Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jahbücher

wirksam ist. Sie gehören alle einem einzigen Strome an, und so sind sie auch
überall dieselben und streben überall die Ausgleichung jener in zwei Jahr¬
tausenden angesammelten Verschiedenheiten an, die den wesentlichen Charakter¬
zug der deutschen historischen Landschaft, die Mannigfaltigkeit, ausmachen.
Viel davon ist schon ausgeebnet und abgeglichen. Unsre Kulturlandschaft ist
heute unvergleichlich viel einförmiger als im Beginn unsers Jahrhunderts.
Später erst werden jene Spuren der politischen Mannigfaltigkeit verschwinden,
die in der Zeit der staatlichen Zersplitterung den deutschen Boden mit zahl¬
losen politischen Mittel- und militärischen Stützpunkten kleinsten Formats, mit
Schlagbüumen und Grenzpfählen in allen Farben und mit alleu jenen Ab¬
stufungen der staatlichen Leistungen und Attribute bedeckt hat, die wir z. B.
noch sehr deutlich in der Güte der Landstraßen von der Rheinpfalz durch
Baden und Württemberg nach Altbayern wahrnehmen. Mit der Zersplitterung
zusammen ging ein Überwuchern der politischen Züge in der historischen Land¬
schaft, Zeugnis der Vielregiererei und Bevormundung, die zum Glück großen¬
teils der Vergangenheit angehört. Es bezeugt ein gesünderes Leben, daß die
w der Lage und den Bodenverschiedenheiten liegenden Kulturunterschiede jene
Merkmale künstlicher, willkürlicher Sonderungen immer mehr verdrängen, und
daß damit die historische Landschaft immer treuer den organischen Zusammen¬
hang des Volkes als eines Ganzen mit seinem Boden abspiegelt.



Jahbücher

er Ausdruck klingt sehr affektirt, aber man wird ihn auf die
Dauer nicht grundsätzlich vermeide" können, wenn man die Sache
kurz bezeichnen und Bücher unter einem Generalnenner zusammen¬
fassen will, die bei sehr verschiedenartigem Sachinhalt eine neuer¬
dings hänfig auftretende durch den Ausdruck zu kennzeichnende
Mitteilungsform miteinander gemeinsam haben. Memoiren kann
^an sie nicht nennen, weil sie nicht Erlebnisse enthalten, sondern Eindrücke,
^tunmungen und Urteile sehr subjektiver Natur, denen die mitgeteilten Dinge
nur als Unterlage dienen; es sind etwa Materialien zu einer Weltanschauung der
einzelnen Verfasser. Dem Leser, der nach einem dem Stoffe nach abgeschlossenen
ganzen verlangt, wird es nicht immer leicht werden, sich in dem Zentrum der
Betrachtung zurechtzufinden, und vielleicht wird auch der Autor sein Ich unter
der Wirkung der Beleuchtung, in die er es gesetzt hat, nicht immer wieder
erkennen. Es kann eben jemand auch bei dem besten Willen nicht ganz in
eines andern Haut schlüpfen.

Wenn z. B. Einer Erinnerungen an Kaiser Friedrich mit politischen Be¬
trachtungen und menschlichen Ermahnungen erbaulicher Art verbindet, so wird


Jahbücher

wirksam ist. Sie gehören alle einem einzigen Strome an, und so sind sie auch
überall dieselben und streben überall die Ausgleichung jener in zwei Jahr¬
tausenden angesammelten Verschiedenheiten an, die den wesentlichen Charakter¬
zug der deutschen historischen Landschaft, die Mannigfaltigkeit, ausmachen.
Viel davon ist schon ausgeebnet und abgeglichen. Unsre Kulturlandschaft ist
heute unvergleichlich viel einförmiger als im Beginn unsers Jahrhunderts.
Später erst werden jene Spuren der politischen Mannigfaltigkeit verschwinden,
die in der Zeit der staatlichen Zersplitterung den deutschen Boden mit zahl¬
losen politischen Mittel- und militärischen Stützpunkten kleinsten Formats, mit
Schlagbüumen und Grenzpfählen in allen Farben und mit alleu jenen Ab¬
stufungen der staatlichen Leistungen und Attribute bedeckt hat, die wir z. B.
noch sehr deutlich in der Güte der Landstraßen von der Rheinpfalz durch
Baden und Württemberg nach Altbayern wahrnehmen. Mit der Zersplitterung
zusammen ging ein Überwuchern der politischen Züge in der historischen Land¬
schaft, Zeugnis der Vielregiererei und Bevormundung, die zum Glück großen¬
teils der Vergangenheit angehört. Es bezeugt ein gesünderes Leben, daß die
w der Lage und den Bodenverschiedenheiten liegenden Kulturunterschiede jene
Merkmale künstlicher, willkürlicher Sonderungen immer mehr verdrängen, und
daß damit die historische Landschaft immer treuer den organischen Zusammen¬
hang des Volkes als eines Ganzen mit seinem Boden abspiegelt.



