Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Kirchenpolitik und Zentrum
(Schluß)
3

s ist nicht das Verdienst der katholischen Hierarchie oder uns
rer
Ultramontanen, daß sich unsre katholischen Heerführer, Offiziere
und Mannschaften ebenso tüchtig gezeigt haben wie die von
evangelischem Bekenntnis. Aber schon vor dem Friedensschluß,
noch im Hauptquartier von Versailles, erschien der spätere Kardinal
Ledochowski, um das Eintreten des neuen Reichs für die weltliche Herrschaft
des Papstes zu erwirken; die Erfüllung dieser hierarchischen Forderung war
nichts andres als die Gefahr eines neuen Krieges. Im ersten deutschen Reichs¬
tage schlössen sich die Ultramontanen zu der Pcirlamentspartci des Zentrums zu¬
sammen, unter der maßgebenden Beteiligung eines welfischen Parteigängers; der
erste Antrag der neuen Partei ging dahin, der Reichsverfassung die preußischen
Verfassungsbestimmungen über Kirchenfreiheit einzufügen, Bestimmungen, über
deren Mißbräuchlichkeit und thatsächlichen Mißbrauch sonst jedermann in
Preußen einig war. In den polnisch sprechenden Landesteilen Preußens
wurde immer sichtlicher die von Gesetzes wegen bestehende Lokalschulinspektion
der Geistlichen von ihnen dazu benutzt, großpolnische Propaganda zu treiben,
ohne daß die Kirchenobern dagegen eingeschritten wären, um den mildesten
Ausdruck zu gebrauchen. Ein Bischof entzog einem staatlich bestellten Religions-
lehrer nicht nur die raissio eanoniea, sondern ging zugleich in der schroffsten
Weise, unter Mißachtung der Staatsrechte und jeder Rücksicht auf den Staat,
gegen den Staatsbeamten vor. So viel über die Schuld am Kulturkampf:
er ist dem Staate aufgedrängt worden. Mit der Schuld im Kulturkampf
verhält es sich anders: die fällt auf beide Teile.

Der Aufhebung der katholischen Abteilung des Kultusministeriums und dem
Schulaufsichtsgesetz, die nur Abwehrmaßregeln waren, und zwar ungenügende,
folgte die Offensive, genauer gesprochen, der Gegenangriff. Die Maigesetze und
die andern kirchenpolitischen Gesetze bilden eine Kette von Maßregeln, worin die
ersten Glieder von den später angesetzten überboten werden. Bei der Abfassung
aller rächte es sich, daß der Staat nicht einmal für die Spitze über Männer ver-




Kirchenpolitik und Zentrum
(Schluß)
3

s ist nicht das Verdienst der katholischen Hierarchie oder uns
rer
Ultramontanen, daß sich unsre katholischen Heerführer, Offiziere
und Mannschaften ebenso tüchtig gezeigt haben wie die von
evangelischem Bekenntnis. Aber schon vor dem Friedensschluß,
noch im Hauptquartier von Versailles, erschien der spätere Kardinal
Ledochowski, um das Eintreten des neuen Reichs für die weltliche Herrschaft
des Papstes zu erwirken; die Erfüllung dieser hierarchischen Forderung war
nichts andres als die Gefahr eines neuen Krieges. Im ersten deutschen Reichs¬
tage schlössen sich die Ultramontanen zu der Pcirlamentspartci des Zentrums zu¬
sammen, unter der maßgebenden Beteiligung eines welfischen Parteigängers; der
erste Antrag der neuen Partei ging dahin, der Reichsverfassung die preußischen
Verfassungsbestimmungen über Kirchenfreiheit einzufügen, Bestimmungen, über
deren Mißbräuchlichkeit und thatsächlichen Mißbrauch sonst jedermann in
Preußen einig war. In den polnisch sprechenden Landesteilen Preußens
wurde immer sichtlicher die von Gesetzes wegen bestehende Lokalschulinspektion
der Geistlichen von ihnen dazu benutzt, großpolnische Propaganda zu treiben,
ohne daß die Kirchenobern dagegen eingeschritten wären, um den mildesten
Ausdruck zu gebrauchen. Ein Bischof entzog einem staatlich bestellten Religions-
lehrer nicht nur die raissio eanoniea, sondern ging zugleich in der schroffsten
Weise, unter Mißachtung der Staatsrechte und jeder Rücksicht auf den Staat,
gegen den Staatsbeamten vor. So viel über die Schuld am Kulturkampf:
er ist dem Staate aufgedrängt worden. Mit der Schuld im Kulturkampf
verhält es sich anders: die fällt auf beide Teile.

