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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Sozialpolitik der nächsten Zeit

wahrte vielmehr die Autorität des Staats auch auf andern Gebieten, indem
er die Anstalt Adelfelden in Freiburg am 15. November 1867 kurzweg aufhob,
als das erzbischöfliche Ordinariat sie aus einem geistlichen Internat zu einem
Kloster machen wollte, und hielt nicht nur ein vom Oberschulrat im Sommer
1867 begünstigtes konfessionsloses Volksschulbuch gegen alle kirchlichen An¬
feindungen ruhig aufrecht, sondern befahl später die allgemeine Einführung
eines neuen, gleichfalls konfessionslosen Buchs.

Mehr als diese kirchlichen Streitigkeiten lag ihm persönlich die Fürsorge
für das höhere Unterrichtswesen am Herzen. Er begann die Reform der ver¬
fallenen Mittelschulen, für die der herrschende Liberalismus wenig Verständnis
zeigte, 1867 mit einer neuen Prüfungsordnung und einer Verbesserung der
Lehrergehalte, sorgte für Berufung tüchtiger Männer namentlich aus Preußen,
begründete 1868 das Realgymnasium (Realschule erster Ordnung) nach preu¬
ßischem Muster und reformirte 1869 die humanistischen Gymnasien, indem er
veraltete Unterrichtsgegenstände wie Philosophie und Rhetorik beseitigte und
nach norddeutschen Vorbilde die alten Sprachen mit den mathematisch-natur¬
wissenschaftlichen Fächern in den Vordergrund stellte. Für die Universitäten
sorgte er namentlich durch die Berufung hervorragender Lehrer; ihm vor allem
verdankte Heidelberg unter andern nach Häussers Tode 1867 die Anstellung
Treitschkes. Es entsprach seiner liberalen Richtung, wenn er dem liberalen,
vielangefeindctcn Theologen Daniel Schenkel allen Anfeindungen zum Trotz
die Stange hielt.

(Schluß folgt)




Die Sozialpolitik der nächsten Zeit

j cum man die sozialpolitischen Aufgaben der nächsten Zeit und
die Aussichten für ihre Lösung betrachtet, so wird mau die Lage
nicht gerade als sehr erfreulich ansehen. Die von uns schon
seit Jahren gehegte Befürchtung, daß die Einseitigkeiten und
Übertreibungen der Sozialisten den Fortgang der Reformen weit
"lehr gefährden könnten, als der Widerstand der grundsätzlichen Gegner, hat
sich leider als berechtigt erwiesen. Der Wagen scheint gründlich verfahren zu
sein, und wo sind die, die die Sicherheit bieten, daß sie ihn wieder ins rechte
Geleise bringen werden? Sind es die Parteien? Sind es die alten und die


Die Sozialpolitik der nächsten Zeit

wahrte vielmehr die Autorität des Staats auch auf andern Gebieten, indem
er die Anstalt Adelfelden in Freiburg am 15. November 1867 kurzweg aufhob,
als das erzbischöfliche Ordinariat sie aus einem geistlichen Internat zu einem
Kloster machen wollte, und hielt nicht nur ein vom Oberschulrat im Sommer
1867 begünstigtes konfessionsloses Volksschulbuch gegen alle kirchlichen An¬
feindungen ruhig aufrecht, sondern befahl später die allgemeine Einführung
eines neuen, gleichfalls konfessionslosen Buchs.

Mehr als diese kirchlichen Streitigkeiten lag ihm persönlich die Fürsorge
für das höhere Unterrichtswesen am Herzen. Er begann die Reform der ver¬
fallenen Mittelschulen, für die der herrschende Liberalismus wenig Verständnis
zeigte, 1867 mit einer neuen Prüfungsordnung und einer Verbesserung der
Lehrergehalte, sorgte für Berufung tüchtiger Männer namentlich aus Preußen,
begründete 1868 das Realgymnasium (Realschule erster Ordnung) nach preu¬
ßischem Muster und reformirte 1869 die humanistischen Gymnasien, indem er
veraltete Unterrichtsgegenstände wie Philosophie und Rhetorik beseitigte und
nach norddeutschen Vorbilde die alten Sprachen mit den mathematisch-natur¬
wissenschaftlichen Fächern in den Vordergrund stellte. Für die Universitäten
sorgte er namentlich durch die Berufung hervorragender Lehrer; ihm vor allem
verdankte Heidelberg unter andern nach Häussers Tode 1867 die Anstellung
Treitschkes. Es entsprach seiner liberalen Richtung, wenn er dem liberalen,
vielangefeindctcn Theologen Daniel Schenkel allen Anfeindungen zum Trotz
die Stange hielt.

