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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage

aus denen der Beschluß des Bundesrath abzuleiten ist, meine eignen frühern
Ausführungen zu Grunde lege, so wird man das wohl verzeihlich finden. Ich
stehe dabei von einer Polemik gegen Seydel völlig ab. Koma loeutg, est:
der Bundesrat hat Herrn von Seydel mit großer Mehrheit Unrecht gegeben.
Daran kann auch der sonderbare Versuch Seydels in Ur. 9 der Münchner
Allgemeinen Zeitung, den Nachweis zu führen, eigentlich hätte Schaumburg
Unrecht und er Recht bekommen, nichts ändern. Das genügt mir aber völlig,
um so mehr, da feststeht, daß Seydel, durch den selbstgefälligen und an¬
maßenden Ton in seiner der lippischen Regierung erstatteten und von dieser
dem Bundesrate offiziell überreichten Denkschrift, einen oft sogar höhnischen
Ton gegen die Anträge Schaumburg-Lippes und die Gutachten von Zorn
und mir, der Sache, deren Anwalt er war, mehr geschadet als genützt hat.


2

Artikel 76, Absatz 1 der Reichsverfassung, aus dem der Bundesrat seine
Zuständigkeit für begründet erklärt hat, lautet:


"Streitigkeiten zwischen verschiednen Bundesstaaten, sofern dieselben
nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichts¬
behörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Teils von
dem Bundesrate erledigt."

Daß der Bundesrat von dem einen Teile, nämlich von Schaumburg-Lippe,
angerufen worden war, unterlag nach dem oben mitgeteilten Gange der Dinge
keinem Zweifel, ebenso wenig, daß es sich nicht um eine "Streitigkeit privat¬
rechtlicher Natur" handelte, deren Entscheidung den "kompetenten Gerichts¬
behörden" zufällt.

Bestritten war dagegen, ob eine "Streitigkeit zwischen verschiednen Bundes¬
staaten" vorliege, oder genauer gesagt, ob der Staat Schaumburg-Lippe
Streitteil sei, denn darüber, daß Lippe als Staat am Streite beteiligt sei,
herrschte gleichfalls keine Meinungsverschiedenheit.

Von drei Gesichtspunkten aus ist Schaumburg-lippischerseits die Anwend¬
barkeit des Artikels 76, Absatz 1 begründet worden:

1. Das Wort Bundesstaat ist in der Reichsverfassung gleichbedeutend
mit "Bundesglied," unter Bundesglied nach dem Sprachgebrauche und nach
der Terminologie der Reichsverfassung aber auch ein Bundesfürst zu verstehen.
Eine Staatenstreitigkeit im Sinne des Artikels 76, Absatz 1 liegt also vor,
wenn im Streite sind:

g,) Bundesstaat gegen Bundesstaat;
b) Vundesfürst gegen Vundesstaat;
e) Bundesfürst gegen Bundesfürst.

2. Der Streit, worin der Fürst zu Schaumburg-Lippe gegen den Staat
Lippe den Bundesrat angerufen hat, ist seiner Natur als Thronstreit nach kein
persönlicher Streit des Fürsten als Thronprätendenten, sondern ein Streit des


Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage

aus denen der Beschluß des Bundesrath abzuleiten ist, meine eignen frühern
Ausführungen zu Grunde lege, so wird man das wohl verzeihlich finden. Ich
stehe dabei von einer Polemik gegen Seydel völlig ab. Koma loeutg, est:
der Bundesrat hat Herrn von Seydel mit großer Mehrheit Unrecht gegeben.
Daran kann auch der sonderbare Versuch Seydels in Ur. 9 der Münchner
Allgemeinen Zeitung, den Nachweis zu führen, eigentlich hätte Schaumburg
Unrecht und er Recht bekommen, nichts ändern. Das genügt mir aber völlig,
um so mehr, da feststeht, daß Seydel, durch den selbstgefälligen und an¬
maßenden Ton in seiner der lippischen Regierung erstatteten und von dieser
dem Bundesrate offiziell überreichten Denkschrift, einen oft sogar höhnischen
Ton gegen die Anträge Schaumburg-Lippes und die Gutachten von Zorn
und mir, der Sache, deren Anwalt er war, mehr geschadet als genützt hat.


2

Artikel 76, Absatz 1 der Reichsverfassung, aus dem der Bundesrat seine
Zuständigkeit für begründet erklärt hat, lautet:


„Streitigkeiten zwischen verschiednen Bundesstaaten, sofern dieselben
nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichts¬
behörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Teils von
dem Bundesrate erledigt."

