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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

das Wort, worauf es ankommt, fortwährend im Munde, ohne sich klar zu
machen, was er damit meint. Ist es auch nur denkbar, daß er darnach ein
richtiges Urteil über Lamprecht abgeben kann? Er wirft zur Bezeichnung
Lamprechts mit Worten um sich wie "ganz grobes Mißverständnis," "naive
Vorstellung," "haarsträubende Behauptung," "abenteuerlicher Vorwurf." Alles
das fällt direkt auf ihn zurück.

Es wird uns bald "manches, was wir in den letzten Jahren lesen und
erleben mußten, wie ein böser Traum erscheinen" (Uhlirz, Deutsche Litteratur¬
Rudolf wustmann zeitung 1897, Sy. 1979).




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Holge
3. Von Steuern und Lasten

SNcum man Alt-Nodersdorf in der Mitte seiner dunkeln Bäume, seiner
grünen Wiesen und wohlbestandnen Felder liegen sieht, so muß man
sich sagen, das ist doch einmal ein Stück Erde, wo es zufriedne Leute
geben muß. Und wenn man ins Dorf hinein kommt und die sauber
weiß gestrichuen Häuser sieht, die schmücken Höfe, die stattliche Domäne,
das Schloß des Barons inmitten seines schönen Parks, die neue
Schule und die alte Kirche, so wird dieser Eindruck uur noch bestärkt. Und doch
hat neulich das ganze Dorf mit Ausnahme des Pastors, des Obermutmnnns und
seines Kutschers und einiger andrer, die mau an den Fingern herzählen kann,
sozialdemokratisch gewählt, Schulze, Schoppen, Kossäten, Häuflinge und Arbeiter
haben dem Arbeiterknudidaten Luthnls ihre Stimme gegeben. Der Herr Gerichts¬
direktor, der Führer der staatserhaltenden Parteien in der Kreisstadt, war ganz
außer sich über das Nesnltnt und fragte jedermann nach Auskunft, ohne daß ihm
jemand einen bestimmte" Grund hätte angeben können. Hätte er mich gefragt, ich
hätte schon Antwort gewußt. Wer die Verhältnisse in Alt-Nodersdorf kennt, dem
ist es nicht zweifelhaft, wo die Schuld liegt.

Aber hier muß ich mich erst einmal gegen die Einwürfe meines Freundes
Franz verwahren, der, als ich ihm diese Skizze zu lese" gab, sagte: Fritz Anders,
dn schwindelst, so etwas giebt es in Preußen nicht. Erstens: von Schwindel kann
überhaupt nicht die Rede sein, sondern höchstens von dem Rechte künstlerischer
Gestaltung. Und zweitens: giebt es so etwas wirklich in Preußen; das Alt-
Rodersdorf steht wirklich auf der Landkarte, wenn auch unter andern: Namen, und
was ich erzähle, sind Thatsachen.


Grenzboten III 1898 79
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

das Wort, worauf es ankommt, fortwährend im Munde, ohne sich klar zu
machen, was er damit meint. Ist es auch nur denkbar, daß er darnach ein
richtiges Urteil über Lamprecht abgeben kann? Er wirft zur Bezeichnung
Lamprechts mit Worten um sich wie „ganz grobes Mißverständnis," „naive
Vorstellung," „haarsträubende Behauptung," „abenteuerlicher Vorwurf." Alles
das fällt direkt auf ihn zurück.

Es wird uns bald „manches, was wir in den letzten Jahren lesen und
erleben mußten, wie ein böser Traum erscheinen" (Uhlirz, Deutsche Litteratur¬
Rudolf wustmann zeitung 1897, Sy. 1979).




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Neue Holge
3. Von Steuern und Lasten