(Schluß folgt)




Die Sozialpolitik der nächsten Zeit

j cum man die sozialpolitischen Aufgaben der nächsten Zeit und
die Aussichten für ihre Lösung betrachtet, so wird mau die Lage
nicht gerade als sehr erfreulich ansehen. Die von uns schon
seit Jahren gehegte Befürchtung, daß die Einseitigkeiten und
Übertreibungen der Sozialisten den Fortgang der Reformen weit
"lehr gefährden könnten, als der Widerstand der grundsätzlichen Gegner, hat
sich leider als berechtigt erwiesen. Der Wagen scheint gründlich verfahren zu
sein, und wo sind die, die die Sicherheit bieten, daß sie ihn wieder ins rechte
Geleise bringen werden? Sind es die Parteien? Sind es die alten und die


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[0023] Die Sozialpolitik der nächsten Zeit wahrte vielmehr die Autorität des Staats auch auf andern Gebieten, indem er die Anstalt Adelfelden in Freiburg am 15. November 1867 kurzweg aufhob, als das erzbischöfliche Ordinariat sie aus einem geistlichen Internat zu einem Kloster machen wollte, und hielt nicht nur ein vom Oberschulrat im Sommer 1867 begünstigtes konfessionsloses Volksschulbuch gegen alle kirchlichen An¬ feindungen ruhig aufrecht, sondern befahl später die allgemeine Einführung eines neuen, gleichfalls konfessionslosen Buchs. Mehr als diese kirchlichen Streitigkeiten lag ihm persönlich die Fürsorge für das höhere Unterrichtswesen am Herzen. Er begann die Reform der ver¬ fallenen Mittelschulen, für die der herrschende Liberalismus wenig Verständnis zeigte, 1867 mit einer neuen Prüfungsordnung und einer Verbesserung der Lehrergehalte, sorgte für Berufung tüchtiger Männer namentlich aus Preußen, begründete 1868 das Realgymnasium (Realschule erster Ordnung) nach preu¬ ßischem Muster und reformirte 1869 die humanistischen Gymnasien, indem er veraltete Unterrichtsgegenstände wie Philosophie und Rhetorik beseitigte und nach norddeutschen Vorbilde die alten Sprachen mit den mathematisch-natur¬ wissenschaftlichen Fächern in den Vordergrund stellte. Für die Universitäten sorgte er namentlich durch die Berufung hervorragender Lehrer; ihm vor allem verdankte Heidelberg unter andern nach Häussers Tode 1867 die Anstellung Treitschkes. Es entsprach seiner liberalen Richtung, wenn er dem liberalen, vielangefeindctcn Theologen Daniel Schenkel allen Anfeindungen zum Trotz die Stange hielt. (Schluß folgt) Die Sozialpolitik der nächsten Zeit j cum man die sozialpolitischen Aufgaben der nächsten Zeit und die Aussichten für ihre Lösung betrachtet, so wird mau die Lage nicht gerade als sehr erfreulich ansehen. Die von uns schon seit Jahren gehegte Befürchtung, daß die Einseitigkeiten und Übertreibungen der Sozialisten den Fortgang der Reformen weit "lehr gefährden könnten, als der Widerstand der grundsätzlichen Gegner, hat sich leider als berechtigt erwiesen. Der Wagen scheint gründlich verfahren zu sein, und wo sind die, die die Sicherheit bieten, daß sie ihn wieder ins rechte Geleise bringen werden? Sind es die Parteien? Sind es die alten und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/23>, abgerufen am 01.05.2024.