Daß der Bundesrat von dem einen Teile, nämlich von Schaumburg-Lippe,
angerufen worden war, unterlag nach dem oben mitgeteilten Gange der Dinge
keinem Zweifel, ebenso wenig, daß es sich nicht um eine „Streitigkeit privat¬
rechtlicher Natur" handelte, deren Entscheidung den „kompetenten Gerichts¬
behörden" zufällt.

Bestritten war dagegen, ob eine „Streitigkeit zwischen verschiednen Bundes¬
staaten" vorliege, oder genauer gesagt, ob der Staat Schaumburg-Lippe
Streitteil sei, denn darüber, daß Lippe als Staat am Streite beteiligt sei,
herrschte gleichfalls keine Meinungsverschiedenheit.

Von drei Gesichtspunkten aus ist Schaumburg-lippischerseits die Anwend¬
barkeit des Artikels 76, Absatz 1 begründet worden:

1. Das Wort Bundesstaat ist in der Reichsverfassung gleichbedeutend
mit „Bundesglied," unter Bundesglied nach dem Sprachgebrauche und nach
der Terminologie der Reichsverfassung aber auch ein Bundesfürst zu verstehen.
Eine Staatenstreitigkeit im Sinne des Artikels 76, Absatz 1 liegt also vor,
wenn im Streite sind:

g,) Bundesstaat gegen Bundesstaat;
b) Vundesfürst gegen Vundesstaat;
e) Bundesfürst gegen Bundesfürst.

2. Der Streit, worin der Fürst zu Schaumburg-Lippe gegen den Staat
Lippe den Bundesrat angerufen hat, ist seiner Natur als Thronstreit nach kein
persönlicher Streit des Fürsten als Thronprätendenten, sondern ein Streit des


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[0134] Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage aus denen der Beschluß des Bundesrath abzuleiten ist, meine eignen frühern Ausführungen zu Grunde lege, so wird man das wohl verzeihlich finden. Ich stehe dabei von einer Polemik gegen Seydel völlig ab. Koma loeutg, est: der Bundesrat hat Herrn von Seydel mit großer Mehrheit Unrecht gegeben. Daran kann auch der sonderbare Versuch Seydels in Ur. 9 der Münchner Allgemeinen Zeitung, den Nachweis zu führen, eigentlich hätte Schaumburg Unrecht und er Recht bekommen, nichts ändern. Das genügt mir aber völlig, um so mehr, da feststeht, daß Seydel, durch den selbstgefälligen und an¬ maßenden Ton in seiner der lippischen Regierung erstatteten und von dieser dem Bundesrate offiziell überreichten Denkschrift, einen oft sogar höhnischen Ton gegen die Anträge Schaumburg-Lippes und die Gutachten von Zorn und mir, der Sache, deren Anwalt er war, mehr geschadet als genützt hat. 2 Artikel 76, Absatz 1 der Reichsverfassung, aus dem der Bundesrat seine Zuständigkeit für begründet erklärt hat, lautet: „Streitigkeiten zwischen verschiednen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichts¬ behörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Teils von dem Bundesrate erledigt." Daß der Bundesrat von dem einen Teile, nämlich von Schaumburg-Lippe, angerufen worden war, unterlag nach dem oben mitgeteilten Gange der Dinge keinem Zweifel, ebenso wenig, daß es sich nicht um eine „Streitigkeit privat¬ rechtlicher Natur" handelte, deren Entscheidung den „kompetenten Gerichts¬ behörden" zufällt. Bestritten war dagegen, ob eine „Streitigkeit zwischen verschiednen Bundes¬ staaten" vorliege, oder genauer gesagt, ob der Staat Schaumburg-Lippe Streitteil sei, denn darüber, daß Lippe als Staat am Streite beteiligt sei, herrschte gleichfalls keine Meinungsverschiedenheit. Von drei Gesichtspunkten aus ist Schaumburg-lippischerseits die Anwend¬ barkeit des Artikels 76, Absatz 1 begründet worden: 1. Das Wort Bundesstaat ist in der Reichsverfassung gleichbedeutend mit „Bundesglied," unter Bundesglied nach dem Sprachgebrauche und nach der Terminologie der Reichsverfassung aber auch ein Bundesfürst zu verstehen. Eine Staatenstreitigkeit im Sinne des Artikels 76, Absatz 1 liegt also vor, wenn im Streite sind: g,) Bundesstaat gegen Bundesstaat; b) Vundesfürst gegen Vundesstaat; e) Bundesfürst gegen Bundesfürst. 2. Der Streit, worin der Fürst zu Schaumburg-Lippe gegen den Staat Lippe den Bundesrat angerufen hat, ist seiner Natur als Thronstreit nach kein persönlicher Streit des Fürsten als Thronprätendenten, sondern ein Streit des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/134>, abgerufen am 07.05.2024.