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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Bachs weltliche Kantaten

Hamiele mit Martha gesprochen, so tritt wieder die Traumwelt in ihr Recht,
und die lebendige Schwester Martha muß sich mit einer Verbeugung vor dem
nur vom phantasierenden Kinde gesehenen Todesengel aus dem Krankenzimmer,
wo sie jetzt am allernötigsten wäre, entfernen. Das verwirrt und ist bühnen-
technisch kaum zu überwinden."

Man kann also noch so viel rühmen, wie eindrucksvoll, wie rührend viele
Stellen der Dichtung sind, man kann neben den Frauen, die bei der Auf¬
führung in Ohnmacht fielen, den Grafen Hochberg und den vom Kaiser ge¬
schickten Hofprediger Frommel für diese Wirkung anführen, ein rechtes Drama
wird "Hammelef Himmelfahrt" doch nicht. Es ist und bleibt in dieser Hinsicht
ein Mißgriff.

(Schluß folgt)




Bachs weltliche Kantaten

eit einiger Zeit erscheinen bei Breitkopf und Härtel die von
Professor Todt bearbeiteten weltlichen Kantaten Bachs im
Klavierauszugc. Dieses Unternehmen ist besonders dankenswert.
Man muß wünschen, daß diese eigentümlichen, zum Teil freilich
etwas altmodischen, im ganzen jedoch ungemein frischen und
schönen Schöpfungen eines Meisters, der gerade auch unsrer Zeit so viel zu
sagen hat, in weitern Kreisen bekannt und geschätzt würden. Dazu können die
genannten Klavierauszüge, die mit ihrem mäßigen Preise, ihrer guten Aus¬
stattung und ihrer sorgfältigen, geschmackvollen Arbeit allgemein empfehlens¬
wert sind, sehr wohl dienen. Es mögen jedoch bei dieser Gelegenheit auch
ein paar kritische Bemerkungen erlaubt sein. Der Herausgeber kommentiert
seine Thätigkeit in einer kleinen Abhandlung, die in den bekannten zwanglosen
"Mitteilungen der Musikalienhandlung Vreitkopf und Härtel" (Ur. 52) steht
und ein beachtenswerter Beitrag zur Würdigung der betreffenden Komposi¬
tionen ist. Bei aller Bewunderung nun, die in diesen Erläuterungen den
weltlichen Kantaten Bachs gezollt wird, tritt hier doch wieder die übliche
Geringschätzung der Textdichtnngen und die Empfindlichkeit gegen das alt¬
modische Gepräge hervor, das solche Gelegenheitspoesien haben. Es ist ja
wahr: diese Poesien sind keine Musterstttcke, und es lohnt sich kaum, für
Picander und seine Genossen eine Lanze zu brechen. Trotzdem ist vieles in
diesen Texten, vorausgesetzt, daß man an ihnen nicht Dichtungen im höhern
Sinne, sondern eben nur Texte haben will, ganz hübsch zu lesen. Die Anlage,


Grenzboton I 13S9 >!!
Bachs weltliche Kantaten

Hamiele mit Martha gesprochen, so tritt wieder die Traumwelt in ihr Recht,
und die lebendige Schwester Martha muß sich mit einer Verbeugung vor dem
nur vom phantasierenden Kinde gesehenen Todesengel aus dem Krankenzimmer,
wo sie jetzt am allernötigsten wäre, entfernen. Das verwirrt und ist bühnen-
technisch kaum zu überwinden."

Man kann also noch so viel rühmen, wie eindrucksvoll, wie rührend viele
Stellen der Dichtung sind, man kann neben den Frauen, die bei der Auf¬
führung in Ohnmacht fielen, den Grafen Hochberg und den vom Kaiser ge¬
schickten Hofprediger Frommel für diese Wirkung anführen, ein rechtes Drama
wird „Hammelef Himmelfahrt" doch nicht. Es ist und bleibt in dieser Hinsicht
ein Mißgriff.

