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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Geldreform

Kein Gedanke also daran, daß wir die gänzliche Niederwerfung der englischen
oder der russischen Weltmacht wünschen oder auch nur zulassen könnten; sie würde
ein unerträgliches Übergewicht der siegreichen Partei bedeuten. Zu diesem
Zwecke der einen oder der andern Partei thätige Hilfe zu leisten, wäre Wahn¬
sinn. Das beste für uns ist somit zunächst die Erhaltung des Friedens, also
die Pflege möglichst guter Beziehungen zu allen unsern Nachbarn. Nur im
Frieden können wir hoffen, unsern rasch wachsenden Anteil an der Weltwirtschaft
weiter auszudehnen und unsre Kolonien, deren Bedeutung nur noch unbe¬
lehrbare Verblendung verkennen kann, zu entwickeln; nur im Frieden vermögen
wir unser Kulturwerk im türkischen Orient weiter auszubauen, das die Fahrt
des Kaisers so energisch gefördert hat, allerdings unter der selbstverständlichen
Voraussetzung, daß man in der Heimat diese neue große Aussicht zu würdigen
und kräftig zu benutzen verstehe. Schon aus diesem Grunde müssen wir
einerseits die Erhaltung der Türkei, andrerseits den Fortbestand Österreichs
dringend wünschen. Ein rascher Zerfall der Türkei würde nur den aus¬
schweifendsten russischen Plänen zu gute kommen und alle unsre Hoffnungen
dort zerstören, ein Zerfall Österreichs würde uns die schwersten Verlegenheiten
bringen, das europäische Gleichgewicht aufs bedenklichste erschüttern und schlie߬
lich wieder nnr Nußland zu gute komme,?, denn ein nominell selbständiges
Ungarn wäre keine Großmacht, sondern ein zwischen Deutschland und Rußland
hin und her gezerrter Mittelstaat, unter Umständen sogar eine Beute Ru߬
lands, das uns damit den geraden Weg nach der Levante verlegen würde.
Wir maßen uns nicht an, der Reichspolitik einen positiven Rat zu erteilen,
wie sie im einzelnen diese Interessen wahren soll; selbst Fürst Bismarck hat
das ohne Einsicht in die Akten abgelehnt und es der aufdringlichen Besser¬
wisserei der Tagespresse überlassen, die so oft mit hochkomischer Überhebung
über die schwierigsten Fragen der auswärtigen Politik zu Gericht sitzt; wir
haben das begründete Vertrauen zur Reichsregierung, daß sie die richtigen
* Mittel ergreifen wird.




Die deutsche Geldreform

en Nutzen und die Notwendigkeit des Geldes braucht mau -- leider!
muß der philosophierende Christ sagen -- heut nicht zu beweisen;
und da das Geld nichts nützt, wenn man keins hat oder nur
schlechtes, entwertetes, so gebührt den Urhebern der Geldreform,
die uns reichlich mit gutem Gelde versehen haben, der Dank der
Nation, und darum würde die Geschichte dieser Reform auch dann wichtig und
interessant sein, wenn nicht die bimetallistische Agitation dazu zwänge, sie mit


Die deutsche Geldreform

Kein Gedanke also daran, daß wir die gänzliche Niederwerfung der englischen
oder der russischen Weltmacht wünschen oder auch nur zulassen könnten; sie würde
ein unerträgliches Übergewicht der siegreichen Partei bedeuten. Zu diesem
Zwecke der einen oder der andern Partei thätige Hilfe zu leisten, wäre Wahn¬
sinn. Das beste für uns ist somit zunächst die Erhaltung des Friedens, also
die Pflege möglichst guter Beziehungen zu allen unsern Nachbarn. Nur im
Frieden können wir hoffen, unsern rasch wachsenden Anteil an der Weltwirtschaft
weiter auszudehnen und unsre Kolonien, deren Bedeutung nur noch unbe¬
lehrbare Verblendung verkennen kann, zu entwickeln; nur im Frieden vermögen
wir unser Kulturwerk im türkischen Orient weiter auszubauen, das die Fahrt
des Kaisers so energisch gefördert hat, allerdings unter der selbstverständlichen
Voraussetzung, daß man in der Heimat diese neue große Aussicht zu würdigen
und kräftig zu benutzen verstehe. Schon aus diesem Grunde müssen wir
einerseits die Erhaltung der Türkei, andrerseits den Fortbestand Österreichs
dringend wünschen. Ein rascher Zerfall der Türkei würde nur den aus¬
schweifendsten russischen Plänen zu gute kommen und alle unsre Hoffnungen
dort zerstören, ein Zerfall Österreichs würde uns die schwersten Verlegenheiten
bringen, das europäische Gleichgewicht aufs bedenklichste erschüttern und schlie߬
lich wieder nnr Nußland zu gute komme,?, denn ein nominell selbständiges
Ungarn wäre keine Großmacht, sondern ein zwischen Deutschland und Rußland
hin und her gezerrter Mittelstaat, unter Umständen sogar eine Beute Ru߬
lands, das uns damit den geraden Weg nach der Levante verlegen würde.
Wir maßen uns nicht an, der Reichspolitik einen positiven Rat zu erteilen,
wie sie im einzelnen diese Interessen wahren soll; selbst Fürst Bismarck hat
das ohne Einsicht in die Akten abgelehnt und es der aufdringlichen Besser¬
wisserei der Tagespresse überlassen, die so oft mit hochkomischer Überhebung
über die schwierigsten Fragen der auswärtigen Politik zu Gericht sitzt; wir
haben das begründete Vertrauen zur Reichsregierung, daß sie die richtigen
* Mittel ergreifen wird.




