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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der japanische Farbenholzschnitt
V Aonrad Lange on

MMur den künftigen Kulturhistoriker des neunzehnten Jahrhunderts
wird es eine der interessantesten, aber auch schwierigsten Auf¬
gaben sein, zu erforschen, wie unsre europäische Malerei, nach¬
dem sie sich in einer langen und ruhmvollen Entwicklung zu
voller Freiheit hindurchgearbeitet hat, mit einemmale dazu ge¬
kommen ist, die teils konventionelle, teils primitive Kunst eines ostasiatischen
Volkes, der Japaner, nachzuahmen. Wenn es sich bei dem , was wir heute
"Japanismus" nennen, nur um eine gerechte Würdigung der japanischen Kunst
auf Grund der besondern Bedingungen des Landes und der Geschichte des
Volkes handelte, so ließe sich dagegen nichts einwenden. Denn eine solche
Würdigung sind wir schließlich jedem Lande, jedem Volke schuldig. Allein es
handelt sich um die Thatsache, daß diese Kunst unsrer modernen europäischen
als Vorbild, als zu erstrebendes Ideal vor Augen gehalten, daß unsern Künst¬
lern geradezu gesagt wird: Hier müßt ihr in die Schule gehen, hier müßt
ihr lernen, was euch fehlt, euer ganzes Stilgefühl müßt ihr nach dem Muster
dieser Kunst umbilden. Auf diesem Standpunkt steht auch der Verfasser eines
sehr interessanten neuerdings erschienenen Buches, worin die Geschichte des
japanischen Farbenholzschnitts zum erstenmal von einem Deutschen in zu¬
sammenhängender Weise geschildert wird.°^) Er hat mich gebeten, meine An¬
sicht über diese Frage, die ihm nach meinen frühern Schriften nicht zweifelhaft
sein konnte, irgendwo zu publiziren, und ich komme dieser Bitte gern nach.
Dabei freue ich mich, anerkennen zu könne", daß sein Buch unter sorgfältiger
Benutzung der neusten ausländischen Forschungen entstanden ist, daß es eine
umfassende Bibliographie enthält, und daß man darin eine Fülle neuen und
wertvollen Materials findet. Aber in der Beurteilung der ganzen Kunstgattung,
in der allgemeinen Auffassung, die das Ganze durchzieht, kann ich, so leid es
mir thut, nicht mit dem Verfasser übereinstimmen. Und so möge er mir denn
gestatten, meine Meinung der seinigen offen und ehrlich gegenüberzustellen,
sowie es sich unter befreundeten Fachgenossen ziemt.

Der Japanismus ist, wie so manche andre Mode, die neuerdings in unsre



W, v, Seidlitz, Geschichte des japanischen FarbenholzschnittS, Mit 95 Abbildungen,
Dresden, Gerhard Kühtmnnn, 1897.


Der japanische Farbenholzschnitt
V Aonrad Lange on

MMur den künftigen Kulturhistoriker des neunzehnten Jahrhunderts
wird es eine der interessantesten, aber auch schwierigsten Auf¬
gaben sein, zu erforschen, wie unsre europäische Malerei, nach¬
dem sie sich in einer langen und ruhmvollen Entwicklung zu
voller Freiheit hindurchgearbeitet hat, mit einemmale dazu ge¬
kommen ist, die teils konventionelle, teils primitive Kunst eines ostasiatischen
Volkes, der Japaner, nachzuahmen. Wenn es sich bei dem , was wir heute
„Japanismus" nennen, nur um eine gerechte Würdigung der japanischen Kunst
auf Grund der besondern Bedingungen des Landes und der Geschichte des
Volkes handelte, so ließe sich dagegen nichts einwenden. Denn eine solche
Würdigung sind wir schließlich jedem Lande, jedem Volke schuldig. Allein es
handelt sich um die Thatsache, daß diese Kunst unsrer modernen europäischen
als Vorbild, als zu erstrebendes Ideal vor Augen gehalten, daß unsern Künst¬
lern geradezu gesagt wird: Hier müßt ihr in die Schule gehen, hier müßt
ihr lernen, was euch fehlt, euer ganzes Stilgefühl müßt ihr nach dem Muster
dieser Kunst umbilden. Auf diesem Standpunkt steht auch der Verfasser eines
sehr interessanten neuerdings erschienenen Buches, worin die Geschichte des
japanischen Farbenholzschnitts zum erstenmal von einem Deutschen in zu¬
sammenhängender Weise geschildert wird.°^) Er hat mich gebeten, meine An¬
sicht über diese Frage, die ihm nach meinen frühern Schriften nicht zweifelhaft
sein konnte, irgendwo zu publiziren, und ich komme dieser Bitte gern nach.
Dabei freue ich mich, anerkennen zu könne», daß sein Buch unter sorgfältiger
Benutzung der neusten ausländischen Forschungen entstanden ist, daß es eine
umfassende Bibliographie enthält, und daß man darin eine Fülle neuen und
wertvollen Materials findet. Aber in der Beurteilung der ganzen Kunstgattung,
in der allgemeinen Auffassung, die das Ganze durchzieht, kann ich, so leid es
mir thut, nicht mit dem Verfasser übereinstimmen. Und so möge er mir denn
gestatten, meine Meinung der seinigen offen und ehrlich gegenüberzustellen,
sowie es sich unter befreundeten Fachgenossen ziemt.

Der Japanismus ist, wie so manche andre Mode, die neuerdings in unsre



W, v, Seidlitz, Geschichte des japanischen FarbenholzschnittS, Mit 95 Abbildungen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/91>, abgerufen am 29.04.2024.