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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage

rat sich zu Gunsten der Erbfolgefähigkeit der jüngsten Biesterfelder Generation
aussprechen würde, diese Erbfolgefähigkeit aller weitern Anfechtung entzogen
zu sehen. Man sollte auch meinen, eine so konservativ und monarchisch denkende
Familie, wie das Haus Biesterfeld, könne den Vorteil nicht verkennen, der in
diesem Falle für sie daraus erwachsen würde, nicht "von Landtags Gnaden,"
sondern kraft Richterspruches der Gesamtheit der deutschen Bundesfürsten zur
Jnnehabung des Lippischen Thrones berechtigt zu sein.

Das Haus Viesterfeld hat übrigens so oft den Satz "Recht muß Recht
bleiben" als seinen Wahlspruch im Thronfolgestreite hingestellt, daß es sich
ohne Zweifel sonder Bitterkeit dem Zuständigkeitsbeschlusse des Bundesrath
fügen wird. Ist es von dem Thronfolgerecht seiner jüngsten Generation über¬
zeugt, so kann es ja auch mit Ruhe der dereinstigen Entscheidung der deutschen
Fürsten entgegensehen.

Daß es für die Bevölkerung Lippes nicht gerade angenehm ist, in einer
vielleicht Jahrzehnte dauernden Ungewißheit darüber zu schweben, ob der lippische
Thron im Hause Biesterfeld vom Vater auf den Sohn oder nur von Bruder
zu Bruder übergeht, ob nicht vielleicht die ganze Herrschaft des Hauses eine
Episode von verhältnismäßig kurzer Dauer sein wird, soll nicht geleugnet
werden. Indessen sind das Verhältnisse, die in jedem Lande und in jeder
regierenden Familie, wenn der Landesherr oder gar mehrere Mitglieder des
regierenden Hauses ohne Söhne sind, eintreten können. In einem solchen
Falle muß man sich auch damit abfinden, und ich glaube, daß man die nach¬
teiligen Folgen solcher Verhältnisse sehr überschätzt. Im gegenwärtigen Stadium
des lippischen Streites war meiner Meinung nach rechtlich keine andre Ent¬
scheidung des Bundesrath möglich.


4

Nachdem nun so Begründung, Inhalt und Wirkung des Bundesrats¬
beschlusses vom 5. Januar 1899 einer genauen Betrachtung unterzogen worden
sind, erscheint es endlich noch notwendig, sich über seine allgemeine Trag¬
weite klar zu werden. Diese ist doch am Ende das Wichtigste, und daß sie
sehr groß ist, ist nicht zu verkennen.

Der Beschluß schafft zunächst eine staatsrechtliche Streitfrage aus der
Welt. Das ist ein unleugbarer Vorteil. Ich habe schon oben das juristische
Prinzip aus dem Bundesratsbeschlusse herauszuschälen versucht. Für gleich¬
artige Fülle von Thronstreitigkeiten steht nun fest, daß der Bundesrat zu¬
ständig ist. Thronstreitigkeiten liegen aber auch in andern Bundesstaaten
durchaus nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit. Eine ruhige, friedliche,
unparteiische Erledigung durch die oberste Instanz des Reichs ist nunmehr
gewährleistet. Damit ist aber auch gewährleistet, was Zorn mit so treffenden
Worten aussprach, daß ich nur erlaube, sie wörtlich anzuführen: "daß das
Reich über die Grundlagen seines Bestandes und damit am letzten Ende seiner
Existenz selbst entscheiden kann und nicht mit gebundnen Händen der Landes-


Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage

rat sich zu Gunsten der Erbfolgefähigkeit der jüngsten Biesterfelder Generation
aussprechen würde, diese Erbfolgefähigkeit aller weitern Anfechtung entzogen
zu sehen. Man sollte auch meinen, eine so konservativ und monarchisch denkende
Familie, wie das Haus Biesterfeld, könne den Vorteil nicht verkennen, der in
diesem Falle für sie daraus erwachsen würde, nicht „von Landtags Gnaden,"
sondern kraft Richterspruches der Gesamtheit der deutschen Bundesfürsten zur
Jnnehabung des Lippischen Thrones berechtigt zu sein.

Das Haus Viesterfeld hat übrigens so oft den Satz „Recht muß Recht
bleiben" als seinen Wahlspruch im Thronfolgestreite hingestellt, daß es sich
ohne Zweifel sonder Bitterkeit dem Zuständigkeitsbeschlusse des Bundesrath
fügen wird. Ist es von dem Thronfolgerecht seiner jüngsten Generation über¬
zeugt, so kann es ja auch mit Ruhe der dereinstigen Entscheidung der deutschen
Fürsten entgegensehen.

Daß es für die Bevölkerung Lippes nicht gerade angenehm ist, in einer
vielleicht Jahrzehnte dauernden Ungewißheit darüber zu schweben, ob der lippische
Thron im Hause Biesterfeld vom Vater auf den Sohn oder nur von Bruder
zu Bruder übergeht, ob nicht vielleicht die ganze Herrschaft des Hauses eine
Episode von verhältnismäßig kurzer Dauer sein wird, soll nicht geleugnet
werden. Indessen sind das Verhältnisse, die in jedem Lande und in jeder
regierenden Familie, wenn der Landesherr oder gar mehrere Mitglieder des
regierenden Hauses ohne Söhne sind, eintreten können. In einem solchen
Falle muß man sich auch damit abfinden, und ich glaube, daß man die nach¬
teiligen Folgen solcher Verhältnisse sehr überschätzt. Im gegenwärtigen Stadium
des lippischen Streites war meiner Meinung nach rechtlich keine andre Ent¬
scheidung des Bundesrath möglich.