Jahbücher

er Ausdruck klingt sehr affektirt, aber man wird ihn auf die
Dauer nicht grundsätzlich vermeide» können, wenn man die Sache
kurz bezeichnen und Bücher unter einem Generalnenner zusammen¬
fassen will, die bei sehr verschiedenartigem Sachinhalt eine neuer¬
dings hänfig auftretende durch den Ausdruck zu kennzeichnende
Mitteilungsform miteinander gemeinsam haben. Memoiren kann
^an sie nicht nennen, weil sie nicht Erlebnisse enthalten, sondern Eindrücke,
^tunmungen und Urteile sehr subjektiver Natur, denen die mitgeteilten Dinge
nur als Unterlage dienen; es sind etwa Materialien zu einer Weltanschauung der
einzelnen Verfasser. Dem Leser, der nach einem dem Stoffe nach abgeschlossenen
ganzen verlangt, wird es nicht immer leicht werden, sich in dem Zentrum der
Betrachtung zurechtzufinden, und vielleicht wird auch der Autor sein Ich unter
der Wirkung der Beleuchtung, in die er es gesetzt hat, nicht immer wieder
erkennen. Es kann eben jemand auch bei dem besten Willen nicht ganz in
eines andern Haut schlüpfen.

Wenn z. B. Einer Erinnerungen an Kaiser Friedrich mit politischen Be¬
trachtungen und menschlichen Ermahnungen erbaulicher Art verbindet, so wird


