Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Über das Alter der französischen Generäle

cum man von der sehr richtigen und von der Kriegsgeschichte
aller Zeiten bestätigten Annahme ausgeht, daß die Leistungs-
fähigkeit eines Heeres zum größten Teile von der Tüchtigkeit
seiner Führer abhängt, und daß die beste Truppe nichts leisten
kann unter untüchtigen Generälen, so liegt die Frage nahe:
Welche Eigenschaften eines Heerführers bieten die Gewähr für seine Leistungs¬
fähigkeit? und die andre Frage: Kann der Feldherr gebildet werden, oder wird
er geboren? Im ersten Falle gehört Zeit dazu, und ein junger Feldherr
wäre undenkbar; im zweiten Falle wäre die Truppenführung lediglich Sache
des Genies. Eine bestimmte Beantwortung dieser Fragen erscheint nicht
möglich, da die Kriegsgeschichte die verschiedenartigsten Beispiele aufführt. In
alten Zeiten war der Fürst der geborne Führer im Felde; unbestrittne Autorität
und persönliche Tapferkeit waren die wesentlichsten Anforderungen, die man an
ihn stellte; von Strategie und Taktik war nur in bescheidnen Grenzen die
Rede. Je mehr die Heere aufhörten, freie Aufgebote des Volkes zu sein, und
seitdem sie das ganze Volk in Waffen darstellen, um so schwerer kann der Fall
eintreten, daß sich, wie es in den Napoleonischen Kriegen noch vielfach
geschah, ein talentvoller Mann, vom Kriegsgenie und Kriegsglück getragen, in
jungen Jahren, gegen alle Regeln der Militärhierarchie, zu einer hohen Führer¬
stelle emporschwingt. Nur bei Fürstensöhnen könnte dies noch möglich sein,
denen an und für sich die Wege für die militärische Laufbahn geebnet sind,
v- d. Goltz sagt mit Recht: "Vielen Klippen des militärischen Lebens entzieht
sich ohne weiteres, wer auf der Höhe der Menschheit geboren wird."*) Aber
auch für diese sind heutzutage gewisse Vorbedingungen erforderlich, und wenn
auch derselbe Schriftsteller etwas weitgeht, wenn er schreibt: "Auch ein
Alexander der Große oder Cäsar, der heute in die Armee träte, müßte not¬
gedrungen alle Stufen vom Sekondeleutnant bis zum kommandirenden General
durchlaufen, ehe er imstande wäre, von seinen angebornen Feldherrngaben Ge¬
brauch zu macheu,"**) so muß man doch als Regel hinstellen, daß das Genie




v, d. Goltz, Das Volk in Waffen (Berlin, 1883), S, 80,
*
) Ebenda, S, 85.


Über das Alter der französischen Generäle

cum man von der sehr richtigen und von der Kriegsgeschichte
aller Zeiten bestätigten Annahme ausgeht, daß die Leistungs-
fähigkeit eines Heeres zum größten Teile von der Tüchtigkeit
seiner Führer abhängt, und daß die beste Truppe nichts leisten
kann unter untüchtigen Generälen, so liegt die Frage nahe:
Welche Eigenschaften eines Heerführers bieten die Gewähr für seine Leistungs¬
fähigkeit? und die andre Frage: Kann der Feldherr gebildet werden, oder wird
er geboren? Im ersten Falle gehört Zeit dazu, und ein junger Feldherr
wäre undenkbar; im zweiten Falle wäre die Truppenführung lediglich Sache
des Genies. Eine bestimmte Beantwortung dieser Fragen erscheint nicht
möglich, da die Kriegsgeschichte die verschiedenartigsten Beispiele aufführt. In
alten Zeiten war der Fürst der geborne Führer im Felde; unbestrittne Autorität
und persönliche Tapferkeit waren die wesentlichsten Anforderungen, die man an
ihn stellte; von Strategie und Taktik war nur in bescheidnen Grenzen die
Rede. Je mehr die Heere aufhörten, freie Aufgebote des Volkes zu sein, und
seitdem sie das ganze Volk in Waffen darstellen, um so schwerer kann der Fall
eintreten, daß sich, wie es in den Napoleonischen Kriegen noch vielfach
geschah, ein talentvoller Mann, vom Kriegsgenie und Kriegsglück getragen, in
jungen Jahren, gegen alle Regeln der Militärhierarchie, zu einer hohen Führer¬
stelle emporschwingt. Nur bei Fürstensöhnen könnte dies noch möglich sein,
denen an und für sich die Wege für die militärische Laufbahn geebnet sind,
v- d. Goltz sagt mit Recht: „Vielen Klippen des militärischen Lebens entzieht
sich ohne weiteres, wer auf der Höhe der Menschheit geboren wird."*) Aber
auch für diese sind heutzutage gewisse Vorbedingungen erforderlich, und wenn
auch derselbe Schriftsteller etwas weitgeht, wenn er schreibt: „Auch ein
Alexander der Große oder Cäsar, der heute in die Armee träte, müßte not¬
gedrungen alle Stufen vom Sekondeleutnant bis zum kommandirenden General
durchlaufen, ehe er imstande wäre, von seinen angebornen Feldherrngaben Ge¬
brauch zu macheu,"**) so muß man doch als Regel hinstellen, daß das Genie




