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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

Das Volk der Landsknechte dient jetzt freilich den Fremden, die die
Schweiz wegen ihrer Naturschönheiten besuchen. Mit Rücksicht auf den Geld¬
beutel könnte dann die Verachtung des eignen Volkstums, wenn auch nicht
gerechtfertigt, so doch erklärt werden. Aber dies ist weit gefehlt. Die Mehr¬
zahl der Bergsteiger sind Deutsche, dann kommen Engländer und Amerikaner,
und schließlich in verschwindenden Maße die geliebten Franzosen, die als
Romanen die Bequemlichkeit der Städte und Bäder mehr lieben, als daß sie
Sinn für die gewaltige Alpennatur hätten. Wir Reichsdeutschen füllen die
Börse der Gastwirte und Eisenbahnen; aber wir kommen ja doch und sind
auch zu bescheiden, als daß wir dem kindlichen Franzosenspuk entgegentraten.
In den guten Berner und Luzerner Familien wird fast immer französisch ge¬
sprochen, und deutsche Diplomaten müssen zu dieser Vermittlungssprache ihre
Zuflucht nehmen, um ihre eignen schweizerischen Volksgenossen überhaupt zu
verstehen, wie reizvoll auch die alemannische Mundart sonst ist. Ein erbärm¬
licheres Armutszeugnis kann sich die Schweiz überhaupt nicht ausstellen, als
daß sie bei einem fremden Volke ihre Umgangssprache entlehnt.

(Schluß folgt)




Hundert Dahre Landwirtschaft in Deutschland

(Schluß)

l
e Krisis war keine "Not der Landwirtschaft," da, wie wir ge¬
sehen haben, die Bauern*) davon nicht betroffen wurden, sondern
nur eine Not vieler Rittergutsbesitzer. Natürlich wurden außer
dem Bülowschen noch andre Nettungsvorschlüge produzirt, wenn
auch nicht in solchen Massen wie in unsrer heutigen schreib¬
wütigen Zeit. E. von Knobloch schlüge 1830 in der genannten Broschüre eine
"Gutserhaltungsanstalt" mit einem "Erhaltungsrat" vor. Da dieser Vorschlag
nicht der Geschichte der Ereignisse, sondern nur der Geschichte der Projekte
angehört, so interesstren die Einzelheiten heute nicht mehr. Dagegen wollen
wir aus seiner Darstellung der Ursachen der Krisis, die im allgemeinen mit
den schon angeführten Darstellungen übereinstimmt, zwei Punkte herausheben.



Die erwähnten unglücklichen Litauer wurden nicht erst durch eine Preiskrisis ruinirt,
sondern durch den Zwang zu Geldleistungen an den Staat, wahrend einerseits die Natural¬
wirtschaft, in der sie bis dahin gelebt hatten, ihnen gnr kein Geld zuführen konnte, andrerseits
der Krieg ihnen alles Geldwerte, namentlich das Vieh, geraubt hatte.
Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland

Das Volk der Landsknechte dient jetzt freilich den Fremden, die die
Schweiz wegen ihrer Naturschönheiten besuchen. Mit Rücksicht auf den Geld¬
beutel könnte dann die Verachtung des eignen Volkstums, wenn auch nicht
gerechtfertigt, so doch erklärt werden. Aber dies ist weit gefehlt. Die Mehr¬
zahl der Bergsteiger sind Deutsche, dann kommen Engländer und Amerikaner,
und schließlich in verschwindenden Maße die geliebten Franzosen, die als
Romanen die Bequemlichkeit der Städte und Bäder mehr lieben, als daß sie
Sinn für die gewaltige Alpennatur hätten. Wir Reichsdeutschen füllen die
Börse der Gastwirte und Eisenbahnen; aber wir kommen ja doch und sind
auch zu bescheiden, als daß wir dem kindlichen Franzosenspuk entgegentraten.
In den guten Berner und Luzerner Familien wird fast immer französisch ge¬
sprochen, und deutsche Diplomaten müssen zu dieser Vermittlungssprache ihre
Zuflucht nehmen, um ihre eignen schweizerischen Volksgenossen überhaupt zu
verstehen, wie reizvoll auch die alemannische Mundart sonst ist. Ein erbärm¬
licheres Armutszeugnis kann sich die Schweiz überhaupt nicht ausstellen, als
daß sie bei einem fremden Volke ihre Umgangssprache entlehnt.