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229219"/>
          <fw type="header" place="top"> Jahbücher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_742" prev="#ID_741"> wirksam ist. Sie gehören alle einem einzigen Strome an, und so sind sie auch<lb/>
überall dieselben und streben überall die Ausgleichung jener in zwei Jahr¬<lb/>
tausenden angesammelten Verschiedenheiten an, die den wesentlichen Charakter¬<lb/>
zug der deutschen historischen Landschaft, die Mannigfaltigkeit, ausmachen.<lb/>
Viel davon ist schon ausgeebnet und abgeglichen. Unsre Kulturlandschaft ist<lb/>
heute unvergleichlich viel einförmiger als im Beginn unsers Jahrhunderts.<lb/>
Später erst werden jene Spuren der politischen Mannigfaltigkeit verschwinden,<lb/>
die in der Zeit der staatlichen Zersplitterung den deutschen Boden mit zahl¬<lb/>
losen politischen Mittel- und militärischen Stützpunkten kleinsten Formats, mit<lb/>
Schlagbüumen und Grenzpfählen in allen Farben und mit alleu jenen Ab¬<lb/>
stufungen der staatlichen Leistungen und Attribute bedeckt hat, die wir z. B.<lb/>
noch sehr deutlich in der Güte der Landstraßen von der Rheinpfalz durch<lb/>
Baden und Württemberg nach Altbayern wahrnehmen. Mit der Zersplitterung<lb/>
zusammen ging ein Überwuchern der politischen Züge in der historischen Land¬<lb/>
schaft, Zeugnis der Vielregiererei und Bevormundung, die zum Glück großen¬<lb/>
teils der Vergangenheit angehört. Es bezeugt ein gesünderes Leben, daß die<lb/>
w der Lage und den Bodenverschiedenheiten liegenden Kulturunterschiede jene<lb/>
Merkmale künstlicher, willkürlicher Sonderungen immer mehr verdrängen, und<lb/>
daß damit die historische Landschaft immer treuer den organischen Zusammen¬<lb/>
hang des Volkes als eines Ganzen mit seinem Boden abspiegelt.</p><lb/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_228947/figures/grenzboten_341867_228947_229219_003.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Jahbücher</head><lb/>
          <p xml:id="ID_743"> er Ausdruck klingt sehr affektirt, aber man wird ihn auf die<lb/>
Dauer nicht grundsätzlich vermeide» können, wenn man die Sache<lb/>
kurz bezeichnen und Bücher unter einem Generalnenner zusammen¬<lb/>
fassen will, die bei sehr verschiedenartigem Sachinhalt eine neuer¬<lb/>
dings hänfig auftretende durch den Ausdruck zu kennzeichnende<lb/>
Mitteilungsform miteinander gemeinsam haben. Memoiren kann<lb/>
^an sie nicht nennen, weil sie nicht Erlebnisse enthalten, sondern Eindrücke,<lb/>
^tunmungen und Urteile sehr subjektiver Natur, denen die mitgeteilten Dinge<lb/>
nur als Unterlage dienen; es sind etwa Materialien zu einer Weltanschauung der<lb/>
einzelnen Verfasser. Dem Leser, der nach einem dem Stoffe nach abgeschlossenen<lb/>
ganzen verlangt, wird es nicht immer leicht werden, sich in dem Zentrum der<lb/>
Betrachtung zurechtzufinden, und vielleicht wird auch der Autor sein Ich unter<lb/>
der Wirkung der Beleuchtung, in die er es gesetzt hat, nicht immer wieder<lb/>
erkennen. Es kann eben jemand auch bei dem besten Willen nicht ganz in<lb/>
eines andern Haut schlüpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_744" next="#ID_745"> Wenn z. B. Einer Erinnerungen an Kaiser Friedrich mit politischen Be¬<lb/>
trachtungen und menschlichen Ermahnungen erbaulicher Art verbindet, so wird</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Jahbücher wirksam ist. Sie gehören alle einem einzigen Strome an, und so sind sie auch überall dieselben und streben überall die Ausgleichung jener in zwei Jahr¬ tausenden angesammelten Verschiedenheiten an, die den wesentlichen Charakter¬ zug der deutschen historischen Landschaft, die Mannigfaltigkeit, ausmachen. Viel davon ist schon ausgeebnet und abgeglichen. Unsre Kulturlandschaft ist heute unvergleichlich viel einförmiger als im Beginn unsers Jahrhunderts. Später erst werden jene Spuren der politischen Mannigfaltigkeit verschwinden, die in der Zeit der staatlichen Zersplitterung den deutschen Boden mit zahl¬ losen politischen Mittel- und militärischen Stützpunkten kleinsten Formats, mit Schlagbüumen und Grenzpfählen in allen Farben und mit alleu jenen Ab¬ stufungen der staatlichen Leistungen und Attribute bedeckt hat, die wir z. B. noch sehr deutlich in der Güte der Landstraßen von der Rheinpfalz durch Baden und Württemberg nach Altbayern wahrnehmen. Mit der Zersplitterung zusammen ging ein Überwuchern der politischen Züge in der historischen Land¬ schaft, Zeugnis der Vielregiererei und Bevormundung, die zum Glück großen¬ teils der Vergangenheit angehört. Es bezeugt ein gesünderes Leben, daß die w der Lage und den Bodenverschiedenheiten liegenden Kulturunterschiede jene Merkmale künstlicher, willkürlicher Sonderungen immer mehr verdrängen, und daß damit die historische Landschaft immer treuer den organischen Zusammen¬ hang des Volkes als eines Ganzen mit seinem Boden abspiegelt. [Abbildung] Jahbücher er Ausdruck klingt sehr affektirt, aber man wird ihn auf die Dauer nicht grundsätzlich vermeide» können, wenn man die Sache kurz bezeichnen und Bücher unter einem Generalnenner zusammen¬ fassen will, die bei sehr verschiedenartigem Sachinhalt eine neuer¬ dings hänfig auftretende durch den Ausdruck zu kennzeichnende Mitteilungsform miteinander gemeinsam haben. Memoiren kann ^an sie nicht nennen, weil sie nicht Erlebnisse enthalten, sondern Eindrücke, ^tunmungen und Urteile sehr subjektiver Natur, denen die mitgeteilten Dinge nur als Unterlage dienen; es sind etwa Materialien zu einer Weltanschauung der einzelnen Verfasser. Dem Leser, der nach einem dem Stoffe nach abgeschlossenen ganzen verlangt, wird es nicht immer leicht werden, sich in dem Zentrum der Betrachtung zurechtzufinden, und vielleicht wird auch der Autor sein Ich unter der Wirkung der Beleuchtung, in die er es gesetzt hat, nicht immer wieder erkennen. Es kann eben jemand auch bei dem besten Willen nicht ganz in eines andern Haut schlüpfen. Wenn z. B. Einer Erinnerungen an Kaiser Friedrich mit politischen Be¬ trachtungen und menschlichen Ermahnungen erbaulicher Art verbindet, so wird

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/270>, abgerufen am 01.05.2024.