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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Das fühlte sie; mit jäher Bewegung rückte sie sich aus Nothnagels Nähe.

Was wollen Sie von mir?

Nun nun; warum immer so häuslich?

Häuslich? Immer? Als ob ich es nicht vermiede, mit Ihnen zu reden.

Das auch mit, und das ist unklug, mein kluges Fräulein Stadel; ich konnte
und kann Ihnen manchen guten Rat geben -- jetzt eben den, daß Sie dem Vater
uicht mit Querelen kommen, wo er seine Gedanken zum großen Werke braucht.
Aber wenn ich mit diesem freuudnachbarlichen Rat --

Line that einen tiefen Atemzug! Ich danke für Ihren freundnachbarlichen
Rat, ich danke. Sie sagen, ich sei häuslich -- du liebe Zeit, wann hab ich denn
einmal geredet? Aus dem Weg bin ich Ihnen gegangen; wenn Sie mir aber
nachlaufen, nun warum nicht, dann niags einmal herunter vom Herzen. Sie haben
meiner Mutter den Mann und uns Kindern den Vater gestohlen; Sie haben uns
das Gespenst über die Schwelle gebracht und uns in den Schatten Ihres goldnen
Engels gelockt, der ein Teufel ist, damit Sie uns auch ganz sicher in der Gewalt
haben. Und findet sich doch ein Luftzug in unsern Winkel, der uus Freiheit geben
null, so stehen Sie richtig da und werfen die Thür wieder zu -- was thuts,
wenn wir ersticken, was thuts, wenn der Karl verkümmert.

Nun nun nun -- jetzt haben Sie ja wohl ausgeredet, weil Ihnen nichts
weiter einfällt. Der Karl gerade wird schließlich einmal alles haben, Ehre, Ruhm,
Gold, die Apotheke und mein Mädchen dazu -- 'n hübsches Mädchen --, lassen
Sie doch die Steine, mit denen ist kein Geschäft mehr zu machen heutzutage.

Auch uoch! Die Steine, um denen seine Neigung und seine Begabung hängt,
hingebe" für eine Heirat mit dem Rädergespenst! Nein, was an mir liegt, gewiß
uicht; was an mir liegt, soll er frei werden, ein ordentlicher Mann, dein nichts an¬
hängt als sein Beruf.

Ein Simpel also! rief der alte Nothnagel zornig und schlürfte zwischen seinen
Kamillenbündeln davon.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Adolf Wagner und die überseeische Entwicklung.

Unter den kathedcr-
sozialistischen Professoren der Nationalökonomie hat sich als akademischer Lehrer und
als gelehrter Schriftsteller wohl keiner größere Verdienste um die Wissenschaft er¬
worben als Adolf Wagner. Seine Irrtümer und Einseitigkeiten werden ans diesem
Gebiete reichlich aufgewogen durch seine Leistungen als Shstematiker. Er erzieht
dnrch diese die akademischen Schiller selbst zur Kritik seiner Schroffheiten und Über¬
treibungen. Leider begnügt er sich nicht mit seiner akademischen Wirksamkeit, sondern
glaubt immer wieder, sich auch an die große Masse wenden und den Volkslehrer,
um nicht zu sagen: den Agitator, in der praktischen Politik spielen zu sollen. Aber
dafür ist kein Mensch weniger angelegt als er, und bei dieser Rolle kommen seine
Irrtümer und Einseitigkeiten ohne jedes Gegengewicht zur Geltung. So hoch man


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Das fühlte sie; mit jäher Bewegung rückte sie sich aus Nothnagels Nähe.

Was wollen Sie von mir?

Nun nun; warum immer so häuslich?

Häuslich? Immer? Als ob ich es nicht vermiede, mit Ihnen zu reden.

Das auch mit, und das ist unklug, mein kluges Fräulein Stadel; ich konnte
und kann Ihnen manchen guten Rat geben — jetzt eben den, daß Sie dem Vater
uicht mit Querelen kommen, wo er seine Gedanken zum großen Werke braucht.
Aber wenn ich mit diesem freuudnachbarlichen Rat —

Line that einen tiefen Atemzug! Ich danke für Ihren freundnachbarlichen
Rat, ich danke. Sie sagen, ich sei häuslich — du liebe Zeit, wann hab ich denn
einmal geredet? Aus dem Weg bin ich Ihnen gegangen; wenn Sie mir aber
nachlaufen, nun warum nicht, dann niags einmal herunter vom Herzen. Sie haben
meiner Mutter den Mann und uns Kindern den Vater gestohlen; Sie haben uns
das Gespenst über die Schwelle gebracht und uns in den Schatten Ihres goldnen
Engels gelockt, der ein Teufel ist, damit Sie uns auch ganz sicher in der Gewalt
haben. Und findet sich doch ein Luftzug in unsern Winkel, der uus Freiheit geben
null, so stehen Sie richtig da und werfen die Thür wieder zu — was thuts,
wenn wir ersticken, was thuts, wenn der Karl verkümmert.

