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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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tonung der religiösen Stimmung, die in dem Leben unsers Volks doch eine so
große Rolle spielt, daß sie nicht so zurücktreten oder gar verschwinden darf, wie
das z. B. in Auerbachs Dorfgeschichten der Fall ist. Die Art und Weise, wie
Ludwig Richter das Leben unsers Volkes schildert, muß als etwas in der Kunst¬
geschichte durchaus Neues bezeichnet werden. Die derben Niederländer des sieb¬
zehnte" Jahrhunderts, Hogarth mit seiner geißelnden Satire, ja selbst der von
Richter sehr geschätzte Chodowiecki, der mit seinen ziemlich prosaischen Darstellungen
im ganze" recht kalt läßt, sie alle können unmöglich als eigentliche Vorbilder
Richters aufgefaßt werden, der mit seiner gemütvollen, liebenswürdigen und fein
humoristischen Auffassung ihnen vollkommen selbständig gegenüber steht. Durch seine
Einkehr in das Volkstum ist Richter der modernen Kunst, deren Entwicklung er
-- wenn auch durch ein Augenleiden zur Unthätigkeit verurteilt -- bis zu seinem
Tode am 19. Juni 1334 selbst noch beobachten konnte, um ein gutes Stück näher
getreten als die übrigen Romantiker. Daß er trotzdem von einem großen Teile der
neuen Richtung durch eine tiefe Kluft getrennt ist, hat seinen Grund darin, daß
er, um Richis Worte zu gebrauchen, "das Wahre so poetisch" gemalt hat. Wenn
der Künstler in sein Tagebuch schrieb: "Das Wirkliche ist nur schön, wenn es vom
Ideal berührt und dadurch bedeutend wird," so laßt sich dagegen ja manches ein¬
wenden. Volle Zustimmung aber muß der Meister finde" bei seiner hohen Auf¬
fassung der Kunst, wie er sie zum Ausdruck bringt in den Worten: "Sie soll den
Staub und den Schmutz, die Kruste, die sich so bald im Leben um Herz und
Gemüt legt, abnehmen und uns mit einem freien, reinen und großen Blick ent¬
lassen."

Mögen diese Ausführungen wie das in Dresden enthüllte Monument recht
viele Leser auf das Denkart hinweisen, das der Künstler sich selbst in seinen
Werken gesetzt hat.




Englands Bündnisfähigkeit
von Hugo Bartels

or zwei Jahren, als die Depesche des Kaisers an den Präsidenten
Krüger den schuldbewußten Herren von der südafrikanischen Gesell¬
schaft einen willkommnen Anlaß bot, die öffentliche Entrüstung über
ihr Treiben von sich ans Deutschland abzulenken, konnte sich die
englische Presse kaum genng thun in Feindseligkeit gegen alles,
was deutsch war, und der genasführte John Bull jubelte in den
Musikhallen über den geschmacklosesten Unsinn, wofern er nur gegen Deutschland
und sein Oberhaupt gerichtet war. Für Deutsche in England war es eine unan¬
genehme Zeit, obgleich in den bessern Kreisen der Anstand den Ausländer vor Be¬
leidigung schlitzte. Dem Schreiber dieser Zeilen ist niemals ein verletzendes Wort
su'sagt worden, jn eine Dame, die Witwe eines schottischen Universitätsprofessors,
sprach ihm gerade in jener Zeit ihre enthusiastische Bewunderung für unsern Kaiser


tonung der religiösen Stimmung, die in dem Leben unsers Volks doch eine so
große Rolle spielt, daß sie nicht so zurücktreten oder gar verschwinden darf, wie
das z. B. in Auerbachs Dorfgeschichten der Fall ist. Die Art und Weise, wie
Ludwig Richter das Leben unsers Volkes schildert, muß als etwas in der Kunst¬
geschichte durchaus Neues bezeichnet werden. Die derben Niederländer des sieb¬
zehnte» Jahrhunderts, Hogarth mit seiner geißelnden Satire, ja selbst der von
Richter sehr geschätzte Chodowiecki, der mit seinen ziemlich prosaischen Darstellungen
im ganze» recht kalt läßt, sie alle können unmöglich als eigentliche Vorbilder
Richters aufgefaßt werden, der mit seiner gemütvollen, liebenswürdigen und fein
humoristischen Auffassung ihnen vollkommen selbständig gegenüber steht. Durch seine
Einkehr in das Volkstum ist Richter der modernen Kunst, deren Entwicklung er
— wenn auch durch ein Augenleiden zur Unthätigkeit verurteilt — bis zu seinem
Tode am 19. Juni 1334 selbst noch beobachten konnte, um ein gutes Stück näher
getreten als die übrigen Romantiker. Daß er trotzdem von einem großen Teile der
neuen Richtung durch eine tiefe Kluft getrennt ist, hat seinen Grund darin, daß
er, um Richis Worte zu gebrauchen, „das Wahre so poetisch" gemalt hat. Wenn
der Künstler in sein Tagebuch schrieb: „Das Wirkliche ist nur schön, wenn es vom
Ideal berührt und dadurch bedeutend wird," so laßt sich dagegen ja manches ein¬
wenden. Volle Zustimmung aber muß der Meister finde» bei seiner hohen Auf¬
fassung der Kunst, wie er sie zum Ausdruck bringt in den Worten: „Sie soll den
Staub und den Schmutz, die Kruste, die sich so bald im Leben um Herz und
Gemüt legt, abnehmen und uns mit einem freien, reinen und großen Blick ent¬
lassen."