Der Aufhebung der katholischen Abteilung des Kultusministeriums und dem
Schulaufsichtsgesetz, die nur Abwehrmaßregeln waren, und zwar ungenügende,
folgte die Offensive, genauer gesprochen, der Gegenangriff. Die Maigesetze und
die andern kirchenpolitischen Gesetze bilden eine Kette von Maßregeln, worin die
ersten Glieder von den später angesetzten überboten werden. Bei der Abfassung
aller rächte es sich, daß der Staat nicht einmal für die Spitze über Männer ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229200"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_228947/figures/grenzboten_341867_228947_229200_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kirchenpolitik und Zentrum<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 3</head><lb/>
            <p xml:id="ID_694"> s ist nicht das Verdienst der katholischen Hierarchie oder uns<lb/>
rer<lb/>
Ultramontanen, daß sich unsre katholischen Heerführer, Offiziere<lb/>
und Mannschaften ebenso tüchtig gezeigt haben wie die von<lb/>
evangelischem Bekenntnis. Aber schon vor dem Friedensschluß,<lb/>
noch im Hauptquartier von Versailles, erschien der spätere Kardinal<lb/>
Ledochowski, um das Eintreten des neuen Reichs für die weltliche Herrschaft<lb/>
des Papstes zu erwirken; die Erfüllung dieser hierarchischen Forderung war<lb/>
nichts andres als die Gefahr eines neuen Krieges. Im ersten deutschen Reichs¬<lb/>
tage schlössen sich die Ultramontanen zu der Pcirlamentspartci des Zentrums zu¬<lb/>
sammen, unter der maßgebenden Beteiligung eines welfischen Parteigängers; der<lb/>
erste Antrag der neuen Partei ging dahin, der Reichsverfassung die preußischen<lb/>
Verfassungsbestimmungen über Kirchenfreiheit einzufügen, Bestimmungen, über<lb/>
deren Mißbräuchlichkeit und thatsächlichen Mißbrauch sonst jedermann in<lb/>
Preußen einig war. In den polnisch sprechenden Landesteilen Preußens<lb/>
wurde immer sichtlicher die von Gesetzes wegen bestehende Lokalschulinspektion<lb/>
der Geistlichen von ihnen dazu benutzt, großpolnische Propaganda zu treiben,<lb/>
ohne daß die Kirchenobern dagegen eingeschritten wären, um den mildesten<lb/>
Ausdruck zu gebrauchen. Ein Bischof entzog einem staatlich bestellten Religions-<lb/>
lehrer nicht nur die raissio eanoniea, sondern ging zugleich in der schroffsten<lb/>
Weise, unter Mißachtung der Staatsrechte und jeder Rücksicht auf den Staat,<lb/>
gegen den Staatsbeamten vor. So viel über die Schuld am Kulturkampf:<lb/>
er ist dem Staate aufgedrängt worden. Mit der Schuld im Kulturkampf<lb/>
verhält es sich anders: die fällt auf beide Teile.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Der Aufhebung der katholischen Abteilung des Kultusministeriums und dem<lb/>
Schulaufsichtsgesetz, die nur Abwehrmaßregeln waren, und zwar ungenügende,<lb/>
folgte die Offensive, genauer gesprochen, der Gegenangriff. Die Maigesetze und<lb/>
die andern kirchenpolitischen Gesetze bilden eine Kette von Maßregeln, worin die<lb/>
ersten Glieder von den später angesetzten überboten werden. Bei der Abfassung<lb/>
aller rächte es sich, daß der Staat nicht einmal für die Spitze über Männer ver-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251] [Abbildung] Kirchenpolitik und Zentrum (Schluß) 3 s ist nicht das Verdienst der katholischen Hierarchie oder uns rer Ultramontanen, daß sich unsre katholischen Heerführer, Offiziere und Mannschaften ebenso tüchtig gezeigt haben wie die von evangelischem Bekenntnis. Aber schon vor dem Friedensschluß, noch im Hauptquartier von Versailles, erschien der spätere Kardinal Ledochowski, um das Eintreten des neuen Reichs für die weltliche Herrschaft des Papstes zu erwirken; die Erfüllung dieser hierarchischen Forderung war nichts andres als die Gefahr eines neuen Krieges. Im ersten deutschen Reichs¬ tage schlössen sich die Ultramontanen zu der Pcirlamentspartci des Zentrums zu¬ sammen, unter der maßgebenden Beteiligung eines welfischen Parteigängers; der erste Antrag der neuen Partei ging dahin, der Reichsverfassung die preußischen Verfassungsbestimmungen über Kirchenfreiheit einzufügen, Bestimmungen, über deren Mißbräuchlichkeit und thatsächlichen Mißbrauch sonst jedermann in Preußen einig war. In den polnisch sprechenden Landesteilen Preußens wurde immer sichtlicher die von Gesetzes wegen bestehende Lokalschulinspektion der Geistlichen von ihnen dazu benutzt, großpolnische Propaganda zu treiben, ohne daß die Kirchenobern dagegen eingeschritten wären, um den mildesten Ausdruck zu gebrauchen. Ein Bischof entzog einem staatlich bestellten Religions- lehrer nicht nur die raissio eanoniea, sondern ging zugleich in der schroffsten Weise, unter Mißachtung der Staatsrechte und jeder Rücksicht auf den Staat, gegen den Staatsbeamten vor. So viel über die Schuld am Kulturkampf: er ist dem Staate aufgedrängt worden. Mit der Schuld im Kulturkampf verhält es sich anders: die fällt auf beide Teile. Der Aufhebung der katholischen Abteilung des Kultusministeriums und dem Schulaufsichtsgesetz, die nur Abwehrmaßregeln waren, und zwar ungenügende, folgte die Offensive, genauer gesprochen, der Gegenangriff. Die Maigesetze und die andern kirchenpolitischen Gesetze bilden eine Kette von Maßregeln, worin die ersten Glieder von den später angesetzten überboten werden. Bei der Abfassung aller rächte es sich, daß der Staat nicht einmal für die Spitze über Männer ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/251
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/251>, abgerufen am 01.05.2024.