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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Below gegen Lamprecht

Schriftsteller, wenn ihn der Dünkel des Tages erfaßt und eine Tendenz scharf
stachelt, vor der abermaligen Wiederholung des alten Experiments nicht zurück¬
schrickt, die ganze Welt, das große Leben und die künstlerische Entwicklung in
das engste Fahrzeug eines Dogmas, diesmal des darwinistischen, zu Pressen.
Ein Buch, das "das Werden des neuen Dramas" schildert und keinen Blick
rückwärts für Fr. Hebbel und Otto Ludwig, keinen Blick um sich für lebendige,
aber außerhalb der angeblichen Welterneuerung stehende Talente hat, das alle
Werte umwertet, was soll es denen, die weder an den Zusammenbruch des
Christentums noch an den der Völker und ihres berechtigten Lebensgefühls
glauben? Sollen sie versuchen, für die wilde Jagd anspruchsvoller Schatten
und wilder Fratzen, die an ihnen vorüberhuscht, besondre Gesichtspunkte der
Beurteilung zu gewinnen und dem Neuen, was in diesem von künstlichen Blase¬
bälgen erregten Sturm allenfalls gewonnen wird, gerecht zu werden, so können
sie es nur in dem Sinne, in dem Goethe 1807, mitten im Funkensprühen der
Kanzonen- und Romanzenschmiede, an den alten Major Knebel schrieb: "Die
Menschen können nichts mäßig thun, sie müssen sich immer auf eine Seite legen.
In zehn Jahren wird der Dünkel, womit die Rhythmiker von der strengen
Observanz sich jetzt vernehmen lassen, höchst lächerlich sein, und doch leisteten
sie nicht das, was sie leisten, wenn sie sich nicht so viel darauf einbildeten!"




Below gegen Lamprecht

as letzte Heft (Juli 1898) von Sybels Historischer Zeitschrift
bringt nur einen größern Aufsatz.**) Er ist von Georg von
Below und ist überschrieben: Die neue historische Methode. Es
ist das stärkste, was in dem geschichtswissenschaftlichen Streit der
Gegenwart gegen Lamprecht gesagt worden ist. Abgesehen von
einer kurzen Einleitung und "Resultaten" am Schluß läßt sich Below über




Wir bringen diesen Aufsatz über einen schon seit längerer Zeit geführten wissenschaft¬
lichen Streit, den wir bisher noch nicht beachtet hatten, um unsern Lesern Gelegenheit zu geben,
die Gegensätze kennen zu lernen. Leider sind diese teils durch persönliche Allsfälle, teils durch
die einseitig theoretische Erörterung der Methode unnütz verschärft worden, obwohl sie in der
praktischen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung gnr nicht in dem Maße vorhanden sind,
daß nicht ein Ausgleich möglich wäre. In einer Beziehung ist er allerdings unmöglich: die
Übertragung der naturwissenschaftlichen Methode von der natürlichen auf die sittliche Welt, also
auf die Geschichte, die Lnmprecht will, muß die sogenannte ältere Schule unbedingt und
rundweg ablehnen, weil sie dem Wesen der Dinge widerspricht. Die Red.
Inzwischen auch ni-z Sondcrabzug angekündigt, München und Leipzig, R, Olden-
bourg, 1898.
Below gegen Lamprecht

Schriftsteller, wenn ihn der Dünkel des Tages erfaßt und eine Tendenz scharf
stachelt, vor der abermaligen Wiederholung des alten Experiments nicht zurück¬
schrickt, die ganze Welt, das große Leben und die künstlerische Entwicklung in
das engste Fahrzeug eines Dogmas, diesmal des darwinistischen, zu Pressen.
Ein Buch, das „das Werden des neuen Dramas" schildert und keinen Blick
rückwärts für Fr. Hebbel und Otto Ludwig, keinen Blick um sich für lebendige,
aber außerhalb der angeblichen Welterneuerung stehende Talente hat, das alle
Werte umwertet, was soll es denen, die weder an den Zusammenbruch des
Christentums noch an den der Völker und ihres berechtigten Lebensgefühls
glauben? Sollen sie versuchen, für die wilde Jagd anspruchsvoller Schatten
und wilder Fratzen, die an ihnen vorüberhuscht, besondre Gesichtspunkte der
Beurteilung zu gewinnen und dem Neuen, was in diesem von künstlichen Blase¬
bälgen erregten Sturm allenfalls gewonnen wird, gerecht zu werden, so können
sie es nur in dem Sinne, in dem Goethe 1807, mitten im Funkensprühen der
Kanzonen- und Romanzenschmiede, an den alten Major Knebel schrieb: „Die
Menschen können nichts mäßig thun, sie müssen sich immer auf eine Seite legen.
In zehn Jahren wird der Dünkel, womit die Rhythmiker von der strengen
Observanz sich jetzt vernehmen lassen, höchst lächerlich sein, und doch leisteten
sie nicht das, was sie leisten, wenn sie sich nicht so viel darauf einbildeten!"




