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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gerhart Hauptmann und sein Biograph

Ist es nicht gerade von großem Stil und tiefer Idee, so doch von geistreicher Er¬
findung und kühner Inszenierung. Die Moral ist. daß Rußland aus finanziellen
Gründen seine großen Rüstungen, wenigstens vorläufig, einstellen will. Das ist
von größter Bedeutung für die internationale Politik. Und wenn man erwägt,
wie sich seit der Kundgebung die Haltung Englands geändert hat, so liegt die
Annahme nahe, daß man dort den tiefern Sinn des russischen Vorgehens längst
erkannt hat. Bis vor einigen Monaten war die englische Politik wie erstarrt,
jetzt ist sie von einer Lebhaftigkeit, einem Selbstvertrauen, einer Aktionsfreiheit,
die einen auffallenden Umschlag in der Schätzung des Gegners andeuten. Man
fühlt sich in London von dem russischen Druck vorläufig befreit, und man ist
Herrn Witte dafür dankbar. Und ist Herr Witte ein Mann des Friedens, so
ist er sicher heute die beherrschende Potenz in der russischen Politik. Wenn
irgend jemand, so hat er die Kräfte und den Geist, die russischen Finanzen
und die russische Volkswirtschaft aus ihrer bedenklichen Lage zu reißen.

Wir Deutschen haben allen Grund, zu wünschen, daß ihm das gelingen
möge, daß ein Nachbarvolk, das der natürliche und beste Abnehmer unsrer
Waren ist, kaufkräftig bleibe, und wir sehen mit Interesse dem Ausgang der
Anstrengungen zu, die ein hochbegabter und entschlossener Finanzmann auf die
B L. v. d. Brügger efestigung dieser Kaufkraft verwendet.




Gerhart Hauptmann und sein Biograph
Karl Uinzel von (Schluß)

eher "Florian Geyer," mit dem der naturalistische Dichter den
Sprung vom Boden der Gegenwart in die geschichtliche Ver¬
gangenheit wagte, giebt Schlenther zunächst sechzehn Seiten
historische Abhandlung, lehrreich genug dadurch, daß auch für
den aufmerksamen Leser nicht ein Zug herausspringt, der sür
die Figur des Helden inneres dramatisches Wesen verspräche. Daß er, der
Ritter, der Bauernrevolution treu war bis zum Tode, genügt doch nicht.
Wie die Wahl des Stoffes mit den vertretenen Grundanschauungen des
Verfassers übereinstimmt, wie er sich an die verkommenen Bauern des
Erstlingswerks, an die verlumpten Bewohner des Armenhauses, an die revo¬
lutionierenden Weber reiht, ist leicht zu sehen. Aber warum wieder und wieder
ein so passiver Held herauskommen muß, dem es an Thatkraft fehlt, sich
in den Vordergrund zu stellen, und dem ein klares Ziel nicht vor Augen


Gerhart Hauptmann und sein Biograph

Ist es nicht gerade von großem Stil und tiefer Idee, so doch von geistreicher Er¬
findung und kühner Inszenierung. Die Moral ist. daß Rußland aus finanziellen
Gründen seine großen Rüstungen, wenigstens vorläufig, einstellen will. Das ist
von größter Bedeutung für die internationale Politik. Und wenn man erwägt,
wie sich seit der Kundgebung die Haltung Englands geändert hat, so liegt die
Annahme nahe, daß man dort den tiefern Sinn des russischen Vorgehens längst
erkannt hat. Bis vor einigen Monaten war die englische Politik wie erstarrt,
jetzt ist sie von einer Lebhaftigkeit, einem Selbstvertrauen, einer Aktionsfreiheit,
die einen auffallenden Umschlag in der Schätzung des Gegners andeuten. Man
fühlt sich in London von dem russischen Druck vorläufig befreit, und man ist
Herrn Witte dafür dankbar. Und ist Herr Witte ein Mann des Friedens, so
ist er sicher heute die beherrschende Potenz in der russischen Politik. Wenn
irgend jemand, so hat er die Kräfte und den Geist, die russischen Finanzen
und die russische Volkswirtschaft aus ihrer bedenklichen Lage zu reißen.

