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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ungedruckte Briefe von Robert Schumann

der Sozialdemokratie erwehrten; der Kaiserberg Hohenstaufen, an dessen Fuße
sich das industriereiche Gvppingen ausbreitet, liegt Gott Lob noch nicht in
einem sozialistisch vertretnen Wahlkreis! Eins muß übrigens bemerkt werden.
Der ganze Zuwachs der sozialistischen Stimmen, der 19000 beträgt, verliert
das Bedrohliche, das er hat, zum guten Teil dadurch, daß in Württemberg
der Wolf der Sozialdemokratie sich diesmal in den Schafspelz des Vorkämpfers
für den kleinen Arbeiter, Bauer, Handwerker und Beamten hüllte, von Republik,
Abschaffung des Privateigentums, Zukunftsstaat kein Sterbenswörtchen redete,
sodaß die Sozialdemokratie zahlreiche Leute unter ihrer Fahne versammelte, die
sonst niemals mit ihr gegangen wären. Die Partei kann auf diese Art ihre
Reihen sehr anschwellen sehen und doch schwächer werden; denn die Rücksicht
auf ihre meisten Anhänger zwingt sie notwendig, sehr viel Wasser in ihren
Wein zu gießen und thatsächlich eine Partei der kleinen Bourgeois zu werden.
Sobald sie wähnen sollte, mit solchen Heerhaufen ihre letzten Ziele in Angriff
nehmen zu können, würde sie eine furchtbare Enttäuschung erleben und sehen
müssen, daß sie ihre wahre Kraft gewaltig überschätzt habe: sie würde als sehr
viel kleiner dastehen und müßte sagen: Wie gewonnen, so zerronnen!




Ungedruckte Briefe von Robert Schumann
F, Gustav Jansen Nach den Briginalen mitgeteilt von
1
An Frau Therese Schumann geb. Semmel
(z. Z. in Gera)

^Nus Zwickau. Wahrscheinlich
Anfang Januar 1333^

In aller Eile ein paar Zeilen, meine gute Therese. Eduard ist heute
früh in einer Geschäftsreise abgereist; die Mutter, die Dich und Alle herzlich
grüßt und küßt, beeilt sich, Dir das Kleid zum Balle zu senden. Julius und
Emilie befinden sich herrlich; Rosalie soll nicht ganz wohl sein, und ich --
sehne mich recht sehr nach der schönen Schwägerin in Gera. Dies ist Alles,
was ich Dir schreiben könnte. Der Bote wartet und will fort.

So leb denn wohl, meine gute Therese: sei glücklich im Schooße Deiner
Familie. Mag Dir Dein Leben freundlich erscheinen, und mag Deine schöne
Seele jede zarte Freude, die das Leben und eine geliebte Mutter geben können,


Ungedruckte Briefe von Robert Schumann

der Sozialdemokratie erwehrten; der Kaiserberg Hohenstaufen, an dessen Fuße
sich das industriereiche Gvppingen ausbreitet, liegt Gott Lob noch nicht in
einem sozialistisch vertretnen Wahlkreis! Eins muß übrigens bemerkt werden.
Der ganze Zuwachs der sozialistischen Stimmen, der 19000 beträgt, verliert
das Bedrohliche, das er hat, zum guten Teil dadurch, daß in Württemberg
der Wolf der Sozialdemokratie sich diesmal in den Schafspelz des Vorkämpfers
für den kleinen Arbeiter, Bauer, Handwerker und Beamten hüllte, von Republik,
Abschaffung des Privateigentums, Zukunftsstaat kein Sterbenswörtchen redete,
sodaß die Sozialdemokratie zahlreiche Leute unter ihrer Fahne versammelte, die
sonst niemals mit ihr gegangen wären. Die Partei kann auf diese Art ihre
Reihen sehr anschwellen sehen und doch schwächer werden; denn die Rücksicht
auf ihre meisten Anhänger zwingt sie notwendig, sehr viel Wasser in ihren
Wein zu gießen und thatsächlich eine Partei der kleinen Bourgeois zu werden.
Sobald sie wähnen sollte, mit solchen Heerhaufen ihre letzten Ziele in Angriff
nehmen zu können, würde sie eine furchtbare Enttäuschung erleben und sehen
müssen, daß sie ihre wahre Kraft gewaltig überschätzt habe: sie würde als sehr
viel kleiner dastehen und müßte sagen: Wie gewonnen, so zerronnen!