Mögen diese Ausführungen wie das in Dresden enthüllte Monument recht
viele Leser auf das Denkart hinweisen, das der Künstler sich selbst in seinen
Werken gesetzt hat.




Englands Bündnisfähigkeit
von Hugo Bartels

or zwei Jahren, als die Depesche des Kaisers an den Präsidenten
Krüger den schuldbewußten Herren von der südafrikanischen Gesell¬
schaft einen willkommnen Anlaß bot, die öffentliche Entrüstung über
ihr Treiben von sich ans Deutschland abzulenken, konnte sich die
englische Presse kaum genng thun in Feindseligkeit gegen alles,
was deutsch war, und der genasführte John Bull jubelte in den
Musikhallen über den geschmacklosesten Unsinn, wofern er nur gegen Deutschland
und sein Oberhaupt gerichtet war. Für Deutsche in England war es eine unan¬
genehme Zeit, obgleich in den bessern Kreisen der Anstand den Ausländer vor Be¬
leidigung schlitzte. Dem Schreiber dieser Zeilen ist niemals ein verletzendes Wort
su'sagt worden, jn eine Dame, die Witwe eines schottischen Universitätsprofessors,
sprach ihm gerade in jener Zeit ihre enthusiastische Bewunderung für unsern Kaiser


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[0648] tonung der religiösen Stimmung, die in dem Leben unsers Volks doch eine so große Rolle spielt, daß sie nicht so zurücktreten oder gar verschwinden darf, wie das z. B. in Auerbachs Dorfgeschichten der Fall ist. Die Art und Weise, wie Ludwig Richter das Leben unsers Volkes schildert, muß als etwas in der Kunst¬ geschichte durchaus Neues bezeichnet werden. Die derben Niederländer des sieb¬ zehnte» Jahrhunderts, Hogarth mit seiner geißelnden Satire, ja selbst der von Richter sehr geschätzte Chodowiecki, der mit seinen ziemlich prosaischen Darstellungen im ganze» recht kalt läßt, sie alle können unmöglich als eigentliche Vorbilder Richters aufgefaßt werden, der mit seiner gemütvollen, liebenswürdigen und fein humoristischen Auffassung ihnen vollkommen selbständig gegenüber steht. Durch seine Einkehr in das Volkstum ist Richter der modernen Kunst, deren Entwicklung er — wenn auch durch ein Augenleiden zur Unthätigkeit verurteilt — bis zu seinem Tode am 19. Juni 1334 selbst noch beobachten konnte, um ein gutes Stück näher getreten als die übrigen Romantiker. Daß er trotzdem von einem großen Teile der neuen Richtung durch eine tiefe Kluft getrennt ist, hat seinen Grund darin, daß er, um Richis Worte zu gebrauchen, „das Wahre so poetisch" gemalt hat. Wenn der Künstler in sein Tagebuch schrieb: „Das Wirkliche ist nur schön, wenn es vom Ideal berührt und dadurch bedeutend wird," so laßt sich dagegen ja manches ein¬ wenden. Volle Zustimmung aber muß der Meister finde» bei seiner hohen Auf¬ fassung der Kunst, wie er sie zum Ausdruck bringt in den Worten: „Sie soll den Staub und den Schmutz, die Kruste, die sich so bald im Leben um Herz und Gemüt legt, abnehmen und uns mit einem freien, reinen und großen Blick ent¬ lassen." Mögen diese Ausführungen wie das in Dresden enthüllte Monument recht viele Leser auf das Denkart hinweisen, das der Künstler sich selbst in seinen Werken gesetzt hat. Englands Bündnisfähigkeit von Hugo Bartels or zwei Jahren, als die Depesche des Kaisers an den Präsidenten Krüger den schuldbewußten Herren von der südafrikanischen Gesell¬ schaft einen willkommnen Anlaß bot, die öffentliche Entrüstung über ihr Treiben von sich ans Deutschland abzulenken, konnte sich die englische Presse kaum genng thun in Feindseligkeit gegen alles, was deutsch war, und der genasführte John Bull jubelte in den Musikhallen über den geschmacklosesten Unsinn, wofern er nur gegen Deutschland und sein Oberhaupt gerichtet war. Für Deutsche in England war es eine unan¬ genehme Zeit, obgleich in den bessern Kreisen der Anstand den Ausländer vor Be¬ leidigung schlitzte. Dem Schreiber dieser Zeilen ist niemals ein verletzendes Wort su'sagt worden, jn eine Dame, die Witwe eines schottischen Universitätsprofessors, sprach ihm gerade in jener Zeit ihre enthusiastische Bewunderung für unsern Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/648>, abgerufen am 01.05.2024.