Wir Deutschen haben allen Grund, zu wünschen, daß ihm das gelingen
möge, daß ein Nachbarvolk, das der natürliche und beste Abnehmer unsrer
Waren ist, kaufkräftig bleibe, und wir sehen mit Interesse dem Ausgang der
Anstrengungen zu, die ein hochbegabter und entschlossener Finanzmann auf die
B L. v. d. Brügger efestigung dieser Kaufkraft verwendet.




Gerhart Hauptmann und sein Biograph
Karl Uinzel von (Schluß)

eher „Florian Geyer," mit dem der naturalistische Dichter den
Sprung vom Boden der Gegenwart in die geschichtliche Ver¬
gangenheit wagte, giebt Schlenther zunächst sechzehn Seiten
historische Abhandlung, lehrreich genug dadurch, daß auch für
den aufmerksamen Leser nicht ein Zug herausspringt, der sür
die Figur des Helden inneres dramatisches Wesen verspräche. Daß er, der
Ritter, der Bauernrevolution treu war bis zum Tode, genügt doch nicht.
Wie die Wahl des Stoffes mit den vertretenen Grundanschauungen des
Verfassers übereinstimmt, wie er sich an die verkommenen Bauern des
Erstlingswerks, an die verlumpten Bewohner des Armenhauses, an die revo¬
lutionierenden Weber reiht, ist leicht zu sehen. Aber warum wieder und wieder
ein so passiver Held herauskommen muß, dem es an Thatkraft fehlt, sich
in den Vordergrund zu stellen, und dem ein klares Ziel nicht vor Augen


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[0163] Gerhart Hauptmann und sein Biograph Ist es nicht gerade von großem Stil und tiefer Idee, so doch von geistreicher Er¬ findung und kühner Inszenierung. Die Moral ist. daß Rußland aus finanziellen Gründen seine großen Rüstungen, wenigstens vorläufig, einstellen will. Das ist von größter Bedeutung für die internationale Politik. Und wenn man erwägt, wie sich seit der Kundgebung die Haltung Englands geändert hat, so liegt die Annahme nahe, daß man dort den tiefern Sinn des russischen Vorgehens längst erkannt hat. Bis vor einigen Monaten war die englische Politik wie erstarrt, jetzt ist sie von einer Lebhaftigkeit, einem Selbstvertrauen, einer Aktionsfreiheit, die einen auffallenden Umschlag in der Schätzung des Gegners andeuten. Man fühlt sich in London von dem russischen Druck vorläufig befreit, und man ist Herrn Witte dafür dankbar. Und ist Herr Witte ein Mann des Friedens, so ist er sicher heute die beherrschende Potenz in der russischen Politik. Wenn irgend jemand, so hat er die Kräfte und den Geist, die russischen Finanzen und die russische Volkswirtschaft aus ihrer bedenklichen Lage zu reißen. Wir Deutschen haben allen Grund, zu wünschen, daß ihm das gelingen möge, daß ein Nachbarvolk, das der natürliche und beste Abnehmer unsrer Waren ist, kaufkräftig bleibe, und wir sehen mit Interesse dem Ausgang der Anstrengungen zu, die ein hochbegabter und entschlossener Finanzmann auf die B L. v. d. Brügger efestigung dieser Kaufkraft verwendet. Gerhart Hauptmann und sein Biograph Karl Uinzel von (Schluß) eher „Florian Geyer," mit dem der naturalistische Dichter den Sprung vom Boden der Gegenwart in die geschichtliche Ver¬ gangenheit wagte, giebt Schlenther zunächst sechzehn Seiten historische Abhandlung, lehrreich genug dadurch, daß auch für den aufmerksamen Leser nicht ein Zug herausspringt, der sür die Figur des Helden inneres dramatisches Wesen verspräche. Daß er, der Ritter, der Bauernrevolution treu war bis zum Tode, genügt doch nicht. Wie die Wahl des Stoffes mit den vertretenen Grundanschauungen des Verfassers übereinstimmt, wie er sich an die verkommenen Bauern des Erstlingswerks, an die verlumpten Bewohner des Armenhauses, an die revo¬ lutionierenden Weber reiht, ist leicht zu sehen. Aber warum wieder und wieder ein so passiver Held herauskommen muß, dem es an Thatkraft fehlt, sich in den Vordergrund zu stellen, und dem ein klares Ziel nicht vor Augen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/163>, abgerufen am 06.05.2024.