Ungedruckte Briefe von Robert Schumann
F, Gustav Jansen Nach den Briginalen mitgeteilt von
1
An Frau Therese Schumann geb. Semmel
(z. Z. in Gera)

^Nus Zwickau. Wahrscheinlich
Anfang Januar 1333^

In aller Eile ein paar Zeilen, meine gute Therese. Eduard ist heute
früh in einer Geschäftsreise abgereist; die Mutter, die Dich und Alle herzlich
grüßt und küßt, beeilt sich, Dir das Kleid zum Balle zu senden. Julius und
Emilie befinden sich herrlich; Rosalie soll nicht ganz wohl sein, und ich —
sehne mich recht sehr nach der schönen Schwägerin in Gera. Dies ist Alles,
was ich Dir schreiben könnte. Der Bote wartet und will fort.

So leb denn wohl, meine gute Therese: sei glücklich im Schooße Deiner
Familie. Mag Dir Dein Leben freundlich erscheinen, und mag Deine schöne
Seele jede zarte Freude, die das Leben und eine geliebte Mutter geben können,


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[0080] Ungedruckte Briefe von Robert Schumann der Sozialdemokratie erwehrten; der Kaiserberg Hohenstaufen, an dessen Fuße sich das industriereiche Gvppingen ausbreitet, liegt Gott Lob noch nicht in einem sozialistisch vertretnen Wahlkreis! Eins muß übrigens bemerkt werden. Der ganze Zuwachs der sozialistischen Stimmen, der 19000 beträgt, verliert das Bedrohliche, das er hat, zum guten Teil dadurch, daß in Württemberg der Wolf der Sozialdemokratie sich diesmal in den Schafspelz des Vorkämpfers für den kleinen Arbeiter, Bauer, Handwerker und Beamten hüllte, von Republik, Abschaffung des Privateigentums, Zukunftsstaat kein Sterbenswörtchen redete, sodaß die Sozialdemokratie zahlreiche Leute unter ihrer Fahne versammelte, die sonst niemals mit ihr gegangen wären. Die Partei kann auf diese Art ihre Reihen sehr anschwellen sehen und doch schwächer werden; denn die Rücksicht auf ihre meisten Anhänger zwingt sie notwendig, sehr viel Wasser in ihren Wein zu gießen und thatsächlich eine Partei der kleinen Bourgeois zu werden. Sobald sie wähnen sollte, mit solchen Heerhaufen ihre letzten Ziele in Angriff nehmen zu können, würde sie eine furchtbare Enttäuschung erleben und sehen müssen, daß sie ihre wahre Kraft gewaltig überschätzt habe: sie würde als sehr viel kleiner dastehen und müßte sagen: Wie gewonnen, so zerronnen! Ungedruckte Briefe von Robert Schumann F, Gustav Jansen Nach den Briginalen mitgeteilt von 1 An Frau Therese Schumann geb. Semmel (z. Z. in Gera) ^Nus Zwickau. Wahrscheinlich Anfang Januar 1333^ In aller Eile ein paar Zeilen, meine gute Therese. Eduard ist heute früh in einer Geschäftsreise abgereist; die Mutter, die Dich und Alle herzlich grüßt und küßt, beeilt sich, Dir das Kleid zum Balle zu senden. Julius und Emilie befinden sich herrlich; Rosalie soll nicht ganz wohl sein, und ich — sehne mich recht sehr nach der schönen Schwägerin in Gera. Dies ist Alles, was ich Dir schreiben könnte. Der Bote wartet und will fort. So leb denn wohl, meine gute Therese: sei glücklich im Schooße Deiner Familie. Mag Dir Dein Leben freundlich erscheinen, und mag Deine schöne Seele jede zarte Freude, die das Leben und eine geliebte Mutter geben können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/80>, abgerufen am 29.04.2024.