Die deutsche Geldreform

en Nutzen und die Notwendigkeit des Geldes braucht mau — leider!
muß der philosophierende Christ sagen — heut nicht zu beweisen;
und da das Geld nichts nützt, wenn man keins hat oder nur
schlechtes, entwertetes, so gebührt den Urhebern der Geldreform,
die uns reichlich mit gutem Gelde versehen haben, der Dank der
Nation, und darum würde die Geschichte dieser Reform auch dann wichtig und
interessant sein, wenn nicht die bimetallistische Agitation dazu zwänge, sie mit


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[0013] Die deutsche Geldreform Kein Gedanke also daran, daß wir die gänzliche Niederwerfung der englischen oder der russischen Weltmacht wünschen oder auch nur zulassen könnten; sie würde ein unerträgliches Übergewicht der siegreichen Partei bedeuten. Zu diesem Zwecke der einen oder der andern Partei thätige Hilfe zu leisten, wäre Wahn¬ sinn. Das beste für uns ist somit zunächst die Erhaltung des Friedens, also die Pflege möglichst guter Beziehungen zu allen unsern Nachbarn. Nur im Frieden können wir hoffen, unsern rasch wachsenden Anteil an der Weltwirtschaft weiter auszudehnen und unsre Kolonien, deren Bedeutung nur noch unbe¬ lehrbare Verblendung verkennen kann, zu entwickeln; nur im Frieden vermögen wir unser Kulturwerk im türkischen Orient weiter auszubauen, das die Fahrt des Kaisers so energisch gefördert hat, allerdings unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß man in der Heimat diese neue große Aussicht zu würdigen und kräftig zu benutzen verstehe. Schon aus diesem Grunde müssen wir einerseits die Erhaltung der Türkei, andrerseits den Fortbestand Österreichs dringend wünschen. Ein rascher Zerfall der Türkei würde nur den aus¬ schweifendsten russischen Plänen zu gute kommen und alle unsre Hoffnungen dort zerstören, ein Zerfall Österreichs würde uns die schwersten Verlegenheiten bringen, das europäische Gleichgewicht aufs bedenklichste erschüttern und schlie߬ lich wieder nnr Nußland zu gute komme,?, denn ein nominell selbständiges Ungarn wäre keine Großmacht, sondern ein zwischen Deutschland und Rußland hin und her gezerrter Mittelstaat, unter Umständen sogar eine Beute Ru߬ lands, das uns damit den geraden Weg nach der Levante verlegen würde. Wir maßen uns nicht an, der Reichspolitik einen positiven Rat zu erteilen, wie sie im einzelnen diese Interessen wahren soll; selbst Fürst Bismarck hat das ohne Einsicht in die Akten abgelehnt und es der aufdringlichen Besser¬ wisserei der Tagespresse überlassen, die so oft mit hochkomischer Überhebung über die schwierigsten Fragen der auswärtigen Politik zu Gericht sitzt; wir haben das begründete Vertrauen zur Reichsregierung, daß sie die richtigen * Mittel ergreifen wird. Die deutsche Geldreform en Nutzen und die Notwendigkeit des Geldes braucht mau — leider! muß der philosophierende Christ sagen — heut nicht zu beweisen; und da das Geld nichts nützt, wenn man keins hat oder nur schlechtes, entwertetes, so gebührt den Urhebern der Geldreform, die uns reichlich mit gutem Gelde versehen haben, der Dank der Nation, und darum würde die Geschichte dieser Reform auch dann wichtig und interessant sein, wenn nicht die bimetallistische Agitation dazu zwänge, sie mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/13>, abgerufen am 06.05.2024.