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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Zur Abrüstungsfrage

heitern Schimmer wirkt anders. Aber für jeden historisch gebildeten und ge¬
stimmten Besucher wird ja auch die vom Leben der Geschichte durchfurchte
Insel etwas ganz andres sein, als ein angenehmes Naturbild, eine sogenannte
schöne Gegend. Und sür einen solchen könnte, sei es zur Vorbereitung oder
zur Erinnerung, keine willkommnere Gabe gedacht werden, als dieses durch
und durch feinsinnige Büchlein.




Zur Abrüstungsfrage

er Vorschlag des Zaren an die europäischen Staaten
, zu einer
Versammlung zusammenzutreten, die eine allgemeine Abrüstung
beschließen soll, ist sehr bald nach Bismcircks Tode gekommen.
Ob man den Tod des großen Kanzlers abgewartet hat, ehe man
mit diesem Vorschlage hervortrat? Jedenfalls würde Bismarck
nicht verfehlt haben, seine Meinung über die Sache auszusprechen, und die
würde aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Zustandekommen der Konferenz
in der Weise, wie sie sich die Friedensfreunde vorstellen, ungünstig eingewirkt
haben. Denn schon am 2. März 1880 hat der Kanzler dem württembergischen
Abgeordneten von Bühler auf einen Abrüstungsantrag schriftlich geantwortet:
"Ich bin leider durch die praktischen und dringlichen Geschäfte der Gegenwart
so in Anspruch genommen, daß ich mich mit der Möglichkeit einer Zukunft
nicht befassen kann. die. wie ich fürchte, wir beide nicht erleben werden. Erst
nachdem es Ew. Hochwohlgeboren gelungen sein wird, unsre Nachbarn für
Ihre Pläne zu gewinnen, könnte ich oder ein andrer deutscher Kanzler für
unser stets defensives Vaterland die Verantwortlichkeit für analoge Anregungen
übernehmen. Aber auch dann fürchte ich, daß die gegenseitige Kontrolle der
Völker über den Nüstungszustand der Nachbarn schwierig und unsicher bleiben
und daß ein FyHM, das sie wirksam handhaben könnte, schwer zu beschaffen
sein wird." Mir scheint, daß die hier von Bismarck ausgesprochnen Bedenken
auch heute noch bestehen. Vor allem fehlt Frankreichs endgiltige Anerkennung
des durch den Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 geschaffnen Zustandes.
Solange Frankreich sich nicht darein findet, daß Elsaß-Lothringen, das ihm
unrechtmäßigerweise sast zwei Jahrhunderte lang angehörte, wiederum an den
rechtmäßigen Besitzer, das Deutsche Reich, zurückgefallen ist, so lange kann von
einer Abrüstung keine Rede sein, wenigstens bei uns nicht.

Bei den andern Großstaaten widersprechen die Thatsachen der Gegenwart
gleichfalls den Bestrebungen nach Abrüstung. Der soeben abgegangne Kriegs-


Zur Abrüstungsfrage

heitern Schimmer wirkt anders. Aber für jeden historisch gebildeten und ge¬
stimmten Besucher wird ja auch die vom Leben der Geschichte durchfurchte
Insel etwas ganz andres sein, als ein angenehmes Naturbild, eine sogenannte
schöne Gegend. Und sür einen solchen könnte, sei es zur Vorbereitung oder
zur Erinnerung, keine willkommnere Gabe gedacht werden, als dieses durch
und durch feinsinnige Büchlein.




