politische Zersplitterung auf denselben Grund zurückzuführen, wie die des alten Griechenlands: die verwirrende Mannigfaltig¬ keit der Bodenverhältnisse. Es liegt diesem Vergleich das still¬ schweigende Eingeständnis zu Grunde, daß man auf die Besserung politischer Mißstünde verzichtet, wenn sie so tief im Erdboden wurzeln: die Welt der Berge und Hochländer legt sich starr zwischen die Glieder eines Volks, hält das Leben auseinander, tötet seine Verbindungen. Den Trost bei diesem Verzicht mußte die Hoffnung bieten, daß aus der deutschen Zersplitterung eine ähnliche Mannigfaltigkeit der Anlagen und Leistungen auf unpolitischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/599>, abgerufen am 29.04.2024.