SNcum man Alt-Nodersdorf in der Mitte seiner dunkeln Bäume, seiner
grünen Wiesen und wohlbestandnen Felder liegen sieht, so muß man
sich sagen, das ist doch einmal ein Stück Erde, wo es zufriedne Leute
geben muß. Und wenn man ins Dorf hinein kommt und die sauber
weiß gestrichuen Häuser sieht, die schmücken Höfe, die stattliche Domäne,
das Schloß des Barons inmitten seines schönen Parks, die neue
Schule und die alte Kirche, so wird dieser Eindruck uur noch bestärkt. Und doch
hat neulich das ganze Dorf mit Ausnahme des Pastors, des Obermutmnnns und
seines Kutschers und einiger andrer, die mau an den Fingern herzählen kann,
sozialdemokratisch gewählt, Schulze, Schoppen, Kossäten, Häuflinge und Arbeiter
haben dem Arbeiterknudidaten Luthnls ihre Stimme gegeben. Der Herr Gerichts¬
direktor, der Führer der staatserhaltenden Parteien in der Kreisstadt, war ganz
außer sich über das Nesnltnt und fragte jedermann nach Auskunft, ohne daß ihm
jemand einen bestimmte» Grund hätte angeben können. Hätte er mich gefragt, ich
hätte schon Antwort gewußt. Wer die Verhältnisse in Alt-Nodersdorf kennt, dem
ist es nicht zweifelhaft, wo die Schuld liegt.

Aber hier muß ich mich erst einmal gegen die Einwürfe meines Freundes
Franz verwahren, der, als ich ihm diese Skizze zu lese» gab, sagte: Fritz Anders,
dn schwindelst, so etwas giebt es in Preußen nicht. Erstens: von Schwindel kann
überhaupt nicht die Rede sein, sondern höchstens von dem Rechte künstlerischer
Gestaltung. Und zweitens: giebt es so etwas wirklich in Preußen; das Alt-
Rodersdorf steht wirklich auf der Landkarte, wenn auch unter andern: Namen, und
was ich erzähle, sind Thatsachen.


Grenzboten III 1898 79
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[0629] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben das Wort, worauf es ankommt, fortwährend im Munde, ohne sich klar zu machen, was er damit meint. Ist es auch nur denkbar, daß er darnach ein richtiges Urteil über Lamprecht abgeben kann? Er wirft zur Bezeichnung Lamprechts mit Worten um sich wie „ganz grobes Mißverständnis," „naive Vorstellung," „haarsträubende Behauptung," „abenteuerlicher Vorwurf." Alles das fällt direkt auf ihn zurück. Es wird uns bald „manches, was wir in den letzten Jahren lesen und erleben mußten, wie ein böser Traum erscheinen" (Uhlirz, Deutsche Litteratur¬ Rudolf wustmann zeitung 1897, Sy. 1979). Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Neue Holge 3. Von Steuern und Lasten SNcum man Alt-Nodersdorf in der Mitte seiner dunkeln Bäume, seiner grünen Wiesen und wohlbestandnen Felder liegen sieht, so muß man sich sagen, das ist doch einmal ein Stück Erde, wo es zufriedne Leute geben muß. Und wenn man ins Dorf hinein kommt und die sauber weiß gestrichuen Häuser sieht, die schmücken Höfe, die stattliche Domäne, das Schloß des Barons inmitten seines schönen Parks, die neue Schule und die alte Kirche, so wird dieser Eindruck uur noch bestärkt. Und doch hat neulich das ganze Dorf mit Ausnahme des Pastors, des Obermutmnnns und seines Kutschers und einiger andrer, die mau an den Fingern herzählen kann, sozialdemokratisch gewählt, Schulze, Schoppen, Kossäten, Häuflinge und Arbeiter haben dem Arbeiterknudidaten Luthnls ihre Stimme gegeben. Der Herr Gerichts¬ direktor, der Führer der staatserhaltenden Parteien in der Kreisstadt, war ganz außer sich über das Nesnltnt und fragte jedermann nach Auskunft, ohne daß ihm jemand einen bestimmte» Grund hätte angeben können. Hätte er mich gefragt, ich hätte schon Antwort gewußt. Wer die Verhältnisse in Alt-Nodersdorf kennt, dem ist es nicht zweifelhaft, wo die Schuld liegt. Aber hier muß ich mich erst einmal gegen die Einwürfe meines Freundes Franz verwahren, der, als ich ihm diese Skizze zu lese» gab, sagte: Fritz Anders, dn schwindelst, so etwas giebt es in Preußen nicht. Erstens: von Schwindel kann überhaupt nicht die Rede sein, sondern höchstens von dem Rechte künstlerischer Gestaltung. Und zweitens: giebt es so etwas wirklich in Preußen; das Alt- Rodersdorf steht wirklich auf der Landkarte, wenn auch unter andern: Namen, und was ich erzähle, sind Thatsachen. Grenzboten III 1898 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/629>, abgerufen am 29.04.2024.