v, d. Goltz, Das Volk in Waffen (Berlin, 1883), S, 80,
*
) Ebenda, S, 85.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228911"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_228301/figures/grenzboten_341867_228301_228911_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Über das Alter der französischen Generäle</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2065" next="#ID_2066"> cum man von der sehr richtigen und von der Kriegsgeschichte<lb/>
aller Zeiten bestätigten Annahme ausgeht, daß die Leistungs-<lb/>
fähigkeit eines Heeres zum größten Teile von der Tüchtigkeit<lb/>
seiner Führer abhängt, und daß die beste Truppe nichts leisten<lb/>
kann unter untüchtigen Generälen, so liegt die Frage nahe:<lb/>
Welche Eigenschaften eines Heerführers bieten die Gewähr für seine Leistungs¬<lb/>
fähigkeit? und die andre Frage: Kann der Feldherr gebildet werden, oder wird<lb/>
er geboren? Im ersten Falle gehört Zeit dazu, und ein junger Feldherr<lb/>
wäre undenkbar; im zweiten Falle wäre die Truppenführung lediglich Sache<lb/>
des Genies. Eine bestimmte Beantwortung dieser Fragen erscheint nicht<lb/>
möglich, da die Kriegsgeschichte die verschiedenartigsten Beispiele aufführt. In<lb/>
alten Zeiten war der Fürst der geborne Führer im Felde; unbestrittne Autorität<lb/>
und persönliche Tapferkeit waren die wesentlichsten Anforderungen, die man an<lb/>
ihn stellte; von Strategie und Taktik war nur in bescheidnen Grenzen die<lb/>
Rede. Je mehr die Heere aufhörten, freie Aufgebote des Volkes zu sein, und<lb/>
seitdem sie das ganze Volk in Waffen darstellen, um so schwerer kann der Fall<lb/>
eintreten, daß sich, wie es in den Napoleonischen Kriegen noch vielfach<lb/>
geschah, ein talentvoller Mann, vom Kriegsgenie und Kriegsglück getragen, in<lb/>
jungen Jahren, gegen alle Regeln der Militärhierarchie, zu einer hohen Führer¬<lb/>
stelle emporschwingt. Nur bei Fürstensöhnen könnte dies noch möglich sein,<lb/>
denen an und für sich die Wege für die militärische Laufbahn geebnet sind,<lb/>
v- d. Goltz sagt mit Recht: &#x201E;Vielen Klippen des militärischen Lebens entzieht<lb/>
sich ohne weiteres, wer auf der Höhe der Menschheit geboren wird."*) Aber<lb/>
auch für diese sind heutzutage gewisse Vorbedingungen erforderlich, und wenn<lb/>
auch derselbe Schriftsteller etwas weitgeht, wenn er schreibt: &#x201E;Auch ein<lb/>
Alexander der Große oder Cäsar, der heute in die Armee träte, müßte not¬<lb/>
gedrungen alle Stufen vom Sekondeleutnant bis zum kommandirenden General<lb/>
durchlaufen, ehe er imstande wäre, von seinen angebornen Feldherrngaben Ge¬<lb/>
brauch zu macheu,"**) so muß man doch als Regel hinstellen, daß das Genie</p><lb/>
          <note xml:id="FID_102" place="foot"> v, d. Goltz, Das Volk in Waffen (Berlin, 1883), S, 80,<lb/>
*</note><lb/>
          <note xml:id="FID_103" place="foot"> ) Ebenda, S, 85.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] [Abbildung] Über das Alter der französischen Generäle cum man von der sehr richtigen und von der Kriegsgeschichte aller Zeiten bestätigten Annahme ausgeht, daß die Leistungs- fähigkeit eines Heeres zum größten Teile von der Tüchtigkeit seiner Führer abhängt, und daß die beste Truppe nichts leisten kann unter untüchtigen Generälen, so liegt die Frage nahe: Welche Eigenschaften eines Heerführers bieten die Gewähr für seine Leistungs¬ fähigkeit? und die andre Frage: Kann der Feldherr gebildet werden, oder wird er geboren? Im ersten Falle gehört Zeit dazu, und ein junger Feldherr wäre undenkbar; im zweiten Falle wäre die Truppenführung lediglich Sache des Genies. Eine bestimmte Beantwortung dieser Fragen erscheint nicht möglich, da die Kriegsgeschichte die verschiedenartigsten Beispiele aufführt. In alten Zeiten war der Fürst der geborne Führer im Felde; unbestrittne Autorität und persönliche Tapferkeit waren die wesentlichsten Anforderungen, die man an ihn stellte; von Strategie und Taktik war nur in bescheidnen Grenzen die Rede. Je mehr die Heere aufhörten, freie Aufgebote des Volkes zu sein, und seitdem sie das ganze Volk in Waffen darstellen, um so schwerer kann der Fall eintreten, daß sich, wie es in den Napoleonischen Kriegen noch vielfach geschah, ein talentvoller Mann, vom Kriegsgenie und Kriegsglück getragen, in jungen Jahren, gegen alle Regeln der Militärhierarchie, zu einer hohen Führer¬ stelle emporschwingt. Nur bei Fürstensöhnen könnte dies noch möglich sein, denen an und für sich die Wege für die militärische Laufbahn geebnet sind, v- d. Goltz sagt mit Recht: „Vielen Klippen des militärischen Lebens entzieht sich ohne weiteres, wer auf der Höhe der Menschheit geboren wird."*) Aber auch für diese sind heutzutage gewisse Vorbedingungen erforderlich, und wenn auch derselbe Schriftsteller etwas weitgeht, wenn er schreibt: „Auch ein Alexander der Große oder Cäsar, der heute in die Armee träte, müßte not¬ gedrungen alle Stufen vom Sekondeleutnant bis zum kommandirenden General durchlaufen, ehe er imstande wäre, von seinen angebornen Feldherrngaben Ge¬ brauch zu macheu,"**) so muß man doch als Regel hinstellen, daß das Genie v, d. Goltz, Das Volk in Waffen (Berlin, 1883), S, 80, * ) Ebenda, S, 85.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/609>, abgerufen am 29.04.2024.