4

Nachdem nun so Begründung, Inhalt und Wirkung des Bundesrats¬
beschlusses vom 5. Januar 1899 einer genauen Betrachtung unterzogen worden
sind, erscheint es endlich noch notwendig, sich über seine allgemeine Trag¬
weite klar zu werden. Diese ist doch am Ende das Wichtigste, und daß sie
sehr groß ist, ist nicht zu verkennen.

Der Beschluß schafft zunächst eine staatsrechtliche Streitfrage aus der
Welt. Das ist ein unleugbarer Vorteil. Ich habe schon oben das juristische
Prinzip aus dem Bundesratsbeschlusse herauszuschälen versucht. Für gleich¬
artige Fülle von Thronstreitigkeiten steht nun fest, daß der Bundesrat zu¬
ständig ist. Thronstreitigkeiten liegen aber auch in andern Bundesstaaten
durchaus nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit. Eine ruhige, friedliche,
unparteiische Erledigung durch die oberste Instanz des Reichs ist nunmehr
gewährleistet. Damit ist aber auch gewährleistet, was Zorn mit so treffenden
Worten aussprach, daß ich nur erlaube, sie wörtlich anzuführen: „daß das
Reich über die Grundlagen seines Bestandes und damit am letzten Ende seiner
Existenz selbst entscheiden kann und nicht mit gebundnen Händen der Landes-


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[0138] Der Beschluß des Bundesrath in der Lippischen Thronfolgefrage rat sich zu Gunsten der Erbfolgefähigkeit der jüngsten Biesterfelder Generation aussprechen würde, diese Erbfolgefähigkeit aller weitern Anfechtung entzogen zu sehen. Man sollte auch meinen, eine so konservativ und monarchisch denkende Familie, wie das Haus Biesterfeld, könne den Vorteil nicht verkennen, der in diesem Falle für sie daraus erwachsen würde, nicht „von Landtags Gnaden," sondern kraft Richterspruches der Gesamtheit der deutschen Bundesfürsten zur Jnnehabung des Lippischen Thrones berechtigt zu sein. Das Haus Viesterfeld hat übrigens so oft den Satz „Recht muß Recht bleiben" als seinen Wahlspruch im Thronfolgestreite hingestellt, daß es sich ohne Zweifel sonder Bitterkeit dem Zuständigkeitsbeschlusse des Bundesrath fügen wird. Ist es von dem Thronfolgerecht seiner jüngsten Generation über¬ zeugt, so kann es ja auch mit Ruhe der dereinstigen Entscheidung der deutschen Fürsten entgegensehen. Daß es für die Bevölkerung Lippes nicht gerade angenehm ist, in einer vielleicht Jahrzehnte dauernden Ungewißheit darüber zu schweben, ob der lippische Thron im Hause Biesterfeld vom Vater auf den Sohn oder nur von Bruder zu Bruder übergeht, ob nicht vielleicht die ganze Herrschaft des Hauses eine Episode von verhältnismäßig kurzer Dauer sein wird, soll nicht geleugnet werden. Indessen sind das Verhältnisse, die in jedem Lande und in jeder regierenden Familie, wenn der Landesherr oder gar mehrere Mitglieder des regierenden Hauses ohne Söhne sind, eintreten können. In einem solchen Falle muß man sich auch damit abfinden, und ich glaube, daß man die nach¬ teiligen Folgen solcher Verhältnisse sehr überschätzt. Im gegenwärtigen Stadium des lippischen Streites war meiner Meinung nach rechtlich keine andre Ent¬ scheidung des Bundesrath möglich. 4 Nachdem nun so Begründung, Inhalt und Wirkung des Bundesrats¬ beschlusses vom 5. Januar 1899 einer genauen Betrachtung unterzogen worden sind, erscheint es endlich noch notwendig, sich über seine allgemeine Trag¬ weite klar zu werden. Diese ist doch am Ende das Wichtigste, und daß sie sehr groß ist, ist nicht zu verkennen. Der Beschluß schafft zunächst eine staatsrechtliche Streitfrage aus der Welt. Das ist ein unleugbarer Vorteil. Ich habe schon oben das juristische Prinzip aus dem Bundesratsbeschlusse herauszuschälen versucht. Für gleich¬ artige Fülle von Thronstreitigkeiten steht nun fest, daß der Bundesrat zu¬ ständig ist. Thronstreitigkeiten liegen aber auch in andern Bundesstaaten durchaus nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit. Eine ruhige, friedliche, unparteiische Erledigung durch die oberste Instanz des Reichs ist nunmehr gewährleistet. Damit ist aber auch gewährleistet, was Zorn mit so treffenden Worten aussprach, daß ich nur erlaube, sie wörtlich anzuführen: „daß das Reich über die Grundlagen seines Bestandes und damit am letzten Ende seiner Existenz selbst entscheiden kann und nicht mit gebundnen Händen der Landes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/138>, abgerufen am 06.05.2024.