(Schluß folgt)




Hundert Dahre Landwirtschaft in Deutschland

(Schluß)

l
e Krisis war keine „Not der Landwirtschaft," da, wie wir ge¬
sehen haben, die Bauern*) davon nicht betroffen wurden, sondern
nur eine Not vieler Rittergutsbesitzer. Natürlich wurden außer
dem Bülowschen noch andre Nettungsvorschlüge produzirt, wenn
auch nicht in solchen Massen wie in unsrer heutigen schreib¬
wütigen Zeit. E. von Knobloch schlüge 1830 in der genannten Broschüre eine
„Gutserhaltungsanstalt" mit einem „Erhaltungsrat" vor. Da dieser Vorschlag
nicht der Geschichte der Ereignisse, sondern nur der Geschichte der Projekte
angehört, so interesstren die Einzelheiten heute nicht mehr. Dagegen wollen
wir aus seiner Darstellung der Ursachen der Krisis, die im allgemeinen mit
den schon angeführten Darstellungen übereinstimmt, zwei Punkte herausheben.



Die erwähnten unglücklichen Litauer wurden nicht erst durch eine Preiskrisis ruinirt,
sondern durch den Zwang zu Geldleistungen an den Staat, wahrend einerseits die Natural¬
wirtschaft, in der sie bis dahin gelebt hatten, ihnen gnr kein Geld zuführen konnte, andrerseits
der Krieg ihnen alles Geldwerte, namentlich das Vieh, geraubt hatte.
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[0527] Hundert Jahre Landwirtschaft in Deutschland Das Volk der Landsknechte dient jetzt freilich den Fremden, die die Schweiz wegen ihrer Naturschönheiten besuchen. Mit Rücksicht auf den Geld¬ beutel könnte dann die Verachtung des eignen Volkstums, wenn auch nicht gerechtfertigt, so doch erklärt werden. Aber dies ist weit gefehlt. Die Mehr¬ zahl der Bergsteiger sind Deutsche, dann kommen Engländer und Amerikaner, und schließlich in verschwindenden Maße die geliebten Franzosen, die als Romanen die Bequemlichkeit der Städte und Bäder mehr lieben, als daß sie Sinn für die gewaltige Alpennatur hätten. Wir Reichsdeutschen füllen die Börse der Gastwirte und Eisenbahnen; aber wir kommen ja doch und sind auch zu bescheiden, als daß wir dem kindlichen Franzosenspuk entgegentraten. In den guten Berner und Luzerner Familien wird fast immer französisch ge¬ sprochen, und deutsche Diplomaten müssen zu dieser Vermittlungssprache ihre Zuflucht nehmen, um ihre eignen schweizerischen Volksgenossen überhaupt zu verstehen, wie reizvoll auch die alemannische Mundart sonst ist. Ein erbärm¬ licheres Armutszeugnis kann sich die Schweiz überhaupt nicht ausstellen, als daß sie bei einem fremden Volke ihre Umgangssprache entlehnt. (Schluß folgt) Hundert Dahre Landwirtschaft in Deutschland (Schluß) l e Krisis war keine „Not der Landwirtschaft," da, wie wir ge¬ sehen haben, die Bauern*) davon nicht betroffen wurden, sondern nur eine Not vieler Rittergutsbesitzer. Natürlich wurden außer dem Bülowschen noch andre Nettungsvorschlüge produzirt, wenn auch nicht in solchen Massen wie in unsrer heutigen schreib¬ wütigen Zeit. E. von Knobloch schlüge 1830 in der genannten Broschüre eine „Gutserhaltungsanstalt" mit einem „Erhaltungsrat" vor. Da dieser Vorschlag nicht der Geschichte der Ereignisse, sondern nur der Geschichte der Projekte angehört, so interesstren die Einzelheiten heute nicht mehr. Dagegen wollen wir aus seiner Darstellung der Ursachen der Krisis, die im allgemeinen mit den schon angeführten Darstellungen übereinstimmt, zwei Punkte herausheben. Die erwähnten unglücklichen Litauer wurden nicht erst durch eine Preiskrisis ruinirt, sondern durch den Zwang zu Geldleistungen an den Staat, wahrend einerseits die Natural¬ wirtschaft, in der sie bis dahin gelebt hatten, ihnen gnr kein Geld zuführen konnte, andrerseits der Krieg ihnen alles Geldwerte, namentlich das Vieh, geraubt hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/527>, abgerufen am 01.05.2024.