Zur Abrüstungsfrage

er Vorschlag des Zaren an die europäischen Staaten
, zu einer
Versammlung zusammenzutreten, die eine allgemeine Abrüstung
beschließen soll, ist sehr bald nach Bismcircks Tode gekommen.
Ob man den Tod des großen Kanzlers abgewartet hat, ehe man
mit diesem Vorschlage hervortrat? Jedenfalls würde Bismarck
nicht verfehlt haben, seine Meinung über die Sache auszusprechen, und die
würde aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Zustandekommen der Konferenz
in der Weise, wie sie sich die Friedensfreunde vorstellen, ungünstig eingewirkt
haben. Denn schon am 2. März 1880 hat der Kanzler dem württembergischen
Abgeordneten von Bühler auf einen Abrüstungsantrag schriftlich geantwortet:
„Ich bin leider durch die praktischen und dringlichen Geschäfte der Gegenwart
so in Anspruch genommen, daß ich mich mit der Möglichkeit einer Zukunft
nicht befassen kann. die. wie ich fürchte, wir beide nicht erleben werden. Erst
nachdem es Ew. Hochwohlgeboren gelungen sein wird, unsre Nachbarn für
Ihre Pläne zu gewinnen, könnte ich oder ein andrer deutscher Kanzler für
unser stets defensives Vaterland die Verantwortlichkeit für analoge Anregungen
übernehmen. Aber auch dann fürchte ich, daß die gegenseitige Kontrolle der
Völker über den Nüstungszustand der Nachbarn schwierig und unsicher bleiben
und daß ein FyHM, das sie wirksam handhaben könnte, schwer zu beschaffen
sein wird." Mir scheint, daß die hier von Bismarck ausgesprochnen Bedenken
auch heute noch bestehen. Vor allem fehlt Frankreichs endgiltige Anerkennung
des durch den Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 geschaffnen Zustandes.
Solange Frankreich sich nicht darein findet, daß Elsaß-Lothringen, das ihm
unrechtmäßigerweise sast zwei Jahrhunderte lang angehörte, wiederum an den
rechtmäßigen Besitzer, das Deutsche Reich, zurückgefallen ist, so lange kann von
einer Abrüstung keine Rede sein, wenigstens bei uns nicht.

Bei den andern Großstaaten widersprechen die Thatsachen der Gegenwart
gleichfalls den Bestrebungen nach Abrüstung. Der soeben abgegangne Kriegs-


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[0058] Zur Abrüstungsfrage heitern Schimmer wirkt anders. Aber für jeden historisch gebildeten und ge¬ stimmten Besucher wird ja auch die vom Leben der Geschichte durchfurchte Insel etwas ganz andres sein, als ein angenehmes Naturbild, eine sogenannte schöne Gegend. Und sür einen solchen könnte, sei es zur Vorbereitung oder zur Erinnerung, keine willkommnere Gabe gedacht werden, als dieses durch und durch feinsinnige Büchlein. Zur Abrüstungsfrage er Vorschlag des Zaren an die europäischen Staaten , zu einer Versammlung zusammenzutreten, die eine allgemeine Abrüstung beschließen soll, ist sehr bald nach Bismcircks Tode gekommen. Ob man den Tod des großen Kanzlers abgewartet hat, ehe man mit diesem Vorschlage hervortrat? Jedenfalls würde Bismarck nicht verfehlt haben, seine Meinung über die Sache auszusprechen, und die würde aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Zustandekommen der Konferenz in der Weise, wie sie sich die Friedensfreunde vorstellen, ungünstig eingewirkt haben. Denn schon am 2. März 1880 hat der Kanzler dem württembergischen Abgeordneten von Bühler auf einen Abrüstungsantrag schriftlich geantwortet: „Ich bin leider durch die praktischen und dringlichen Geschäfte der Gegenwart so in Anspruch genommen, daß ich mich mit der Möglichkeit einer Zukunft nicht befassen kann. die. wie ich fürchte, wir beide nicht erleben werden. Erst nachdem es Ew. Hochwohlgeboren gelungen sein wird, unsre Nachbarn für Ihre Pläne zu gewinnen, könnte ich oder ein andrer deutscher Kanzler für unser stets defensives Vaterland die Verantwortlichkeit für analoge Anregungen übernehmen. Aber auch dann fürchte ich, daß die gegenseitige Kontrolle der Völker über den Nüstungszustand der Nachbarn schwierig und unsicher bleiben und daß ein FyHM, das sie wirksam handhaben könnte, schwer zu beschaffen sein wird." Mir scheint, daß die hier von Bismarck ausgesprochnen Bedenken auch heute noch bestehen. Vor allem fehlt Frankreichs endgiltige Anerkennung des durch den Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 geschaffnen Zustandes. Solange Frankreich sich nicht darein findet, daß Elsaß-Lothringen, das ihm unrechtmäßigerweise sast zwei Jahrhunderte lang angehörte, wiederum an den rechtmäßigen Besitzer, das Deutsche Reich, zurückgefallen ist, so lange kann von einer Abrüstung keine Rede sein, wenigstens bei uns nicht. Bei den andern Großstaaten widersprechen die Thatsachen der Gegenwart gleichfalls den Bestrebungen nach Abrüstung. Der soeben abgegangne Kriegs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/58>, abgerufen am 01.05.2024.