Nun nun nun — jetzt haben Sie ja wohl ausgeredet, weil Ihnen nichts
weiter einfällt. Der Karl gerade wird schließlich einmal alles haben, Ehre, Ruhm,
Gold, die Apotheke und mein Mädchen dazu — 'n hübsches Mädchen —, lassen
Sie doch die Steine, mit denen ist kein Geschäft mehr zu machen heutzutage.

Auch uoch! Die Steine, um denen seine Neigung und seine Begabung hängt,
hingebe» für eine Heirat mit dem Rädergespenst! Nein, was an mir liegt, gewiß
uicht; was an mir liegt, soll er frei werden, ein ordentlicher Mann, dein nichts an¬
hängt als sein Beruf.

Ein Simpel also! rief der alte Nothnagel zornig und schlürfte zwischen seinen
Kamillenbündeln davon.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Adolf Wagner und die überseeische Entwicklung.

Unter den kathedcr-
sozialistischen Professoren der Nationalökonomie hat sich als akademischer Lehrer und
als gelehrter Schriftsteller wohl keiner größere Verdienste um die Wissenschaft er¬
worben als Adolf Wagner. Seine Irrtümer und Einseitigkeiten werden ans diesem
Gebiete reichlich aufgewogen durch seine Leistungen als Shstematiker. Er erzieht
dnrch diese die akademischen Schiller selbst zur Kritik seiner Schroffheiten und Über¬
treibungen. Leider begnügt er sich nicht mit seiner akademischen Wirksamkeit, sondern
glaubt immer wieder, sich auch an die große Masse wenden und den Volkslehrer,
um nicht zu sagen: den Agitator, in der praktischen Politik spielen zu sollen. Aber
dafür ist kein Mensch weniger angelegt als er, und bei dieser Rolle kommen seine
Irrtümer und Einseitigkeiten ohne jedes Gegengewicht zur Geltung. So hoch man


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[0178] Maßgebliches und Unmaßgebliches Das fühlte sie; mit jäher Bewegung rückte sie sich aus Nothnagels Nähe. Was wollen Sie von mir? Nun nun; warum immer so häuslich? Häuslich? Immer? Als ob ich es nicht vermiede, mit Ihnen zu reden. Das auch mit, und das ist unklug, mein kluges Fräulein Stadel; ich konnte und kann Ihnen manchen guten Rat geben — jetzt eben den, daß Sie dem Vater uicht mit Querelen kommen, wo er seine Gedanken zum großen Werke braucht. Aber wenn ich mit diesem freuudnachbarlichen Rat — Line that einen tiefen Atemzug! Ich danke für Ihren freundnachbarlichen Rat, ich danke. Sie sagen, ich sei häuslich — du liebe Zeit, wann hab ich denn einmal geredet? Aus dem Weg bin ich Ihnen gegangen; wenn Sie mir aber nachlaufen, nun warum nicht, dann niags einmal herunter vom Herzen. Sie haben meiner Mutter den Mann und uns Kindern den Vater gestohlen; Sie haben uns das Gespenst über die Schwelle gebracht und uns in den Schatten Ihres goldnen Engels gelockt, der ein Teufel ist, damit Sie uns auch ganz sicher in der Gewalt haben. Und findet sich doch ein Luftzug in unsern Winkel, der uus Freiheit geben null, so stehen Sie richtig da und werfen die Thür wieder zu — was thuts, wenn wir ersticken, was thuts, wenn der Karl verkümmert. Nun nun nun — jetzt haben Sie ja wohl ausgeredet, weil Ihnen nichts weiter einfällt. Der Karl gerade wird schließlich einmal alles haben, Ehre, Ruhm, Gold, die Apotheke und mein Mädchen dazu — 'n hübsches Mädchen —, lassen Sie doch die Steine, mit denen ist kein Geschäft mehr zu machen heutzutage. Auch uoch! Die Steine, um denen seine Neigung und seine Begabung hängt, hingebe» für eine Heirat mit dem Rädergespenst! Nein, was an mir liegt, gewiß uicht; was an mir liegt, soll er frei werden, ein ordentlicher Mann, dein nichts an¬ hängt als sein Beruf. Ein Simpel also! rief der alte Nothnagel zornig und schlürfte zwischen seinen Kamillenbündeln davon. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Adolf Wagner und die überseeische Entwicklung. Unter den kathedcr- sozialistischen Professoren der Nationalökonomie hat sich als akademischer Lehrer und als gelehrter Schriftsteller wohl keiner größere Verdienste um die Wissenschaft er¬ worben als Adolf Wagner. Seine Irrtümer und Einseitigkeiten werden ans diesem Gebiete reichlich aufgewogen durch seine Leistungen als Shstematiker. Er erzieht dnrch diese die akademischen Schiller selbst zur Kritik seiner Schroffheiten und Über¬ treibungen. Leider begnügt er sich nicht mit seiner akademischen Wirksamkeit, sondern glaubt immer wieder, sich auch an die große Masse wenden und den Volkslehrer, um nicht zu sagen: den Agitator, in der praktischen Politik spielen zu sollen. Aber dafür ist kein Mensch weniger angelegt als er, und bei dieser Rolle kommen seine Irrtümer und Einseitigkeiten ohne jedes Gegengewicht zur Geltung. So hoch man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/178>, abgerufen am 06.05.2024.