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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gesprochen. Die Gemeinde sei schwer belastet, und man bitte, es bei der bisherigen
Einrichtung zu lassen. Die Regierung antwortete kurz und schneidig, es müsse
lediglich bei der Verfügung vom so und so dielten bleiben.

Da warf der Schulze zornig seine Mütze auf den Tisch und rief: Jetzt
ist es aber wirklich zum demokratisch werden. -- Ja das ist es, antwortete der
Chorus.

Acht Wochen später wählte ganz Alt-Rodersdorf sozialdemokrntisch.

Nach einiger Zeit traf der Oberamtmann den alten Michaels. -- Sie sind
mir ein schöner Patriot, sagte er, Sie haben doch auch den Arbeiterknudidaten
gewählt.

Das habe ich, Herr Oberamtmnnu, nur sind ja nur dumme Bauern --

Ja, weiß Gott, das seid ihr. Seht ihr denn nicht ein, daß ihrs macht wie
jener Junge, den seine Stiefel drückten, und der sie auszog und ius Wasser warf
und heulte: Das ist meinem Vater schon recht, daß ich nun frieren muß, warum
kauft er mir keine bessern Stiefel? O ihr Schlummerkopfe, denkt ihr denn, daß
euch die Sozialdemokraten helfen? Wißt ihr denn nicht, daß es Luthals gewesen
ist, der euch die Sache mit dem dritten Lehrer eingebrockt hat?

Michaels zog die Augenbrauen hoch und dachte nach. Eine Ahnung vou
Verständnis wollte tu ihm aufdämmern, aber bald verschwand sie wieder. Ja, wer
hilft uns? Uns hilft kein Mensch.

Ich habe vor Jahr und Tag eine Geschichte erzählt: "Was für Erfahrungen
der Herr Konsistorialrat machte." Diese Geschichte ist in die rechten Hände gekommen
und hat mit dazu beigetragen, daß alte, widersinnig gewordne Verordnungen durch
ein neues Gesetz ersetzt worden sind. Möchte diese Geschichte von deu Alt-Noders-
dorferu einen ähnlichen Weg finden.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Wasserbauten.

Am 23. September hat der Kaiser bei der feierliche" Er¬
öffnung der neuen Hafenanlagen in Stettin das Wort gesprochen: "Unsre Zukunft
liegt auf dem Wasser." Ob er wohl dabei des seiner Entscheidung harrenden
Streits um die Übertragung der Wasserbauten, der Verwaltung des Wasserstraßen-,
Kanal- und Hafenwesens an das landwirtschaftliche Ministerium gedacht hat? Wie
es den Anschein hat, fühlen sich die Herren Agrarier dieses ihres neuen Sieges
über die Natur der Dinge so ziemlich sicher. Freilich, daß das Staatsministerium
den Vorschlag nicht kurzer Hand als unmöglich zurückgewiesen hat, ist schon ein
Sieg von großer Bedeutung. Der Gedanke, einem Fachministerinm, wie dem land¬
wirtschaftlichen, die Wasserstraßen und Wasserbauten grundsätzlich und allgemein
zu überweisen, ist an sich selbst so wunderlich, daß nur ein fast allmächtig ge-
worduer Druck der landwirtschaftlichen Jnteresfenpolitiker auf die Staatsleitung
ihm irgendwelche Aussicht auf Verwirklichung eröffnen konnte. Kein Mensch, der
in Deutschland die Zeitung liest, kann sich darüber im Unklaren sein, daß nicht
etwa die Annahme einer besondern Qualifikation dieses Ministeriums, den Wasser¬
bau in seiner Gesamtheit besser, als dies bisher geschehen ist, zu verwalten, der


Grenzboten III 1898 80
Maßgebliches und Unmaßgebliches

gesprochen. Die Gemeinde sei schwer belastet, und man bitte, es bei der bisherigen
Einrichtung zu lassen. Die Regierung antwortete kurz und schneidig, es müsse
lediglich bei der Verfügung vom so und so dielten bleiben.

Da warf der Schulze zornig seine Mütze auf den Tisch und rief: Jetzt
ist es aber wirklich zum demokratisch werden. — Ja das ist es, antwortete der
Chorus.

Acht Wochen später wählte ganz Alt-Rodersdorf sozialdemokrntisch.

Nach einiger Zeit traf der Oberamtmann den alten Michaels. — Sie sind
mir ein schöner Patriot, sagte er, Sie haben doch auch den Arbeiterknudidaten
gewählt.

Das habe ich, Herr Oberamtmnnu, nur sind ja nur dumme Bauern —

Ja, weiß Gott, das seid ihr. Seht ihr denn nicht ein, daß ihrs macht wie
jener Junge, den seine Stiefel drückten, und der sie auszog und ius Wasser warf
und heulte: Das ist meinem Vater schon recht, daß ich nun frieren muß, warum
kauft er mir keine bessern Stiefel? O ihr Schlummerkopfe, denkt ihr denn, daß
euch die Sozialdemokraten helfen? Wißt ihr denn nicht, daß es Luthals gewesen
ist, der euch die Sache mit dem dritten Lehrer eingebrockt hat?

Michaels zog die Augenbrauen hoch und dachte nach. Eine Ahnung vou
Verständnis wollte tu ihm aufdämmern, aber bald verschwand sie wieder. Ja, wer
hilft uns? Uns hilft kein Mensch.

Ich habe vor Jahr und Tag eine Geschichte erzählt: „Was für Erfahrungen
der Herr Konsistorialrat machte." Diese Geschichte ist in die rechten Hände gekommen
und hat mit dazu beigetragen, daß alte, widersinnig gewordne Verordnungen durch
ein neues Gesetz ersetzt worden sind. Möchte diese Geschichte von deu Alt-Noders-
dorferu einen ähnlichen Weg finden.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Wasserbauten.

Am 23. September hat der Kaiser bei der feierliche» Er¬
öffnung der neuen Hafenanlagen in Stettin das Wort gesprochen: „Unsre Zukunft
liegt auf dem Wasser." Ob er wohl dabei des seiner Entscheidung harrenden
Streits um die Übertragung der Wasserbauten, der Verwaltung des Wasserstraßen-,
Kanal- und Hafenwesens an das landwirtschaftliche Ministerium gedacht hat? Wie
es den Anschein hat, fühlen sich die Herren Agrarier dieses ihres neuen Sieges
über die Natur der Dinge so ziemlich sicher. Freilich, daß das Staatsministerium
den Vorschlag nicht kurzer Hand als unmöglich zurückgewiesen hat, ist schon ein
Sieg von großer Bedeutung. Der Gedanke, einem Fachministerinm, wie dem land¬
wirtschaftlichen, die Wasserstraßen und Wasserbauten grundsätzlich und allgemein
zu überweisen, ist an sich selbst so wunderlich, daß nur ein fast allmächtig ge-
worduer Druck der landwirtschaftlichen Jnteresfenpolitiker auf die Staatsleitung
ihm irgendwelche Aussicht auf Verwirklichung eröffnen konnte. Kein Mensch, der
in Deutschland die Zeitung liest, kann sich darüber im Unklaren sein, daß nicht
etwa die Annahme einer besondern Qualifikation dieses Ministeriums, den Wasser¬
bau in seiner Gesamtheit besser, als dies bisher geschehen ist, zu verwalten, der


Grenzboten III 1898 80
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/637>, abgerufen am 29.04.2024.