(Schluß folgt)




Bachs weltliche Kantaten

eit einiger Zeit erscheinen bei Breitkopf und Härtel die von
Professor Todt bearbeiteten weltlichen Kantaten Bachs im
Klavierauszugc. Dieses Unternehmen ist besonders dankenswert.
Man muß wünschen, daß diese eigentümlichen, zum Teil freilich
etwas altmodischen, im ganzen jedoch ungemein frischen und
schönen Schöpfungen eines Meisters, der gerade auch unsrer Zeit so viel zu
sagen hat, in weitern Kreisen bekannt und geschätzt würden. Dazu können die
genannten Klavierauszüge, die mit ihrem mäßigen Preise, ihrer guten Aus¬
stattung und ihrer sorgfältigen, geschmackvollen Arbeit allgemein empfehlens¬
wert sind, sehr wohl dienen. Es mögen jedoch bei dieser Gelegenheit auch
ein paar kritische Bemerkungen erlaubt sein. Der Herausgeber kommentiert
seine Thätigkeit in einer kleinen Abhandlung, die in den bekannten zwanglosen
„Mitteilungen der Musikalienhandlung Vreitkopf und Härtel" (Ur. 52) steht
und ein beachtenswerter Beitrag zur Würdigung der betreffenden Komposi¬
tionen ist. Bei aller Bewunderung nun, die in diesen Erläuterungen den
weltlichen Kantaten Bachs gezollt wird, tritt hier doch wieder die übliche
Geringschätzung der Textdichtnngen und die Empfindlichkeit gegen das alt¬
modische Gepräge hervor, das solche Gelegenheitspoesien haben. Es ist ja
wahr: diese Poesien sind keine Musterstttcke, und es lohnt sich kaum, für
Picander und seine Genossen eine Lanze zu brechen. Trotzdem ist vieles in
diesen Texten, vorausgesetzt, daß man an ihnen nicht Dichtungen im höhern
Sinne, sondern eben nur Texte haben will, ganz hübsch zu lesen. Die Anlage,


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[0105] Bachs weltliche Kantaten Hamiele mit Martha gesprochen, so tritt wieder die Traumwelt in ihr Recht, und die lebendige Schwester Martha muß sich mit einer Verbeugung vor dem nur vom phantasierenden Kinde gesehenen Todesengel aus dem Krankenzimmer, wo sie jetzt am allernötigsten wäre, entfernen. Das verwirrt und ist bühnen- technisch kaum zu überwinden." Man kann also noch so viel rühmen, wie eindrucksvoll, wie rührend viele Stellen der Dichtung sind, man kann neben den Frauen, die bei der Auf¬ führung in Ohnmacht fielen, den Grafen Hochberg und den vom Kaiser ge¬ schickten Hofprediger Frommel für diese Wirkung anführen, ein rechtes Drama wird „Hammelef Himmelfahrt" doch nicht. Es ist und bleibt in dieser Hinsicht ein Mißgriff. (Schluß folgt) Bachs weltliche Kantaten eit einiger Zeit erscheinen bei Breitkopf und Härtel die von Professor Todt bearbeiteten weltlichen Kantaten Bachs im Klavierauszugc. Dieses Unternehmen ist besonders dankenswert. Man muß wünschen, daß diese eigentümlichen, zum Teil freilich etwas altmodischen, im ganzen jedoch ungemein frischen und schönen Schöpfungen eines Meisters, der gerade auch unsrer Zeit so viel zu sagen hat, in weitern Kreisen bekannt und geschätzt würden. Dazu können die genannten Klavierauszüge, die mit ihrem mäßigen Preise, ihrer guten Aus¬ stattung und ihrer sorgfältigen, geschmackvollen Arbeit allgemein empfehlens¬ wert sind, sehr wohl dienen. Es mögen jedoch bei dieser Gelegenheit auch ein paar kritische Bemerkungen erlaubt sein. Der Herausgeber kommentiert seine Thätigkeit in einer kleinen Abhandlung, die in den bekannten zwanglosen „Mitteilungen der Musikalienhandlung Vreitkopf und Härtel" (Ur. 52) steht und ein beachtenswerter Beitrag zur Würdigung der betreffenden Komposi¬ tionen ist. Bei aller Bewunderung nun, die in diesen Erläuterungen den weltlichen Kantaten Bachs gezollt wird, tritt hier doch wieder die übliche Geringschätzung der Textdichtnngen und die Empfindlichkeit gegen das alt¬ modische Gepräge hervor, das solche Gelegenheitspoesien haben. Es ist ja wahr: diese Poesien sind keine Musterstttcke, und es lohnt sich kaum, für Picander und seine Genossen eine Lanze zu brechen. Trotzdem ist vieles in diesen Texten, vorausgesetzt, daß man an ihnen nicht Dichtungen im höhern Sinne, sondern eben nur Texte haben will, ganz hübsch zu lesen. Die Anlage, Grenzboton I 13S9 >!!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/105>, abgerufen am 07.05.2024.