Below gegen Lamprecht

as letzte Heft (Juli 1898) von Sybels Historischer Zeitschrift
bringt nur einen größern Aufsatz.**) Er ist von Georg von
Below und ist überschrieben: Die neue historische Methode. Es
ist das stärkste, was in dem geschichtswissenschaftlichen Streit der
Gegenwart gegen Lamprecht gesagt worden ist. Abgesehen von
einer kurzen Einleitung und „Resultaten" am Schluß läßt sich Below über




Wir bringen diesen Aufsatz über einen schon seit längerer Zeit geführten wissenschaft¬
lichen Streit, den wir bisher noch nicht beachtet hatten, um unsern Lesern Gelegenheit zu geben,
die Gegensätze kennen zu lernen. Leider sind diese teils durch persönliche Allsfälle, teils durch
die einseitig theoretische Erörterung der Methode unnütz verschärft worden, obwohl sie in der
praktischen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung gnr nicht in dem Maße vorhanden sind,
daß nicht ein Ausgleich möglich wäre. In einer Beziehung ist er allerdings unmöglich: die
Übertragung der naturwissenschaftlichen Methode von der natürlichen auf die sittliche Welt, also
auf die Geschichte, die Lnmprecht will, muß die sogenannte ältere Schule unbedingt und
rundweg ablehnen, weil sie dem Wesen der Dinge widerspricht. Die Red.
Inzwischen auch ni-z Sondcrabzug angekündigt, München und Leipzig, R, Olden-
bourg, 1898.
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[0622] Below gegen Lamprecht Schriftsteller, wenn ihn der Dünkel des Tages erfaßt und eine Tendenz scharf stachelt, vor der abermaligen Wiederholung des alten Experiments nicht zurück¬ schrickt, die ganze Welt, das große Leben und die künstlerische Entwicklung in das engste Fahrzeug eines Dogmas, diesmal des darwinistischen, zu Pressen. Ein Buch, das „das Werden des neuen Dramas" schildert und keinen Blick rückwärts für Fr. Hebbel und Otto Ludwig, keinen Blick um sich für lebendige, aber außerhalb der angeblichen Welterneuerung stehende Talente hat, das alle Werte umwertet, was soll es denen, die weder an den Zusammenbruch des Christentums noch an den der Völker und ihres berechtigten Lebensgefühls glauben? Sollen sie versuchen, für die wilde Jagd anspruchsvoller Schatten und wilder Fratzen, die an ihnen vorüberhuscht, besondre Gesichtspunkte der Beurteilung zu gewinnen und dem Neuen, was in diesem von künstlichen Blase¬ bälgen erregten Sturm allenfalls gewonnen wird, gerecht zu werden, so können sie es nur in dem Sinne, in dem Goethe 1807, mitten im Funkensprühen der Kanzonen- und Romanzenschmiede, an den alten Major Knebel schrieb: „Die Menschen können nichts mäßig thun, sie müssen sich immer auf eine Seite legen. In zehn Jahren wird der Dünkel, womit die Rhythmiker von der strengen Observanz sich jetzt vernehmen lassen, höchst lächerlich sein, und doch leisteten sie nicht das, was sie leisten, wenn sie sich nicht so viel darauf einbildeten!" Below gegen Lamprecht as letzte Heft (Juli 1898) von Sybels Historischer Zeitschrift bringt nur einen größern Aufsatz.**) Er ist von Georg von Below und ist überschrieben: Die neue historische Methode. Es ist das stärkste, was in dem geschichtswissenschaftlichen Streit der Gegenwart gegen Lamprecht gesagt worden ist. Abgesehen von einer kurzen Einleitung und „Resultaten" am Schluß läßt sich Below über Wir bringen diesen Aufsatz über einen schon seit längerer Zeit geführten wissenschaft¬ lichen Streit, den wir bisher noch nicht beachtet hatten, um unsern Lesern Gelegenheit zu geben, die Gegensätze kennen zu lernen. Leider sind diese teils durch persönliche Allsfälle, teils durch die einseitig theoretische Erörterung der Methode unnütz verschärft worden, obwohl sie in der praktischen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung gnr nicht in dem Maße vorhanden sind, daß nicht ein Ausgleich möglich wäre. In einer Beziehung ist er allerdings unmöglich: die Übertragung der naturwissenschaftlichen Methode von der natürlichen auf die sittliche Welt, also auf die Geschichte, die Lnmprecht will, muß die sogenannte ältere Schule unbedingt und rundweg ablehnen, weil sie dem Wesen der Dinge widerspricht. Die Red. Inzwischen auch ni-z Sondcrabzug angekündigt, München und Leipzig, R, Olden- bourg, 1898.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/622>, abgerufen am 29.04.2024.